Der Regisseur in Berlin:Lynch-Justiz

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Mild at heart, aber weird on top: In Berlin hat David Lynch über Filme, Yoga und Frieden meditiert.

Tobias Timm

Nachdem man die Pressemitteilung gelesen hatte, glaubte man zunächst an eine Namensverwechslung oder an einen Scherz: David Lynch sollte am Samstag in der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin über ¸¸Bewusstsein, Kreativität und das Gehirn" sprechen. Dabei sollte es also nicht ums Filmemachen gehen, sondern vor allem darum, wie die Hauptstadtjugend ¸¸Berlin auf kreative Weise unbesiegbar" machen kann. Und zwar ganz einfach: durch ¸¸yogisches Fliegen" und transzendentale Meditation. Der Regisseur von ¸¸Blue Velvet" und ¸¸Wild at Heart", ¸¸Twin Peaks" und ¸¸Lost Highway", so erfuhr der staunende Zuhörer, meditiere schon seit 32 Jahren zweimal täglich nach den Methoden des Maharishi Mahesh Yogi, jenes langbärtigen und sanft lächelnden Gurus, zu dem einst auch die Beatles pilgerten.

Nur weil er selbst die Glückseligkeit kennengelernt habe, werde er noch lange keine glückseligen, süßlichen Filme drehen. (Foto: Foto: ddp)

In Lynchs Filmen wird der amerikanische Alltag zur Alptraumwelt, sinistre Mächte spielen ihr Angst einflößendes Spiel mit Protagonisten und Publikum. In ¸¸Mulholland Drive" tauchte sogar ein zotteliger Leibhaftiger auf. Avanciertere Kritiker arbeiten über die Unheimlichkeit bei Lynch und Heidegger, die etwas simpler gestrickten Fans schwärmen von seinen Filmen am liebsten mit den Adjektiven strange und scary. Weniger scary, aber sehr skurril war hingegen die Szenerie im Kino Arsenal, das Lynch in Berlin als Vortragssaal diente. Außer zwei-, dreihundert Cineasten waren auch einige Dutzend verstrahlt lächelnder Menschen gekommen, die ganz offensichtlich ¸¸Eraserhead" nicht zu ihren Lieblingsfilmen zählen: In helle Pastellfarben gekleidete und mit praktischen Thermostiefeln besohlte grauhaarige Frauen und Männer über Fünfzig, die in Büchern mit Titeln wie ¸¸Thinking Big" blätterten und aufgeregt klatschten, als Lynch davon berichtete, wie er seine Negativität eliminiert habe. Meditatives ¸¸Tauchen" und ein ¸¸Ozean des reinen Bewusstseins" scheinen dabei eine Rolle gespielt zu haben. Man müsse sich entscheiden, ob man die Vogelgrippe, Aids und Bush-Kriege wolle, oder aber das alles durchs Meditieren abgeschafft werden soll. Lynch war mit einer Handvoll Begleiter aufs Podium gekommen, Männer in schlammfarbenen Anzügen mit glitzernden Krawatten, die zwar wie Versicherungsvertreter aussahen, in Wirklichkeit aber zu yogistischen Friedensstiftungen gehörten. Einer von ihnen stellte sich als Quantenphysiker vor, sprach von ¸¸einheitlichen Feldern" und der Kraft der Meditation - wobei er passenderweise die Augen schloss.

Das junge Filmpublikum wunderte sich: Wieso riskiert es der Meister des Sonderbaren, sich lächerlich zu machen? Steht er unter dem Einfluss von Drogen oder bösen Mächten? Sind seine Filme in Wahrheit eine Art Hilfeschrei? Während der Diskussion - und später auch beim Interview in einer Hotelsuite - versuchte Lynch den Eindruck zu vermitteln, dass es sich genau umgekehrt verhält: Die Mantras hätten ihn von genau jenen Ängsten und Beklemmungen erlöst, von denen seine Filme so gekonnt erzählen.

Das klingt dann doch plausibel, wenn man diesen sympathischen, witzigen, auf die Schultern klopfenden Mann sieht, der eben seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hat. Der keine Pastellfarben, sondern einen schwarzen Wollmantel über einem weißen Hemd trägt und seine grauen Haare immer noch zu einer großen Tolle über den rasierten Schläfen frisiert. Und dem man natürlich auch Fragen zu seinem nächsten Film stellen darf: Wovon wird ¸¸Inland Empire" handeln? ¸¸Von einer Frau mit Problemen." Er hat gerade die digitale Videotechnik für sich entdeckt: ¸¸DV ist die Zukunft des Filmemachens. Die Qualität ist schrecklich. Aber es sieht gut aus", sagt er und flabbert beim Sprechen mit den Fingern der rechten Hand, als spiele er Trompete. Er drehe ohne festes Drehbuch, filme einzelne Szenen, arbeite intuitiv. Er will mit seinen Filmen keine Botschaften transportieren: Kino könne eine Gesellschaft oder auch den einzelnen Menschen langfristig genauso wenig verändern wie Bücher oder Lieder. Und wieso dreht er dann Filme? ¸¸Weil es so viel Spaß macht. Und weil jeder Mensch etwas machen sollte, was ihm Spaß macht."

Das fliegende Schneiderlein

Nun will David Lynch aber sieben Milliarden Dollar für die Errichtung von ¸¸Friedensuniversitäten" sammeln, in denen meditative Techniken gelehrt werden. Wieviel hat er bereits? ¸¸25 Dollar", antwortet er. Und dann: ¸¸Just kidding!" Über eine Million Dollar habe man in den letzten Monaten gesammelt, fügt einer der schlammfarbenen Anzüge eifrig hinzu, während Lynch noch grinst. Vielleicht ist das Ganze ja doch ein Witz? Vielleicht macht sich der Regisseur einen großen Spaß und führt die Yogis und seine Fans in die Irre, so wie er es auch im Kino macht, mit seinen von losen Enden wimmelnden Plots.

Nach dem Vortrag erzählte ein junger Mann zwei hübschen Filmhochschülerinnen, dass er beim Meditieren im Schneidersitz bis zu zwei Meter weit ¸¸fliegen" könne. Ein anderer verteilte Handzettel, die einen Nebenverdienst versprachen: Berliner zwischen 16 und 25 Jahren sollen 14 Stunden pro Woche für den Frieden meditieren und so für die Erleuchtung und die ¸¸Unbesiegbarkeit" der Stadt sorgen. Immerhin 200 Euro gibt es dafür im Monat. Und eine wirklich gute Nachricht überbrachte Lynch am Ende doch noch: Nur weil er selbst die Glückseligkeit kennengelernt habe, werde er noch lange keine glückseligen, süßlichen Filme drehen.

© <b>Quelle: Süddeutsche Zeitung</b> <b>Nr.24, Montag, den 30. Januar 2006</b> - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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