Denkmal für die "Göttinger Sieben":Ostblockhafte Scheußlichkeit

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Märtyrer der Geistesfreiheit, Rebellen wider den Untertanengeist: Günter Grass hat Göttingen ein Denkmal geschenkt.

Es ist ein Märchen aus uralten Zeiten: Wie sich sieben Göttinger Professoren "nach ernster Erwägung der Wichtigkeit des Falles nicht anders überzeugen können", als dem neuen Monarchen den Treueid auf die neue, die weniger demokratische Verfassung zu verweigern. Der Adressat dieser "Protestation", Ernst August von Hannover, geruhte 1837 serenissime, die so wenig botmäßigen Herrschaften Knall auf Fall von ihren Kathedern zu entfernen und drei von ihnen - den Juristen Friedrich Christoph Dahlmann sowie die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm - auch noch des schönen niedersächsischen Landes zu verweisen.

Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und sein Verleger Gerhard Steidl auf dem Campus der Universität Göttingen neben dem frisch enthüllten Denkmal für die "Göttinger Sieben". Grass hat die Skulptur entworfen und gemeinsam mit seinem Verleger Universität und Stadt Göttingen geschenkt. Es erinnert an die sieben Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aussetzung des Staatsgrundgesetzes durch König Ernst August protestierten und daraufhin entlassen wurden. (Foto: dpa)

So sind sie, getragen von einer bemerkenswert regen Sympathisantengruppe, zu Märtyrern der Geistesfreiheit geworden, Rebellen wider Absolutismus und den allfälligen Untertanengeist.

So populär sind sie in diesen gefahrlosen Zeiten, dass ein Denkmal, die sieben vorstellend, nun vor dem niedersächsischen Landtag dem Hochmut der Regierenden trotzt. In Göttingen gibt es immerhin einen Platz, der nach diesen vorbildlichen Intellektuellen benannt ist. Ein Denkmal wurde bislang schmerzlich vermisst, jedenfalls vom ortsansässigen Verleger Gerhard Steidl. Da traf es sich gut, dass Steidl neben den Fotografien des Damenschneiders Karl Lagerfeld auch die Werke des Nobelpreisträgers Günter Grass verlegt. Grass, das nur zur Erinnerung, hat nach dem Krieg, noch ehe er als Dichter berühmt wurde, eine Steinmetzlehre und ein Studium als Bildhauer absolviert und blickt auf ein umfängliches Œuvre bildnerischer Arbeiten zurück. In diesem Œuvre fehlte bis gestern ein Denkmal für die Göttinger Sieben, aber jetzt steht es da, und der Platz hat "durch das Denkmal ein Gesicht erhalten".

Grass sagt das, nachdem er dem von ihm entworfenen und überdies gestifteten Denkmal das karfreitagsblaue Tuch abgezogen und das seltsame Kunstwerk ins helle Frühlingslicht gezerrt hat. "Das rostet ja schon!", rufen die Studenten mit kritischem Kunstverstand, der sie aber nicht hindert, den Nobelpreisträger von allen Seiten mit dem Foto-Handy aufzunehmen: Grass allein, Grass mit Denkmal, Grass mit Bürgermeister, Grass mit Unipräsidentin, Grass nochmal mit seinem Denkmal. Das Gesicht, das dieser Platz zwischen sozialdemokratischem Siebziger-Jahre-Beton-und-Glas-Zweckbauten nun erhält, besteht in einem ganz normalen G, gegen das eine nicht weiter auffällige Sieben (oder vielmehr 7) lehnt. Beide Zeichen, das ergibt die Fingerprobe, sind von erfreulich durabler Konsistenz. Stahl wird es nicht sein, denn sie sind tatsächlich bereits angerostet. Doch passt diese braunrote Coloration nicht schlecht zu einer schon etwas länger zurückliegenden Heldentat.

Die Entscheidung, auf eine figürliche Darstellung deutscher Professorenherrlichkeit lieber zu verzichten, kann nur glücklich genannt werden. Dennoch kommen wir um ein abschließendes Blitzurteil nicht herum: Es handelt sich bei dieser Figuration um ein Ding von ostblockhafter Scheußlichkeit. Egal: ein Party-Service hat Aufbackgebäck angeliefert, Sektgläser und solche mit Orangensaft werden herumgereicht, die Ordinarien freuen sich mit den Studenten des Frühlings, man diskutiert die Möglichkeiten, eine Zweidrittelstelle zu einer ganzen auszubauen und hofft auf die neue Präsidentin. Aber vielleicht ist das komische Ding ja am Ende gar nicht von Grass, sondern doch von Lagerfeld, jedenfalls sieht es dem Logo von dessen im Steidl-Imperium angesiedelten Verlag 7L verblüffend ähnlich.

© SZ vom 29.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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