Corona und Silicon Valley:Hände waschen, auf Investoren warten

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Menschenleer: die berühmte California Street in San Francisco. (Foto: Josh/ Edelson / AFP)

In der Corona-Krise agieren Facebook, Google und Co. plötzlich staatstragend. Eine beunruhigende Entwicklung.

Von Bernd Graff

Zeiten der Krise sind Zeiten von Fake News. Nun, Krise ist immer. Also blühen auch immer Fake News. Die irren Lügen zu Klima und geheimen Machtzirkeln des Staates, zu sinistren Verschwörungen und angeblich terroristischen Religionen in ihren Heiligen Kriegen - nirgendwo weiß man angeblich mehr darüber als in den sozialen Medien. Das ist immer so, das ist in Zeiten der Corona-Pandemie auch nicht anders. So weit, so normal. Leider.

Doch etwas ist anders diesmal. Die Wahrhaftigkeit der Mondlandung kann ohne körperliche Nebenwirkungen in Zweifel gezogen, das Misstrauen gegen Staat und Parteien befeuert werden, ohne dass daraus eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben würde. Fake News untergraben Vertrauen, sie schüren Hass und bekräftigen blöde Vorurteile. Das ist schlimm und dumm. Aber daran sterben Menschen nicht, jedenfalls nicht unmittelbar. Die augenblicklich in den Netzen kursierenden Alternativ-Wahrheiten aber, man möge doch einen Cocktail aus ätzendem Bleichmittel und Zitronensäure gegen die Corona-Infektion trinken, dazu häufig masturbieren und möglichst viel Kokain schnupfen, diese letalen Tipps sind nicht nur in der Kombination sofort stark gesundheitsgefährdend. Oder aber, wie Trevor Noah in seiner "Daily Show" lakonisch festhält: "Damit tötest du nicht Corona, damit startest du die härteste Rock'n'Roll-Party deines Lebens."

Weil aber auch dieser Schwachsinn in den Netzwerken wie blöde blüht, sah sich Mark Zuckerberg, Gründer und Chef von Facebook, genötigt, diesmal einzuschreiten. Und zwar in nie gekanntem Ausmaß.

Facebook geht nun sofort gegen Falschmeldungen vor und löscht Fake News, wann immer die Weltgesundheitsbehörde (WHO) dazu rät. Werbeflächen werden im großen Stil an Wissenschaftsseiten und eben die WHO verschenkt. Andererseits wird Werbung von Unternehmen verboten, die mit dem Virus Geschäfte machen wollen. Das gilt auch für das Bewerben von Schutzkleidung und Masken. Der erste Corona-Link in jeder Timeline führt weltweit zu den lokalen Gesundheitsbehörden.

Alle Interventionen der Unternehmen dienen dem Erhalt der Verhältnisse

Man reibt sich die Augen und wundert sich, was bei Facebook plötzlich alles mühelos und vernunftgeboten, ebenso radikal wie schnell geht. Auch bei den konzerneigenen Unternehmen wie Instagram. Und auch bei den Mitbewerbern wie Google, dem dazugehörigen Youtube, Microsofts Suchmaschine Bing. Überall wird der tägliche Fake-News-Wahnsinn diesmal nicht mit dem Mantel der freien Meinungsäußerung kaschiert, sondern sofort rigoros geahndet. Ja, Mark Zuckerberg, der sich gerade vorbildlich in Quarantäne aufhält, talkt im Facebook-Livestream mit Anthony Fauci über notwendige Maßnahmen, mit jenem bedeutenden US-Virologen also, der gerade in die Geschichte und Herzen der Weltöffentlichkeit eingegangen ist, weil er vor laufenden Kameras Donald Trumps Corona-Krisengestümper mit einem "Facepalm", der Schamgeste der Fassungslosigkeit, gewürdigt hat.

Es ist also nicht die immer deutlicher spürbare Klimakatastrophe, nicht die Massenmanipulation durch Hacker und Bots, die zu einem Innehalten und Abbremsen des laufenden Betriebs im Silicon Valley geführt hat, es brauchte dazu die Wucht einer unmittelbaren, körperlichen Bedrohung durch ein noch nicht behandelbares Virus. Warum ist das so? Genauso mutig und disruptiv hätten die global auftretenden Hightech-Unternehmen ja auch längst klimapolitisch im Sinne der Aufklärung und gegen Fake News intervenieren können.

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Eine Antwort könnte lauten: Die Systemlogiken des unverminderten Wachstums und des Fortschritts würden durch die sicherlich vernunftgebotene Klima-Intervention gebrochen. Durch die aktuellen Maßnahmen im Dienst der Public Health werden sie es nicht. Denn alle Interventionen dienen ja der Erhaltung der Verhältnisse und dem Überleben der Systeme. "Epidemien", so hat Anne Applebaum kürzlich im Atlantic geschrieben, "fördern die tiefliegenden Wahrheiten der Gesellschaften zutage, die sie befallen."

Eie andere Antwort ist: Corona wird im pragmatischen Silicon Valley für ein weiteres Machbarkeitsproblem gehalten, das durch rasche regulatorische Maßnahmen, wenn nicht gestoppt, so doch eingedämmt, also gesteuert werden kann.

Facebook und Google, Apple und Amazon überbieten sich deshalb gerade darin, als die zupackendsten, innovativsten, fürsorglichsten Unternehmen mit Lösungen für die ganze Menschheit zu erscheinen. Für diese Musterschüler des digitalen Fortschritts, allesamt energieverschleißende Klimakiller, ist auch die Krankheit Ansporn, ein Problem zu lösen, und sei es mit Dollarmillionen für Jobs, Test- und Impfstoffe. Man arbeitet also einfach weiter am Projekt Weltverbesserung. Und das im großen Rahmen seiner Möglichkeiten.

In den Verlautbarungsblogs auf ihren Firmenseiten erklären die digitalen Big Shots denn auch jeweils, wie sie sich das so vorstellen. Niemand formuliert dabei so blumig wie Tim Cook von Apple, niemand so vollmundig wie Mark Zuckerberg von Facebook. Cook schreibt: "Bei Apple stehen die Menschen an erster Stelle, und wir tun das, was wir tun, mit dem Glauben, dass Technologie Leben verändert. Wie Präsident Lincoln in einer Zeit großer Widrigkeiten sagte: 'Die Herausforderung ist mit Schwierigkeiten verbunden, und wir wachsen mit der Herausforderung'."

Seit Lincolns Zeiten gewissermaßen wächst man in Cupertino mit jeder fordernden Veränderung. Homo faber in Digitalien. Als Stütze der Gesellschaft geriert sich auch Amazon. Im Firmeneintrag werden weltweit 100 000 neue Jobs bei angemessener Bezahlung offeriert, um "allen Menschen zu helfen, die auf Amazon angewiesen sind in diesen stressvollen Zeiten". 350 Millionen Dollar extra werden dazu investiert, um wirklich überall zu wirken, "damit die Menschen daheim bleiben können." Sundar Pichai, den CEO von Google und Alphabet, treiben - wie Mark Zuckerberg auch - dann auch weitere Sorgen um. Er muss als Betreiber von Suchmaschinen und sozialen Plattformen wie Youtube auch darum besorgt sein, die virale Epidemie von Fake News zu bändigen.

So formuliert Pichai: "Nutzer kommen zu Google, um nach Informationen zu Impfstoffen, Reisehinweisen und Präventionstipps zu suchen. Unsere SOS-Warnmeldung in der Suche zeigt den Nutzern die neuesten Nachrichten sowie Sicherheitstipps und Links zu offiziellen Informationen der Weltgesundheitsorganisation. Zusätzlich spenden wir Anzeigenplätze an Regierungen und nicht staatliche Einrichtungen. Unser Trust- and Safety-Team arbeitet weltweit rund um die Uhr daran, unsere Nutzer vor Phishing, Verschwörungstheorien, Malware und Fehlinformationen zu schützen. Bei Youtube arbeiten wir daran, alle Inhalte zu entfernen, die falsche Ratschläge geben. Auf Google Ads blockieren wir Anzeigen, die versuchen, aus dem Coronavirus Kapital zu schlagen. In den letzten sechs Wochen haben wir Zehntausende von Anzeigen dieser Art blockiert."

Mark Zuckerberg schließlich drückt ein bisschen auf die Tränendrüse. Er will nicht nur der Gönner von Forschung und Wissen sein, sondern auch der globale Herbergsvater. Er weiß, dass Menschen "in diesen Zeiten der Disruption" auf Kommunikation und Trost angewiesen sind, dass sie nicht nur Daten brauchen, sondern auch Ansprache. Darum garantiere sein Unternehmen "Stabilität und Verlässlichkeit aller Services." Zusätzlich aber soll der "Chan Zuckerberg Biohub", die hauseigene Wissenschaftsstiftung, dabei helfen, ein "Periodensystem der Zelltypen im Körper, vor allem in der Lunge", zu entwickeln. Gemeinsam mit Bill Gates, dem menschenfreundlichen Microsoft-Milliardär aus Seattle, habe man Wissenschaftlern schon dabei geholfen, das Genom von Sars-CoV-2 zu entschlüsseln, außerdem will man ermöglichen, dass die Menschen sich kostenlos testen lassen können. Keine Selbstverständlichkeit in Trumps Amerika.

So wird erschütternd deutlich: Diese Unternehmen klingen nicht nur staatstragend. Sie sind es auch. Denn die Garantie von Alimentierung und medialer Grundversorgung, dazu Hilfsprogramme für Arbeitnehmer, das Fördern von Forschung, der aktive Erhalt von Volksgesundheit, kostenlose Tests, die Abwehr von Fake News, die Ermöglichung von Öffentlichkeit und sozialem Austausch, die Bereitstellung von kommunikativer Infrastruktur - all das sind eigentlich staatliche Hoheitsaufgaben, die diese Unternehmen ja nicht nur für sich reklamieren, sondern auch schultern. Das ist nicht nur eine gute Nachricht: Unternehmen sind nie demokratisch legitimiert, sie unterliegen keinerlei Kontrolle außer der durch ihre Aufsichtsratsgremien. Philanthropie und Gemeinwohl fördern börsennotierte Konzerne gern, solange es dem eigenen Aktienkurs nützt. Wenn die Global Player des Silicon Valley also nun stolz erklären, dass ihre Systeme in der Krise so sicher bleiben wie früher nur die Renten des Norbert Blüm, dann zeigt das zweierlei: die Hybris der Unternehmen wie die Bereitschaft der politischen Systeme, das Steuer aus der Hand zu geben.

Der Spiegel porträtierte in der letzten Woche einen Jungunternehmer aus dem Silicon Valley, Andre Watson. Er will in San Francisco einen Impfstoff gegen das Virus erforschen und benötigt Investoren. So weit, so Tal-typisch. Allerdings fürchtet sich der junge Mann schon seit je vor Ansteckungen. Und darum imprägniert er sich immer schon mit Feinstaubmaske und Desinfektion gegen die Welt, die er doch retten möchte. Watson illustriert das Gebot der Corona-Stunde des Silicon Valley: Gutes tun, unbedingt drüber reden. Dann Hände waschen - und auf Investoren warten.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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