Nachruf Carmen Herrera:Die Schönheit der geraden Linie

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Die Malerin Carmen Herrera in New York im Jahr 2009. (Foto: Adriana Lopez Sanfeliu/picture alliance)

"Keep it simple", war das Motto der kubanischen Malerin Carmen Herrera, eine der großen Meisterinnen der Abstraktion. Jetzt ist Herrera im Alter von 106 Jahren gestorben.

Von Kito Nedo

Der Durchbruch kam sehr spät, aber doch noch rechtzeitig genug. Im Jahr 2004 verkaufte die kubanisch-amerikanische Malerin Carmen Herrera ihr erstes Bild. Da war die 1915 in Havanna als Tochter eines Zeitungsverlegers und einer Journalistin geborene Künstlerin bereits 89 Jahre alt. Wenig später interessierten sich plötzlich große Museen wie das New Yorker Museum of Modern Art oder die Londoner Tate für Herreras Bilder. Die Künstlerin nahm das Interesse an ihrer Kunst mit Humor und Demut. "Ich hatte nie in meinem Leben eine Vorstellung von Geld, und ich hielt Ruhm für eine sehr vulgäre Sache", erzählte sie vor ein paar Jahren der New York Times. "Also habe ich einfach gearbeitet und gewartet. Und am Ende meines Lebens erhalte ich eine Menge Anerkennung, zu meinem Erstaunen und zu meiner Freude." Fast siebzig Jahre lang hatte Herrera, die in den Dreißigern Malerei und Architektur in Havanna studiert hatte und anschließend nach New York ging, nahezu unbeachtet von der übrigen Kunstwelt in ihrem Atelier in Manhattan gearbeitet. Heute zählt ihre abstrakt-kantige Kunst ganz selbstverständlich zur Pionier-Abteilung im Kanon der Moderne.

Abseits vom Zeitgeist und unbeeindruckt vom damals tonangebenden abstrakten Expressionismus fand Herrera Ende der Fünfziger in New York zu ihrem geometrisch-abstrakten Stil mit Schwarz-Weiß-Kontrasten oder in kräftig leuchtenden Gelb-, Blau-, Orange-, Grün- oder Rosatönen. Die Kunst der Reduktion stellte sie ins Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Was sie interessierte, war die Essenz der Bilder und die Vielfalt der Möglichkeiten, die mit der disziplinierten Beschränkung auf formale Klarheit kommt. Folglich baute Herrera ihre Bilder wie Architekturen mithilfe von Farbfeldern, Kanten, Zickzacklinien oder Quadraten auf. "Es ist die Schönheit der geraden Linie, die mich antreibt", beschrieb die Malerin selbst einmal den Motor hinter ihrer Kunst.

Eine Marathonläuferin, die einfach immer weitergemacht hatte

"Keep it simple", lautete ihr Motto. Dem Minimalismus blieb sie bis zuletzt treu. Der späte Erfolg gab ihr Recht. Nachdem sie 1939 nach New York gezogen war, wo sie mit Barnett Newman und Ad Reinhardt befreundet war, sowie Bekanntschaften mit Jackson Pollock, Willem De Kooning oder Mark Rothko pflegte, verbrachte sie Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger einige wenige, künstlerisch sehr prägende Jahre in Paris. Dort verkehrte sie in denselben Künstlerkreisen wie Yves Klein, Josef Albers, Jean Arp und Sonia Delaunay. Die Künstlerin lebte und arbeitete also mitten im Zentrum der westlichen Kunstwelt und war Teil der Szene, was sich aber weder in Verkäufen oder Ausstellungen niederschlug.

Als ihre Kunst schließlich um das Jahr 2000 langsam entdeckt und gewürdigt wurde, verkörperte Herrera in der vom Jugendkult durchdrungenen Kunstwelt ein seltenes Gegenmodell. Sie wurde nicht nur als Pionierin der geometrischen Abstraktion gefeiert, sondern auch als Marathonläuferin, die einfach immer weitergemacht hatte, und sich und ihre Kunst letztendlich gegen die Ignoranz von Museumskuratoren, Händlern und Sammlern durchsetzen konnte. 2016, im Alter von 101 Jahren, durfte die Malerin im New Yorker Whitney Museum noch die große Retrospektive feiern, die ihren internationalen Ruhm festigte. Die Ausstellung wurde im Anschluss unter anderem auch in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gezeigt. Am vergangenen Samstag ist Carmen Herrera in New York im Alter von 106 Jahren gestorben.

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