SZ.de: Warum entscheidet sich ein junger Australier dazu, ein Buch über die Angst und das Sterben im Zweiten Weltkrieg zu schreiben?
Markus Zusak: Als ich in Sydney aufwuchs, hatte ich eine sehr normale australische Kindheit, mit Kricket im Garten und so weiter. Aber meine Eltern stammen aus Deutschland und Österreich und erzählten uns immer wieder Geschichten von dort. Es war, als käme damit ein Stück von Europa in unser Haus. Ich hörte von brennenden Städten. Davon, wie es ist, aus Luftschutzräumen zu kommen und den Boden bedeckt von Eis vorzufinden, während der Himmel im Flammen steht. Ich habe erst später gemerkt, dass sie mir nicht nur Geschichten erzählten, sondern mich damit auch zum Schreiben brachten. So fing es an.
Der Tod ist nicht gerade ein gängiges Jugendbuchmotiv. Wie haben Sie für sich entschieden, wie weit Sie damit gehen können?
Es ist ganz lustig, weil "Die Bücherdiebin" - außerhalb von Deutschland - oft nicht als Jugendbuch, sondern als normaler Roman veröffentlich worden ist. Ich selbst hatte damals sowieso damit abgeschlossen, an das Publikum zu denken. Stellen Sie sich nur mal vor, wie man "Die Bücherdiebin" Freunden empfehlen soll: "Es spielt in Nazi-Deutschland, fast alle sterben, es hat 580 Seiten - ihr werdet es lieben!" (lacht) Ich erwartete, dass das Buch eh niemand lesen würde. Und dann habe ich es einfach genau so geschrieben, wie ich wollte. Manchmal ist das am besten.
Abgesehen von den Geschichten Ihrer Eltern - haben Sie viel Recherche betrieben, sind Sie nach Deutschland gereist, haben mit Überlebenden des Krieges gesprochen?
Ich habe viele Interviews geführt und natürlich viel gelesen, aber nach Deutschland bin ich erst gereist, als das erste Manuskript schon fertig war. Ich wollte nicht damit angeben, wie viel ich weiß, sondern nur sicherstellen, dass alles stimmt. Es ging mir auch um ganz kleine Details, um die Saison für bestimmte Apfelsorten zum Beispiel.
Hatten Sie Angst, in die Klischeefalle zu tappen? Über die Zeit des Zweiten Weltkriegs ist unglaublich viel geschrieben worden. Fühlten Sie sich dadurch sicherer, dass viel auf Ihrer Familiengeschichte beruht?
Ich hatte diese Idee, dass der Tod im Buch der Erzähler sein sollte. Das hielt ich für einen interessanten Zugang. Aber es sollte nicht darum gehen, etwas anders zu machen, nur um etwas anders zu machen. "Die Bücherdiebin" setzt sich auch aus vielen kleinen Geschichten zusammen, die ich zum Teil nirgendwo anders gesehen oder gehört hatte, weder in Dokumentationen noch sonst. Mein Vater zum Beispiel sollte zur Hitlerjugend und wollte nicht hingehen, weil er es schlicht langweilig fand. Solche Geschichten interessierten mich, und die wollte ich möglichst natürlich aufschreiben.
Ihr Buch handelt von Büchern und Sprache. Kann das in einem Film überhaupt umgesetzt werden?
Ich habe das Set besucht, aber nicht am Drehbuch mitgeschrieben. Das Team wollte wissen, was ich davon halte, aber ich habe das Ganze an den Regisseur Brian Percival abgegeben und gesagt: Jetzt bist du dran. Das war ziemlich schön und auch erleichternd, schließlich lebe ich mit diesem Buch mittlerweile seit zehn Jahren. Das Schlimmste wäre doch, jemand Kreativem vorzuschreiben, was er tun soll. Man muss Vertrauen haben. Als wir uns kennenlernten, hat Brian mich beiseite genommen und gesagt: "Ich werde Dich nicht enttäuschen". Das war einfach nett und von so jemandem wollte ich den Film gerne machen lassen. Ich wollte erst den komplett fertigen Film sehen.
"Die Bücherdiebin" im Kino:Im Buchstabentanzsaal
Eine kindertaugliche Geschichte vom Krieg: Brian Percivals Romanverfilmung "Die Bücherdiebin" erzählt von der jungen Liesel, die während der Nazi-Zeit ziemlich jeden verliert, den sie gern hat. Vor allem aber geht es um den Widerstand im Kopf.
Und, hat es sich gelohnt?
Ich habe tatsächlich seit Monaten nicht mehr an den Film gedacht, weil ich so mit meinem neuen Buch beschäftigt war - aber ich glaube schon, dass es sich gelohnt hat. Es gibt natürlich viele Unterschiede in der Handlung, bei den Charakteren und dem Stil, aber der Film musste ja auch etwas Eigenständiges werden. Ich bin für das ganze Erlebnis dankbar, aber weiß es nun auch umso mehr zu schätzen, Romanautor zu sein. Wenn man ein Buch verfilmen lässt, verliert man schließlich komplett die Kontrolle, wenn man ein Buch schreibt, ist man immer selbst der Regisseur.
"Die Bücherdiebin" war bislang mit Abstand Ihr größter Erfolg als Autor. Was jetzt? Wie wollen Sie es anstellen, nicht ewig "der mit der 'Bücherdiebin'" zu bleiben?
Jedes Buch ist für den Autor auf seine eigene Weise anstrengend. Aber irgendwann reicht es und man muss etwas Neues beginnen. Momentan schreibe ich an einer Geschichte über einen Jungen, der eine Brücke bauen will. Es spielt im Australien der Gegenwart. Nach der "Bücherdiebin" habe ich gesagt, ich schreibe nie wieder etwas in einem historischen Kontext. Jetzt merke ich, dass so ein Kontext auch sehr hilft. Aber gut: Egal welches Buch man schreibt, Probleme gibt es immer. Das ist ja auch der Spaß daran.
Die DVD von "Die Bücherdiebin" ist in Deutschland ab dem 12. September 2014 im Handel.