Björk in Berlin:Erlöst vom Elektronik-Beat

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(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Popsängerin Björk wirkt bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert 2015 überraschend entspannt. Dabei ist ihr aktuelles Album eine Abhandlung über sterbende Liebe, Trennungsschmerz und Erstickungsangst.

Von Annett Scheffel

Sie habe wirklich keine Ahnung, antwortete Björk im Januar dem US-Online-Magazin Pitchfork auf die Frage, wie um alles in der Welt man diese Songs auf einer Bühne aufführen wolle. Die Rede war von den Stücken ihres aktuellen Albums "Vulnicura": diesen hochemotionalen, aufreibend-düsteren Abhandlungen über eine langsam sterbende Liebe, über Trennungsschmerz und Erstickungsangst. Es sind Lieder, in denen die isländische Popikone ihre gescheiterte 13-jährige Beziehung zu dem Künstler Matthew Barney bis in die tiefsten Wunden hinein rekapituliert. Für die Performance von so flackernd intimen Stücken gebe es auf der Bühne keine einfache Lösung, sagte sie Pitchfork: Sie werde wohl einfach emotional sein, vielleicht weinen müssen und sich elend fühlen.

Als sie am Sonntagabend mit langen, schwungvollen Schritten im gelben Dämmerlicht in Berlin die Bühne betrat, wurde man dann aber das Gefühl nicht los, sie hätte sich seit dem Tourauftakt im März in der New Yorker Carnegie Hall schon einen guten Teil des Schmerzes von der Seele gesungen. In der Zitadelle Spandau, einer wuchtigen Festung am Havelufer, gab die 49-Jährige ihr einziges Deutschlandkonzert in diesem Jahr. Der Abend und die Tournee als Ganzes erscheinen als eine Art Selbstheilungsritual: vor Tausenden Augen und Ohren, mit Orchester und berstender Elektronik, unter einer märchenhaften Nachtfaltermaske und glimmenden Feuerwerksfontänen. Am Ende werden violette Rauchwolken über der Zitadelle hängen, als wäre sie von Björk verzaubert worden.

Erst einmal aber tänzelt Björk während des ersten Stücks "Stonemilker" federnd wie eine Ballerina und mit feinen, kreiselnden Armbewegungen vor einem 15-köpfigen, weiß gekleideten Streichorchester über die Bühne. "Show me emotional respect", fordert sie in ihren melodisch verdrehten, sirenenhaften Gesangsschleifen. Und es liegt etwas Klagendes und zugleich Angriffslustiges in dem "R" von "Respekt", das sie dabei so fantastisch rollt, als habe es in ihrem Rachen besonders viel Schwung genommen. "Stonemilker" eröffnet auch das Album "Vulnicura". Und genau wie dort folgt Björk auch auf der Bühne in den ersten sechs Songs der Chronologie ihrer schwindenden Liebe: versucht in "Lionsong" Schritt zu halten mit dem sich schnell überschlagenden Gefühlschaos und versinkt in "Black Lake" in quälender Finsternis.

Fast vergessen scheint an diesem Abend die Häme, mit der Björk in der internationalen Presse zu ihrer kitschigen Retrospektive überschüttet wurde, die das New Yorker MoMA ihr im Frühling widmete. Nicht nur für das Museum war die Ausstellung, die sie eigentlich als "paradigmatische Künstlerin der 90er" präsentieren wollte, ein Reinfall, sondern auch für Björk selbst. Dabei waren sich die Kritiker im Vorfeld eigentlich einig, dass sie als Popstar und Schöpferin eines beeindruckenden Gesamtkunstwerks zweifelsohne museumstauglich sei. Auf der Bühne aber wirkt Björks Zusammenführung von Musik und Kunst, von Formen, Geschichten und Gefühlen ohnehin besser und befreiter.

Der Abend als eine Art Selbstheilungsritual: Björk mit Orchester und berstender Elektronik, unter einer märchenhaften Nachtfaltermaske. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Und es passt überraschend gut, dass bei "Black Lake", dem dunklen, zehnminütigen Herzstück des Albums - seiner großen Arie, wenn man so will -, in dem Björk zwischen hochdramatischen Streichern ihren emotionalen Tiefpunkt durchschreitet, dass gerade hier das Konzert an Dynamik gewinnt. Nach langsamem Anfang, nur mit Gesang und federleichten Streichertönen, schiebt sich nun die pochende, stampfende Elektronik des britischen DJs The Haxan Cloak in den Vordergrund, der mit dem venezolanischen Produzenten Arca an "Vulnicura" mitgearbeitet hat und nun hier an einem Pult steht.

Für Björk im glänzend roten Rüschengewand scheint der Beat wie eine Erlösung zu sein - vielleicht weil er den schwebenden Streicher-Arrangements Halt gibt, vielleicht aber auch, weil sie endlich richtig dazu tanzen kann. Mit jedem Song wirkt sie jetzt gelöster: biegsamer der Körper, kräftiger die heisere Stimme. Mit diesem kindlich aufgedrehten Elan, den nur Björk so elegant hinbekommt, beginnt der zweite Teil des Konzerts, in dem sie durch die schönsten Songs ihrer Diskografie streift: "Bachelorette", "Army of Me" oder "Wanderlust". Und als die Elektronik einmal besonders laut dazu knarzt und schnarrt, meint man sogar ein Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen.

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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