Judenverfolgung in Hitler-Deutschland:2. August 1941 - ein Datum der Schande

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Berlin nach der Machtergreifung Hitlers: Drei Frauen lesen ein Plakat am Schaufenster eines Ladens, das zum Boykott von jüdischen Geschäften aufruft. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Vor 75 Jahren verbot das NS-Regime jüdischen Deutschen das Betreten von Leihbibliotheken. Ihre Bücher sortierte man dort gerne ein.

Von Henning Bleyl

Der Sommer 1941 begann für die jüdische Bevölkerung Deutschlands mit dem Verbot, Seife und Rasierschaum zu kaufen. Vier Wochen später wurde Juden das Telefonieren verboten. Ein weiterer Ausgrenzungsschritt jährt sich am 2. August zum 75. Mal: das Verbot, Leihbibliotheken zu benutzen. Ein unbeachteter Jahrestag.

Die meist kommerziellen Leihbibliotheken waren der letzte Zugang, den Juden zum allgemeinen Lese- und Literaturbetrieb hatten. Denn die kommunalen und wissenschaftlichen Bibliotheken durften sie schon seit spätestens Ende 1938 nicht mehr benutzen. Auch der Kauf von Zeitungen und Zeitschriften war seither verboten, jüdische Buchhandlungen und Verlage hatten schließen müssen. "Ich habe so stark das Gefühl, durch das Abschneiden der Bücherentleihung in den nächsten Höllenkreis hinabbefördert zu sein", notiert Victor Klemperer am 12. Juni 1942 in sein Tagebuch.

Aber so unerwünscht Juden in Bibliotheken auch waren - ihre Bücher sortierte man gern und zahlreich ein. Zehn Wochen nach dem Leihbibliotheksverbot begann die systematische Deportation der deutschen Juden in den Osten. Bevor die Finanzämter anschließend den jüdischen Besitz versteigerten, hatten ausgewählte Behörden und Institutionen ein exklusives Zugriffsrecht. Auch die Bibliotheken.

Noch eine Million Bücher jüdischer Besitzer in deutschen Bibliotheken?

Unter den 9948 Bibliotheken, die heute in Deutschland existieren, gibt es mittlerweile einige, die sich systematisch mit möglichen NS-Erbschaften befassen, die konsequent nach ihnen suchen. Standard ist das aber noch lange nicht - obwohl jüdische Verbände bereits 1950 in einschlägigen Bibliothekars-Fachblättern dazu aufriefen.

Georg Ruppelt ist in dieser Hinsicht besonders engagiert. In seiner Hannoveraner Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek veranstaltete er mehrere Raubgut-Symposien. Doch noch Ende der Neunzigerjahre, in Ruppelts Zeit als Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv), scheiterte er mit einem ähnlichen Vorhaben: "Es war das einzige Mal, dass ich einen Antrag nicht durchbekommen habe." Dabei ist Ruppelts Anliegen schlicht: "Ich will nicht, dass zwischen meinen Büchern welche stehen, deren Eigentümer umgebracht wurden."

Groben Schätzungen zufolge befinden sich mindestens noch eine Million Bücher jüdischer Besitzer in deutschen Bibliotheken. Nur ein Bruchteil davon ist identifiziert, noch viel weniger restituiert.

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Vorreiter bei diesen Bemühungen war Anfang der Neunzigerjahre die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Auch sie stieß auf Widerstände: "Unsere Aktivitäten wurden von vielen Kollegen als unpassend und ärgerlich angesehen", sagt der damalige stellvertretende Bibliotheks-Direktor Jürgen Babendreier. In der Fachöffentlichkeit habe es zunächst "null Resonanz" auf die Bremer Bemühungen gegeben.

Doch auch die Bremer brauchten den Anstoß von Außen. Einem Nutzer der Bibliothek, dem Politologen und ehemaligen Bevollmächtigten des deutschen Auschwitz-Komitees Klaus v. Münchhausen, fielen sonderbare Vermerke in einigen Bücher auf: Ein "J.A.", handschriftlich am oberen Rand der inneren Umschlagseiten vermerkt. J.A. für "Judenauktion". Mit einer Petition erzeugte Münchhausen politischen Druck, schließlich forderte der Bremer Senat die Bibliothek zur systematischen Erfassung auf.

Allein für 1942 weisen die Eingangsbücher der damaligen Staatsbibliothek etwa 1600 Buchtitel auf, die der Bibliotheksdirektor persönlich aus dem Versteigerungs-Angebot ausgesucht hatte, das in Bremen besonders reichhaltig war: Bremen profitierte als Auswandererhafen - in dem viele Juden ihre Umzugskisten zurücklassen mussten.

Diese Titel machten immerhin gut 40 Prozent der Neuzugänge für 1942 aus. 298 dieser Bücher konnten mittlerweile an ihre Eigentümer oder deren Erben in den USA, Australien, Israel und Brasilien zurückgegeben werden - was eine im Vergleich zu anderen Häusern bemerkenswert hohe Rückgabe-Quote darstellt.

1991, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, als in Bremen die Provenienzrecherchen begannen, konzentrierten sich viele Bibliotheken vornehmlich auf eigene Rückgabeforderungen von Büchern, die im Zweiten Weltkrieg ausgelagert oder geplündert worden waren. "Die deutschen Bibliothekare sahen sich selbst als Opfer", bestätigt Babendreier.

Seit 2008 stehen Bundesmittel zur Verfügung, um Provenienzforschungs-Projekte zu unterstützen. Dabei geht es neben den jüdischen Besitzern geraubter Bücher auch um Bestände, die beispielsweise bei kommunistischen Buchhändlern, Gewerkschaften, Freimaurer-Logen oder en gros in den besetzten Ländern beschlagnahmt worden waren. Heute sind es vor allem die großen wissenschaftlichen Bibliotheken, die sich diesen Fragen widmen und mit zum Teil bemerkenswerten Ausstellungen verbinden.

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Insgesamt suchen allerdings nur 31 Einrichtungen in ihren Beständen nach Raubgut - etwas mehr als zehn Prozent der wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland. Da überrascht es kaum, dass kommunale Bibliotheken, deren Alltag viel weniger mit Forschung und Drittmittel-Akquise zu tun hat, noch weitgehend am Anfang stehen. Neben Berlin ist die Stadtbibliothek Bautzen die einzige, die mithilfe von Bundesmitteln ihre Provenienzen prüft.

Um speziell kommunale Bibliotheken zur Provenienzforschung zu motivieren, ist ein Pilotprojekt in Sachsen-Anhalt geplant. "Selbst Bibliotheken mit einem Gründungsdatum nach 1945 sind nicht von vornherein ,frei' vom Verdacht des verfolgungsbedingt entzogenen Bestandes", betont Annette Gerlach vom Arbeitskreis Provenienzforschung. So müssten etwa antiquarische Aktivitäten oder Bestandsübernahmen geprüft werden. Die seien "meistens ohne jeglichen Blick auf die Provenienz erfolgt".

Deutsche Museen haben bereits Fördermittel in Höhe 12 Millionen Euro für Raubgut-Forschungen genutzt, Bibliotheken wenig mehr als ein Viertel dieser Summe. Dabei sind deren Recherchen eher noch aufwendiger: Die Einbände seriell hergestellter Bücher liefern in der Regel deutlich weniger Informationen als Gemälderückseiten.

Dem Ausleihverbot folgte der "Judenstern"

Mitunter identifiziert man Besitzer anhand von Exlibris. Trotz der Mühsal dieser Arbeit, sagt Georg Ruppelt, der dem Vergabe-Beirat des Zentrums für Kulturgutverluste angehört, wachse das Interesse vor allem jüngerer Berufskollegen kontinuierlich.

Für die Stadtbibliothek Oranienburg spielt der 2. August als Erinnerungstag eine große Rolle. "Dieses Datum der Schande ist mir als Bibliothekarin stets bewusst", sagt Katharina Bölke, die Leiterin der Stadtbibliothek Oranienburg.

Es wird eine Lesung und eine kleine Sonderausstellung geben. Auch die Stadtbibliothek im thüringischen Nordhausen will "würdig" an den Jahrestag erinnern. Das Ausleih-Verbot ist die letzte Sonderverordnung vor der "Judenstern"-Bestimmung, die vier Wochen später folgte.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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