Beyoncé als Architekturvorbild:Erotik-Turm zu Melbourne

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Frauen-Fassade: Der Premier Tower sieht genau aus wie Beyoncé. Zumindest haben die Architekten beim Entwurf des Gebäudes in Melbourne an die Sängerin gedacht. (Foto: Elenberg/Fraser)

Diese Hüften, diese Taille - sehen Sie's auch? Genau: Wäre dieses Haus ein Mensch, es wäre Beyoncé.

Von Gerhard Matzig

Der eine baut eine Erektion als Beton, Stahl und Glas - der andere baut ein Hochhaus, das an Beyoncés Körperform erinnert. Dazwischen liegen auch noch ein paar Jahrzehnte, außerdem ist die Reihenfolge irgendwie verkehrt: Erst die Erektion, dann Beyoncé. Kurz: Die Sache ist verwirrend, wie vieles auf dem Terrain von Erotik, Sex und Architektur.

Fangen wir also erstmal mit Beyoncé an und heben uns den Phallus für später auf. Beyoncé ist eine amerikanische Pop-Sängerin, die noch 2007 vom People-Magazin zur "bestgekleideten Persönlichkeit" gewählt wurde. Zuletzt aber schienen die Textilien zu schwinden, weshalb beispielsweise die Welt im Mai angesichts von Beyoncés radikal natürlichem Auftritt auf dem "Met Ball" in New York titelte: "Nackt, nackter, Beyoncé". Als "bootylicious" (eine Kombination der Wörter booty, Hintern, und delicious, köstlich) wird Beyoncé auch oft bezeichnet. So weit, so bekannt.

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Neu ist, dass in Melbourne, Australien, ein 226 Meter hoher Wohn-Wolkenkratzer entstehen soll, der an die Sängerin erinnert - also recht kurvig, ja biegsam ausfällt. Die australischen Architekten, die den "Premier Tower" entworfen haben, Callum Fraser und Zahava Elenberg, geben auf ihrer Homepage bekannt, dass der Bau eine Hommage an Beyoncés "Ghost"-Video sei. Darin trägt sie ein zauberhaftes Nichts, das die Textur von Nebelschwaden aufweist, und räkelt sich so dermaßen ekstatisch vor der Windmaschine, dass man sich unwillkürlich an die Rolls-Royce-Kühlerfigur "Spirit of Ecstasy" erinnert fühlt.

Dem Turm wird man kaum entkommen

Nur dass Beyoncé ohne Flügel auskommt. Engelsgleich ist sie dennoch. Wer sich das Video anguckt, muss zugeben: Die Architekten haben sich von ihr tatsächlich inspirieren lassen und versuchen nun, den Spirit of Beyoncé in Form zu gießen. Was vielleicht auf ein Missverständnis hinausläuft. Denn das Video kann man abschalten, dem Erotik-Turm zu Melbourne aber wird man kaum entkommen.

68 Stockwerke soll der "Beyoncé-Turm" haben - und die Form ist laut Architekturbüro "der effektivste Weg, um die Masse des Gebäudes zu verteilen", mit den besten Ergebnissen im Bezug auf Schwingung und Verhalten bei Wind. (Foto: Elenberg/Fraser)

Was das jetzt mit der Erektion zu tun hat? Abgesehen von näherliegenden Vermutungen: In den 1960er-Jahren hat der österreichische Architekt Hans Hollein in polemischer Absicht ein Hochhaus als erigierten Phallus entworfen. Das war nicht nur ein Verweis auf das berühmte Adolf-Loos-Diktum, wonach "alle Kunst erotisch ist", sondern auch ein bitterböser Kommentar darauf, dass Hochhäuser oft so irrational und triebhaft gesteuert sind wie die meist männlichen Turbokapitalisten, die sie sich - oft als "Baulöwen" oder "Immobilienhaie" ausgewiesen - ausgedacht haben.

Vom Phallus-Turm zum Beyoncé-Tower: Das könnte theoretisch auch die Evolution einer einst männlich dominierten Baukunst illustrieren. Weg von den kantig aufragenden Gebilden, hin zu organischeren, runderen und weicheren Formen. Das Problem ist nur: Hochhaus bleibt Hochhaus - ob man es jetzt als (scheinbar) maskuline Gewaltbereitschaft oder als (scheinbar) femininen Schleiertanz interpretiert. Und: Hochhäuser sind nicht die Zukunft. Sie sind es weder in ökologischer, politischer, sozialer oder ästhetischer Hinsicht. Hochhäuser sind die Dinosaurier einer untergehenden Epoche und werden einmal herumstehen wie gigantomanische, rätselhafte und archaische Hinkelsteine, über deren ursprüngliche Bedeutung sich zukünftige Forschergenerationen die Hirne zergrübeln müssen.

Ziemlich männlich-wirren Träumen entsprungen

Die Wolkenkratzer geraten ja schon seit Jahren dank computergestützter Entwurfsprogramme und neuen Konstruktionsmöglichkeiten immer erotomanischer. Barbamamahaft biegen sie sich hierhin und wölben sich dorthin. Sie sind die Bootylicious-Boten der Architektur. Ob sie nun Tanzendes Haus heißen und von Frank O. Gehry für Prag entworfen wurden (inspiriert nicht von Beyoncé, sondern von Ginger Rogers und Fred Astair); oder ob sie "Absolute World Towers" heißen, also zwei Türme markieren, die sich in den Himmel zu schrauben scheinen und in Ontario stehen (auch bekannt als "Marilyn-Monroe-Turm"): Die neuen Türme sind scheinbar weiblich, entspringen aber immer noch ziemlich männlich-wirren Träumen einer Monopoly-Welt. Der Name "Absolute World", der eine Geldmaschine bezeichnet, also den üblichen Komplex aus Edel-Lofts, Einkaufzentrum, Restaurants und Wellness-Blödness-Einrichtungen für Luxus-Menschen, sagt eigentlich schon alles.

Da aber das Beyoncé-Video "Ghost" heißt, ist zu vermuten, dass sich der alte Brecht-Satz über das Schicksal unserer modernen Tempel noch erfüllen wird. Brecht zufolge wird von unseren Städten dereinst bleiben, der durch sie hindurchging, "der Wind". Gespenstisch. Weshalb man sich vielleicht doch besser mit dem 2012 gestorbenen brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer trösten sollte, der lieber kurvige Horizontal-Bauten realisierte und ein zutiefst soziales, ja sozialistisches Verständnis vom Bauen als Kunst für den Menschen besaß. Er sagte einmal, er würde immer versuchen, ein Haus so schön zu machen wie eine nackte Frau, die am Strand in der Sonne liegt. Nur würde das selten gelingen.

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