Einige der türkischen Künstler in Berlin verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft, andere haben sich erst in Deutschland kennengelernt. Vor einigen Wochen traf Altıoklar den Karikaturisten Serkan Altuniğne. Als Zeichner arbeitete der für das Satiremagazin Penguen, das von der türkischen Regierung über Jahre mehrfach verklagt wurde. Schon 2015 verurteilten Gerichte zwei Autoren des Hefts zu elfmonatigen Gefängnisstrafen. Im Mai 2017 musste die Redaktion schließen. Serkan Altuniğne fand in der Türkei keine Arbeit mehr und ging nach Berlin.
Einige Türken, die das Land verlassen haben, können sich auf alte Kontakte in Deutschland beziehen. Etwa der kurdische Drehbuchautor Önder Çakar, der ebenfalls nicht zurück in die Türkei reisen kann, weil ihm eine Haftstrafe wegen einer seiner Filme über das kurdische Gebiet droht. Derzeit arbeitet er mit Fatih Akin an einem Film über die Verteidigungsschlacht der Kurden um den syrischen Ort Kobanê im Jahr 2014. Auch ihm wird eine Verbindung zum Terror vorgeworfen.
Nicht alle der Exilanten verstehen sich als politische Oppositionelle - viele wollen abseits der aufgeladenen Stimmung in der Türkei in Deutschland wieder Kraft und Raum für ihre Arbeit finden. Wie viele türkische Exil-Künstler nach Deutschland gekommen sind, lässt sich nicht sagen. Einige leben mit Flüchtlingsstatus in Deutschland, andere mit Arbeits- oder Studentenvisa. Viele hängen auch in der Türkei fest, weil die nach wie vor versprochene Visa-Liberalisierung ausblieb. Die EU hatte entschieden, nur dann den Türken Visafreiheit zu gewähren, wenn die türkische Regierung ihre Anti-Terrorgesetze entschärft. Das Paradoxon: Ausgerechnet jenen, die unter den scharfen Gesetzen leiden, erschwert man damit die Ausreise. Außenminister Sigmar Gabriel erwog schon vor Monaten, die Einreiseregelungen für Wissenschaftler, Unternehmer und Künstler aus der Türkei zu entschärfen. Passiert ist von EU-Seite bisher nichts.
Die meisten türkischen Künstler, die es ins Ausland geschafft haben, wollen bei Besserung der Lage so schnell wie möglich wieder zurückkehren, andere stellen sich darauf ein, länger bleiben zu müssen.
Kontakte zur deutschen Bevölkerung bestehen vor allem zu türkeistämmigen Kulturschaffenden
Eine Gruppe von 30 Künstlern um den Regisseur Mustafa Altıoklar will in den kommenden Wochen einen Verein für türkische Exilanten gründen. In Kreuzberg vor der Schauspielschule sitzt Altıoklar mit dem armenischen Schriftsteller und Journalisten Hayko Bağdat und dem Drehbuchautor Barış Pirhasan. Berlin zerschmilzt vor Hitze, der Schweiß perlt auf der Stirn. Die Männer beklagen sich, scherzen, in Berlin sei es an diesem Tag drei Grad heißer als in Istanbul. Die drei diskutieren, wie der Verein aufgebaut werden soll. Regelmäßig treffen sich die Exilanten. Kontakte zur deutschen Bevölkerung bestehen vor allem zu türkeistämmigen Kulturschaffenden, etwa zu der in München geborenen Fernsehschauspielerin Hürdem Riethmüller. Über soziale Medien bleiben sie in Kontakt mit ihren Landsleuten in der Türkei, verbreiten via Facebook und Twitter ihre regierungskritischen Meinungen.
Zu der Gruppe um Altıoklar gehören Künstler aus unterschiedlichen politischen Lagern, linke Kemalisten, kurdische Aktivisten, Armenier - Personen, die sich in der Türkei politisch bekämpften. "Wir teilen ein Schicksal", sagt Mustafa Altıoklar, das schweiße zusammen. In ihrem Verein soll es darum gehen, Ankommenden einen Anlaufpunkt zu bieten und ihnen zu helfen, mit den deutschen Behörden klar zu kommen - unabhängig von politischen Präferenzen.
Mitten in Kreuzberg, im Café am Engelbecken, schwelgen die Türken in nostalgischen Erinnerungen über ihr Leben in Istanbul. Die meisten wohnten in den Vierteln rund um den Taskimplatz und der Istiklal, jener größten Fußgängerstraße der Metropole, in deren Abzweigungen sich hunderte Bars, Cafés, Kinos und Galerien befinden, die zunehmend verschwinden. Die Istiklal in Istanbul, sie galt als liberale Lunge des Landes. Und das wird sie auch wieder, glaubt Mustafa Altıoklar. Bis es so weit ist, verweilt die Diaspora in den Cafés von Berlin-Kreuzberg, ihrem "kleinen Istanbul".