Türkei:Drucker spuckt Flugblätter auf Istanbuls Straßen

Türkei: Flugblätter, wortwörtlich: Die Seiten segelten durchs gekippte Fenster.

Flugblätter, wortwörtlich: Die Seiten segelten durchs gekippte Fenster.

(Foto: ZPS)

Und das gleich am Gezipark. Die Botschaft der Kunstaktion ist eindeutig: "Wir fordern den Rücktritt des Diktators Erdoğan und die Ausrufung von freien Wahlen."

Von Alex Rühle

Es fing als lokale Farce an und endete fürs Erste mit einem Coup in der Türkei. Am vergangenen Montag erhielten Münchner Schulen Unterrichtsmaterialien vom "Bayerischen Staatsministerium für Bildung, Kultur und Demokratie". Schülerinnen und Schüler sollten, in Erinnerung an Hans und Sophie Scholl, Flugblätter gegen aktuelle Diktatoren verfassen. Der Sieger von "Scholl 2017" dürfe in eine Diktatur seiner Wahl reisen und dort sein Flugblatt verteilen. Es gab auch einen Abend in den Kammerspielen, bei dem in Anlehnung an Casting-Entertainment die besten Flugblätter prämiert wurden.

Die Medien rümpften die Nase über das Spektakel, hinter dem das Berliner Zentrum für politische Schönheit (ZPS) steckte. Die SZ schrieb, die Aktion sei als Kunst im öffentlichen Raum gescheitert, die FAZ empörte sich, dass Unmündige rekrutiert würden, für die AZ war's ein "müder Aprilscherz".

Offenbar war die Münchner Aktion aber nur der performative Auftakt für handfeste Taten. Anders gesagt: Das muss man erst mal schaffen - Hunderte regimekritischer Flugblätter mitten in Istanbul, genauer gesagt am Gezipark, dem seit den Protesten 2013 politisch aufgeladensten Ort der Türkei, zu verteilen, ohne sich erwischen lassen. Auf dem Flugblatt heißt es unter anderem: "Wir fordern den Rücktritt des Diktators Erdoğan und die Ausrufung von freien Wahlen. Wir fordern die Freilassung aller zu Unrecht Inhaftierten. Wir fordern Humanismus und Demokratie." Formuliert haben ihn laut ZPS Deutschtürken im Alter von 20 bis 24 Jahren im Rahmen von "Scholl 2017".

Natürlich wurde kein Unmündiger irgendwohin geschickt. Stattdessen hatte ein ZPS-Aktivist ein Hotelzimmer am Gezipark gemietet und einen mitgebrachten Drucker so an einem offenen Fenster aufgebaut, dass die druckfrischen Blätter auf die Straße hinausfliegen konnten. Dann reiste er ab - und der Drucker wurde via Google Cloud Print in Gang gesetzt. Außerdem hatte er zwei Kameras installiert, die das Ganze dokumentierten. Auf Netzpolitik.org und auf der Twitterseite des ZPS kann man nun sehen, wie die Blätter mitten ins Zentrum der Macht segeln - ein Akt von politischer Schönheit

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