Darf man sagen: Deine Vision mag ich nicht? Vor weich gezeichneten Augen, aus denen beidseitig Tränen tropfen und einem Wolf im Business-Anzug. Die Bilder sind nicht von Künstlern gemalt. Der Künstler Pawel Althamer hat unter dem Appell "Komm zeichnen!" Menschen in die St. Elisabeth Kirche geladen. "Greifen Sie zum Stift und übermalen Sie oder fügen Sie ihre Kommentare hinzu!" heißt es auf einem Plakat, das im gleichen Glaskasten vor dem Kirchhof hängt, in dem für "Still Sunday" und die Gospelkonzerte "Querbeat" geworben wird. So sieht sie also aus, die siebte Ausgabe der Berlin Biennale, die vom polnischen Künstler Artur Zmijewski unter dem Motto "Forget Fear" einen "Zugang zu performativer und wirksamer Politik" eröffnen soll und den "normalen Bürger mit den Werkzeugen für Aktion und Veränderung" ausstatten" will.
Gerade auch auf 20.000 Briefmarken in Deutschland unterwegs: Khaled Jarrars Stempel vom "State of Palestine".
(Foto: Reuters)Die Berlin Biennalen waren eng mit dem Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole verknüpft, seit einigen Jahren verstehen sich die Großausstellungen aber auch als Gegengewicht zur Galerienszene. Dass Zmijewski diesen Raum öffnete, indem er die russischen Untergrund-Künstler Voina neben Joanna Warsza zu Ko-Kuratoren berief, hat seiner Ausstellung im Vorfeld viel mediale Beachtung beschert.
Wie auch der Aufruf von Martin Zet, der Exemplare von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" einsammeln und zu einer Installation schichten wollte, was viele an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen erinnerte. Die Kunstszene nahm das als Versprechen auf eine unkorrumpierte, neue Kunst. Und tatsächlich: Auf der Pressekonferenz werden Demonstrationszüge angekündigt und im Untergeschoss der Kunstwerke campiert die Indignados/Occupy-Bewegung.
Doch das Kunstpublikum, an das sich eine Ausstellung eben vor allem richtet, kann als radikalste Geste nur die Bewegung des Künstler-Kurators Artur Zmijewski notieren, der zur Vorbereitung eine weltweite Recherche an den Orten politischer Umbrüche von Nordafrika bis Russland unternahm. Denn dort fand er nur wenige Künstler, die tatsächlich handfest an der Geschichte ansetzen: Khaled Jarrar, beispielsweise. Der Palästinenser hat einen Stempel für den Staat Palästina entworfen, im Innenring fliegt ein kleiner Vogel vor ein paar Blüten.
Birken aus Auschwitz
Wie am Bahnhof von Ramallah oder am Checkpoint Charlie versieht er auch in der Ausstellung nun Pässe mit dem kleinen Bild. An die 320 Birken, die Lukasz Surowiec im Gebiet um die Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau ausgrub, um sie in Berlin anzupflanzen, erinnert ein Saal voller Setzlinge. Am Südende der Friedrichstraße werkelt unterdessen Nada Prlja an ihrer "Friedensmauer", die künftig die Boutiquen und Kaffeebars im Norden von den Sozialwohnungen und Migrantenvierteln abtrennt.
Die Künstlerliste ist nur ein paar Dutzend Namen lang, es gibt nicht viel zu sehen, weil viele Projekte erst noch stattfinden werden wie Yael Bartanas "Erster Internationaler Kongress des Jewish Renaissance Movement in Poland". Andere finden gar nicht in Berlin statt, wie "Dortmund den Dortmundern - wem gehört die Stadt" oder die Aktion auf dem steirischen Herbst "Rebranding European Muslims" oder das Gentrifizierungsprogramm des "Institute of Human Activities" im Kongo, das auf fünf Jahre angelegt ist und zum Eröffnungsseminar in eine Bambussiedlung 70 Kilometer nördlich von Kinshasa lädt.
Während man aus dem Kongo in der Ausstellung nur ein Video zu sehen bekommt, liegen zumindest überall Exemplare der Zeitung aus, mit der die belorussische Künstlerin Marina Naprushkina in Minsk die Utopie einer Nach-Lukaschenko-Epoche wie in einem Comic ausmalt.
"Wir erhofften eine Situation, in der künstlerische Aktionen nicht nur Kunst hervorbrächten, sondern auch in der Lage wären, politische Wahrheiten zu enthüllen - ein Potential, bestimmte Aspekte unserer gemeinsamen Wirklichkeit zu verändern; so dass Kunst die Macht der Politik erlangen würde", formuliert das Katalogvorwort. Doch damit zitiert es nur Beuys alte Utopie von der sozialen Plastik - und ist schlussendlich der radikalste ästhetische Akt der Berlin Biennale. Sie erlaubt es, das in den Zwanzigern gebaute Deutschlandhaus, seit den Sechzigern "Haus der ostdeutschen Heimat", wie ein Objekt zu präsentieren, dessen Buntglasfenster allegorisch an Preußens Pferdezucht und Schlesiens Leinweberei erinnern.