Süddeutsche Zeitung

Berlin Biennale 2012:Occupy geht immer

Symbolische Besetzung durch die Occupy-Bewegung und pathetischer Kitsch: Unter dem Motto "Forget Fear" will die 7. Berlin Biennale politische Wahrheiten enthüllen, tatsächlich erweist sich vieles nur als Provokation. Das Etikett "Kunst" pappt dabei auf vielen Anliegen wie eine Camouflage.

Catrin Lorch

Darf man sagen: Deine Vision mag ich nicht? Vor weich gezeichneten Augen, aus denen beidseitig Tränen tropfen und einem Wolf im Business-Anzug. Die Bilder sind nicht von Künstlern gemalt. Der Künstler Pawel Althamer hat unter dem Appell "Komm zeichnen!" Menschen in die St. Elisabeth Kirche geladen. "Greifen Sie zum Stift und übermalen Sie oder fügen Sie ihre Kommentare hinzu!" heißt es auf einem Plakat, das im gleichen Glaskasten vor dem Kirchhof hängt, in dem für "Still Sunday" und die Gospelkonzerte "Querbeat" geworben wird. So sieht sie also aus, die siebte Ausgabe der Berlin Biennale, die vom polnischen Künstler Artur Zmijewski unter dem Motto "Forget Fear" einen "Zugang zu performativer und wirksamer Politik" eröffnen soll und den "normalen Bürger mit den Werkzeugen für Aktion und Veränderung" ausstatten" will.

Die Berlin Biennalen waren eng mit dem Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole verknüpft, seit einigen Jahren verstehen sich die Großausstellungen aber auch als Gegengewicht zur Galerienszene. Dass Zmijewski diesen Raum öffnete, indem er die russischen Untergrund-Künstler Voina neben Joanna Warsza zu Ko-Kuratoren berief, hat seiner Ausstellung im Vorfeld viel mediale Beachtung beschert.

Wie auch der Aufruf von Martin Zet, der Exemplare von Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" einsammeln und zu einer Installation schichten wollte, was viele an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen erinnerte. Die Kunstszene nahm das als Versprechen auf eine unkorrumpierte, neue Kunst. Und tatsächlich: Auf der Pressekonferenz werden Demonstrationszüge angekündigt und im Untergeschoss der Kunstwerke campiert die Indignados/Occupy-Bewegung.

Doch das Kunstpublikum, an das sich eine Ausstellung eben vor allem richtet, kann als radikalste Geste nur die Bewegung des Künstler-Kurators Artur Zmijewski notieren, der zur Vorbereitung eine weltweite Recherche an den Orten politischer Umbrüche von Nordafrika bis Russland unternahm. Denn dort fand er nur wenige Künstler, die tatsächlich handfest an der Geschichte ansetzen: Khaled Jarrar, beispielsweise. Der Palästinenser hat einen Stempel für den Staat Palästina entworfen, im Innenring fliegt ein kleiner Vogel vor ein paar Blüten.

Birken aus Auschwitz

Wie am Bahnhof von Ramallah oder am Checkpoint Charlie versieht er auch in der Ausstellung nun Pässe mit dem kleinen Bild. An die 320 Birken, die Lukasz Surowiec im Gebiet um die Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau ausgrub, um sie in Berlin anzupflanzen, erinnert ein Saal voller Setzlinge. Am Südende der Friedrichstraße werkelt unterdessen Nada Prlja an ihrer "Friedensmauer", die künftig die Boutiquen und Kaffeebars im Norden von den Sozialwohnungen und Migrantenvierteln abtrennt.

Die Künstlerliste ist nur ein paar Dutzend Namen lang, es gibt nicht viel zu sehen, weil viele Projekte erst noch stattfinden werden wie Yael Bartanas "Erster Internationaler Kongress des Jewish Renaissance Movement in Poland". Andere finden gar nicht in Berlin statt, wie "Dortmund den Dortmundern - wem gehört die Stadt" oder die Aktion auf dem steirischen Herbst "Rebranding European Muslims" oder das Gentrifizierungsprogramm des "Institute of Human Activities" im Kongo, das auf fünf Jahre angelegt ist und zum Eröffnungsseminar in eine Bambussiedlung 70 Kilometer nördlich von Kinshasa lädt.

Während man aus dem Kongo in der Ausstellung nur ein Video zu sehen bekommt, liegen zumindest überall Exemplare der Zeitung aus, mit der die belorussische Künstlerin Marina Naprushkina in Minsk die Utopie einer Nach-Lukaschenko-Epoche wie in einem Comic ausmalt.

"Wir erhofften eine Situation, in der künstlerische Aktionen nicht nur Kunst hervorbrächten, sondern auch in der Lage wären, politische Wahrheiten zu enthüllen - ein Potential, bestimmte Aspekte unserer gemeinsamen Wirklichkeit zu verändern; so dass Kunst die Macht der Politik erlangen würde", formuliert das Katalogvorwort. Doch damit zitiert es nur Beuys alte Utopie von der sozialen Plastik - und ist schlussendlich der radikalste ästhetische Akt der Berlin Biennale. Sie erlaubt es, das in den Zwanzigern gebaute Deutschlandhaus, seit den Sechzigern "Haus der ostdeutschen Heimat", wie ein Objekt zu präsentieren, dessen Buntglasfenster allegorisch an Preußens Pferdezucht und Schlesiens Leinweberei erinnern.

Das Programm der Biennale reiht einen Empfang zu Ehren der Roma-Ältesten im Zentrum Hungaricum zwischen Vorträge zu "Image Resistance in Egypt" und die Führung "Kuratieren im Bundestag". Und das Nachstellen der Schlacht um Berlin als Re-Enacment in Warschau und im Spreepark ist eigentlich ein Plagiat: Der Brite Jeremy Deller hatte für sein Werk "The Battle of Orgreave" schon vor Jahren eine Bergarbeiter-Schlacht in Szene gesetzt.

Sind solche bildmächtigen Schocker die wirksame Kunst, die Zmijewski propagierte? Oder wird man den Einfluss der Projekte am Flughafen dingfest machen, wenn die Vertreter der international geächteten Terror-Organisationen dort polizeilich festgehalten werden, die der Künstler Jonas Staal Anfang Mai zum "New World Summit" in die Sophiensäle geladen hat?

Das Etikett "Kunst" pappt auf vielen Anliegen wie eine Camouflage: Dass das Aida-Flüchtlingslager der Schau den "Key of Return" übergibt, ist ästhetisch betrachtet noch platter als die Buntglasfenster im Deutschlandhaus. Ein Video dokumentiert die Reise des meterlangen Metallschlüssels, schwenkt dabei bei jeder Gelegenheit auf gerührte Palästinenser.

Ein Kind als Hommage an Berlin

Wirklich okkupiert ist nicht die mit Jurten, bunten Parolen und Schlafsackwürsten gefüllte Etage der Kunstwerke, wo Indignado/Occupy auf Einladung der Veranstalter ihr Lager aufgeschlagen haben. Okkupiert ist das Kunstpublikum. Das bekommt am gleichen Ort, an dem es mit Absalons Zellen oder dem "Phantom Truck" von Inigo Manglano-Ovalle schon politische Kunst erlebt hat, jetzt die Duchamp-Paraphrase "Das Schweigen wird überbewertet" vorgesetzt, für die ein Occupy-Aktivist ein paar Plastikflaschen wie Schachfiguren aufgereiht hat.

Doch wie vor den Amateur-Zeichnungen in der Kirche oder dem Riesenschlüssel ist es schwer möglich, aktivistische Setzungen von Amateuren zu analysieren. Und umgekehrt: Wie soll man mit einem Konzept umgehen, wie dem von Joanna Rajkowska, einer Künstlerin, die entschied, ihr Kind als Hommage an Berlin in der Charité auf die Welt zu bringen? Ein leinwandfüllendes Video schneidet Großstadtszenen gegen Mutterbauch und Kreißsaal.

Arthur Zmijewskis Essay decodiert das Kind Rosa nun wie ein Kunstwerk: Zwei Wochen zu spät geboren, habe "Rosa die Entscheidung von Joanna und ihrem Mann Andrew nicht akzeptieren wollen". Dass das Baby Retina-Krebs hat, ist ikonographisches Detail seiner Betrachtung: "Könnte es sein, dass Rosa die Stadt, in der sie lebte und die in ihrer Geburtsurkunde stand, nicht sehen wollte?"

Man hätte diesen pathetischen Kitsch lieber nicht gelesen, diesen Geburtsakt nicht bezeugt - ist nun Mitgefangener der gewaltigen Behauptung von der unmittelbaren Wirksamkeit der Kunst, die häufig doch nur Provokation ist. Man möchte diese Ausstellung nicht empfehlen, muss jedoch konstatieren, dass es Artur Zmijewski gelungen ist, das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft neu zusammen zu zwingen.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2012/mapo
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