"The Power of the Dog" im Kino:Die Leiden der Anderen

Lesezeit: 3 min

Wäre dieser Mann zur Liebe fähig gewesen? Benedict Cumberbatch (links) als Phil Burbank in "The Power of the Dog". (Foto: Kirsty Griffin/Netflix)

Benedict Cumberbatch als grober Cowboy? Geht das ? Jane Campion hat es in ihrem neuen Film ausprobiert.

Von Susan Vahabzadeh

Wenn es je einen Autor gegeben hat, der den Wilden Westen nicht romantisch fand, dann war es Thomas Savage. Savage, geboren 1915 in Salt Lake City und aufgewachsen in Montana, war die Antithese zu Owen Wister, der mit Wildwestromanen Furore machte (unter anderem "The Virginian"), in Wirklichkeit aber aus einer wohlhabenden Familie in Philadelphia stammte. Savage war das Ranchleben zuwider, er fand, die raue Natur und die rauen Sitten würden die Menschen formen. Sein Phil Burbank ist so ein Typ. Er verspottet seine Schwägerin, manche seiner Demütigungen sind sogar ziemlich aufwendig; und wenn er merkt, dass sie heimlich trinkt, weil sie es kaum aushält, mit ihm unter einem Dach Leben zu müssen, verwendet er auch das gegen sie. Er wäscht sich nur ungern, weil er Baden unmännlich findet und ist grausam zu jedermann, letztlich auch zu sich selbst.

Man käme jetzt nicht drauf, den auf kapriziöse Feingeister spezialisierten britischen Schauspieler Benedict Cumberbatch in dieser Rolle zu besetzen, aber genau den hat sich Jane Campion ausgesucht als Anti-Helden in ihrer Verfilmung von Savages "The Power of the Dog". Gleich in der ersten Szene ist der fiese Phil in Hochform. Mit seinen Cowboys sucht er ein Restaurant in der Nähe der Ranch heim, die Witwe Rose (Kirsten Dunst) betreibt es in dem kleinen Ort in Montana zu Beginn der Zwanziger-Jahre. Phil und seine Jungs poltern durchs Lokal, verschrecken die anderen Gäste und hänseln ihren Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee), der Servietten zu Figuren faltet. Am Ende verschanzt sich Rose in Tränen aufgelöst in der Küche. Da hat Phil vielleicht einen Fehler gemacht. Sein Bruder George (Jesse Plemons), mit dem ihm die Ranch gehört und der ein ordentlicherer Mensch ist als er selbst, geht ihr nach, um sich für den ganzen Auftritt zu entschuldigen, und sehr bald sieht Phil Rose dann wieder - als Georges Frau.

Hat es nicht leicht, mit der Wildnis und mit den Männern: Kirsten Dunst als Rose. (Foto: AP/Netflix)

Die Ranch wird für Rose kein Zuhause, weil Phil dafür sorgt, dass sie sich nie entspannen kann. Peter geht in der Stadt zur Schule und kommt nur noch in den Ferien, aber zwischen ihm und Phil bricht dann bald eine unerwartete Freundschaft aus. Man ahnt, Phils Männlichkeitswahn soll ganz andere Emotionen verbergen, beispielsweise, dass er nur seinen verstorbenen Freund Bronco Henry je wirklich geliebt hat - und ausgerechnet in dem zarten Jungen mit seinem Sinn für Ästhetik sucht er nun einen Ranch-Lehrling, der mit ihm ausreitet und Seile aus Lederstreifen knüpft.

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Campion, die vor fast dreißig Jahren mit "Das Piano" einen Triumphzug aus Cannes zu den Oscars vollführte, lässt den amerikanischen Westen als unwirtlichen Ort ganz meisterlich wieder auferstehen - für "The Power of the Dog", von dieser Woche an in Deutschland im Kino zu sehen und von Dezember an auf Netflix, wurde sie in diesem Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet. Ihre Figuren, allen voran der fiese Phil, entwickeln einen besonderen Sog. In einer herrlichen Szene liebkost Burbank traurig den Seidenschal von Bronco Henry; und ein Piano spielt in einer seiner ausgetüftelten Ekeleien eine tragende Rolle.

Dennoch wirken die Western der Amerikanerin Kelly Reichardt - ihr neuester, "First Cow", startet in Deutschland auch in dieser Woche - konzentrierter. Für Campion wie Reichardt ist das Genre ein guter Ort, die Gesellschaft in einer Art Urzustand zu zeigen. Aber es gibt da einen wesentlichen Unterschied: In "First Cow" untersucht Reichardt wie Handel und Besitz die Gemeinschaft verändern, die Solidarität zersetzen und den Gerechtigkeitssinn unterminieren. Ob es Jane Campion nun bewusst ist oder nicht: In der Gemeinschaft, die sie beschreibt, hat keiner einen blassen Dunst, was Gerechtigkeit ist, Phil so wenig wie die Opfer seiner Grausamkeiten.

Die Fiktion ist ein Ort jenseits von Gut und Böse

Diese eigenartige Ambivalenz aller Figuren liegt vielleicht in der Romanvorlage begründet. Savage, der "The Power of the Dog" 1967 geschrieben hat, verarbeitet hier tatsächlich die eigene Familiengeschichte: Es war seine eigene Mutter, die in die Rancher-Familie Brenner einheiratete und zu trinken begann, er hatte tatsächlich einen Onkel, der wie Phil in seiner Fiktion ein Fiesling und Frauenhasser war - man kann allerdings davon ausgehen, dass Savage, der damit sich selbst in dem Jungen hätte wiederfinden müssen, der versucht, seine Mutter zu retten, sich das Ende des Romans als heilsame Fiktion erträumte.

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Die Fiktion ist ein Ort jenseits von Gut und Böse, aber das Kino hat dennoch ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit. Sie arbeitet mit natürlichem Licht, die feuchte Kälte von Montana kann man fast spüren - obwohl sie genaugenommen in Neuseeland gedreht hat - und sie geht ganz nah heran an ihre Darsteller, beobachtet, wie ihre Hände die Gegenstände um sie herum berühren. Sie versucht also, eine Welt herzustellen, die fast greifbar real wirkt, und in der entwickelt die Idee eines gerechten Mordes einen merkwürdigen Beigeschmack. Vielleicht sieht man "The Power of the Dog" am besten als Angebot, über das Verhältnis von Selbstjustiz und Gerechtigkeit nachzudenken.

The Power of the Dog - Neuseeland/Australien 2021. Regie und Drehbuch: Jane Campion. Kamera: Ari Wegner. Mit: Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Kodi Smit-McPhee, Jesse Plemons. Netflix, 128 Minuten.

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