"Before Midnight" im Kino:Weltanschauungen entwerfen und verwerfen

Das ist eine Schwäche dieser Fortsetzungen, ohne die sie gar nicht existieren könnten: Je weiter Linklater, Hawke und Delpy die Geschichte spinnen, desto weniger öffnet sie sich für neue Zuschauer, die damals, am Anfang, noch nicht dabei waren. Was bedeuten all diese Veränderungen schon, wenn man nicht selbst mitgealtert ist in den achtzehn Jahren zwischen der Begegnung im Zug und dem Urlaub in Griechenland?

Richard Linklater zieht es in seinen Filmen oft ins Philosophische, ins Textlastige - er hat zwar immer wieder mal großes Entertainment-Kino gemacht, "School of Rock" beispielsweise, aber er ist eher in seinem Element, wenn in seinen Geschichten Weltanschauungen entworfen und wieder verworfen werden, der Fluss der Geschichte tausend Details, Ideen und Gedanken vor sich hertreibt.

In "Before Midnight" webt er ganz meisterlich kleine Spiegelungen ein; was eigentlich erzählt uns der Ort, ausgerechnet Griechenland, über zerstörte Träume? Und Jesse: Seine Romane holt er aus seinem Leben, und man stößt im Verlauf des Films immer wieder auf seine Inspirationsquellen: die Frau, die in allem den Tod sieht, den Mann, der sich mit allem verbunden fühlt.

Es wird nichts aus der verordneten Erholungspause im Hotel, kaum ist der Druck der Funktionstüchtigkeit weg, fangen Jesse und Celine zu zanken an, hauen einander alles um die Ohren, was sie sich den Tag über, der Kinder und der Freunde wegen, verkniffen haben: Gerade jetzt, wenn ich ein gutes Jobangebot habe, willst du nach Chicago ziehen, du Chauvi . . . Wir sind damals nur deinetwegen zurück nach Europa gekommen . . . Du wirst mir ewig vorhalten, dass du meinetwegen dein Kind zurückgelassen hast, dabei wäre deine Ehe doch auch ohne mich in die Brüche gegangen . . .

In dem Stil geht es weiter, bis sie sich in eine kapitale Krise hochgeschaukelt haben. Und es beschleicht einen die Angst, dass "Before Midnight" womöglich der letzte Akt sein könnte, was dann mindestens so dramatisch wäre wie eine Scheidung im engsten Freundeskreis, wenngleich unterhaltsamer.

Beeinander angekommen

Weißt du, fragt Celine, was der Unterschied ist zwischen Frauen und Männern? Männer glauben an kleine Feen, die heimlich ihre schmutzigen Socken einsammeln und Essen machen. Du machst nur deswegen keine Musik mehr, kontert Jesse, weil du dann keine Zeit mehr hättest, acht Stunden täglich herumzunörgeln.

Die beiden sind beieinander angekommen - es gibt keine Grenze mehr für ihr Zusammensein, nirgendwo wartet ein Flugzeug, das sie wieder trennen wird. Sie sind, wo sie sein wollten: Sie kennen einander gut genug, um zu wissen, was wehtut, und sie streiten sich in perfekter Choreografie.

Before Midnight, USA 2012 - Regie: Richard Linklater. Drehbuch: Linklater, Ethan Hawke, Julie Delpy. Kamera: Christos Voudouris. Mit: Ethan Hawke, Julie Delpy, Athina Rachel Tsangari Prokino, 109 Min.

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