Auszeichnung:Die Geschichte mit dem Ast

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Multitalent Josef Hader erhält den Ödön-von-Horváth-Preis. Das Motto des zugehörigen Festivals in Murnau lautet "Tanz auf dem Vulkan"

Von Sabine Reithmaier

Im Jahr 1927 beantragte Ödön von Horváth in Murnau die bayerische und damit die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Regierung von Oberbayern lehnte die Einbürgerung des ungarischen Diplomatensohns ab, vermutlich weil der 26 Jahre alte Schriftsteller kein regelmäßiges Einkommen vorweisen konnte. Trotz der Ablehnung blieb Murnau aber der Ort, an dem der schon als Kind häufige Umzüge gewohnte Horváth die längste Zeit seines Lebens verbrachte. Von 1924 bis 1933 lebte er dort überwiegend im Landhaus seiner Eltern, entdeckte im Ort die Vorbilder für manche seiner Figuren, schrieb "Die Bergbahn", "Zur schönen Aussicht" oder "Italienische Nacht", allesamt Theaterstücke, die ihn bis heute zu einem der meistgespielten Autoren auf deutschsprachigen Theaterbühnen gemacht haben.

Grund genug also für die Murnauer Horváth-Gesellschaft, regelmäßig an den Schriftsteller zu erinnern. Bereits seit 1998 finden im Markt die Horváth-Tage im dreijährigen Turnus statt. Immer mit eigenen Theaterinszenierungen, Lesungen, Gesprächen und Kooperationen mit anderen Institutionen, wie dem Deutschen Theatermuseum München, das noch bis zum 17. November eine Horváth-Ausstellung zeigt. Genauso lange dauert das achte Festival (8. bis 17. November) in Murnau. "Tanz auf dem Vulkan" sind die Tage betitelt mit dem klaren Ziel, Bezüge zwischen der politischen Lage der Weimarer Republik und der aufgeheizten Stimmung der Jetztzeit herzustellen.

Die Konzeption stammt - wie schon in den Jahren zuvor - von Gabi Rudnicki und Georg Büttel, der ersten und dem zweiten Vorsitzenden der Horvath-Gesellschaft. Der künstlerische Leiter ist als Autor und Regisseur mit zwei Inszenierungen vertreten: Zum einen mit einer dramatisierten Neufassung von Horváths erstem Roman "36 Stunden", der Geschichte der arbeitslosen Näherin Agnes Pollinger, die in der Münchner Schellingstraße wohnt und längst weiß, dass die Welt nach kaufmännischen Regeln tickt, weshalb sie sich immer wieder mit Männer einlassen muss, um zu überleben (12. und 13. November). Horváth hat den 1928 fertiggestellten Roman zu Lebzeiten nicht veröffentlicht, ihn aber intensiv als Fundgrube für seinen "Ewigen Spießer" genutzt.

Büttels zweite Inszenierung ist eine Dramatisierung von Erich Kästners Roman "Fabian - die Geschichte eines Moralisten". Der Zeitgenosse Horváths erkundet darin den seelischen Niedergang der Berliner Großstädter kurz vor Hitlers Machtübernahme. Das Buch erschien 1931 in etwas entschärfter Form; der Verleger fand einige Sexszenen zu drastisch, und manche politische Bemerkung zu dreist. Die Originalfassung wurde erst 2013 veröffentlicht mit dem von Kästner favorisierten Titel "Der Gang vor die Hunde". Diese Fassung hat sich Georg Büttel auch für seine Tragikkomödie vorgenommen (16. und 17. November).

Das Motto des Festivals dient übrigens auch als Titel einer literarischen Revue: Die Schauspieler Birgit Minichmayr und Michael Grimm interpretieren den "Tanz auf dem Vulkan" (10. November) mit Texten von Horváth, Kästner und Tucholsky, die Musik stammt vom Murnauer Komponisten Thomas Unruh. Die Eröffnungsveranstaltung an diesem Freitag, 8. November, moderiert Christoph Süß, Georg Büttel verbunden noch aus den Zeiten, als beide gemeinsam mit Sebastian Bezzel und Andreas Hohenadl als Kabarettgruppe "Kummerspiele" auftraten.

An diesem Abend vergibt die Murnauer Horváth-Gesellschaft auch zum dritten Mal den Ödön-von-Horváth-Preis. Nach Felix Mitterer (2013) und Edgar Reitz (2016) erhält ihn in diesem Jahr Josef Hader, vermutlich nicht nur deshalb, weil er über den Pariser Ast, der Horvath 1938 erschlug, eine bizarre Kabarettnummer gemacht hat. Der Förderpreis geht an die Berliner Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Trobisch. "Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schreibe, das ist die Dummheit und die Lüge. Und zwei, wofür ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrichtigkeit", notierte Ödön von Horváth einmal. Dieser Bemerkung widmen sich die "Horváth-Gespräche" an zwei Nachmittagen. Wer an den Festival-Samstagen im Markt unterwegs ist, hat übrigens gute Chancen, Horváth oder einer seiner Figuren zu begegnen. Die Schauspielerin Chiara Nassauer-Boitsos schlüpft in verschiedene Rollen, lässt sich durch den Ort treiben und in Gespräche verwickeln.

Tanz auf dem Vulkan. Murnauer Horváth- Tage , Fr., 8., bis So., 17. Nov., verschiedene Orte in Murnau, mehr Informationen unter www.horvath-gesellschaft.de

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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