Ausstellungen:Überflieger und andere Gestalten

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In der Galerie Jahn und Jahn widmen sich zahlreiche Künstler dem Thema "Computer und Papier", bei Barbara Gross beweist Andrea Büttner, dass auch alte Techniken wie Holzschnitt und Radierung eine moderne Sprache sprechen

Von Evelyn Vogel

Was für ein Überflieger - wenn auch in einer ganz anderen Form als in der, in der Horst Seehofer, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident und jetziger deutscher Innenminister, sich gerne sieht. Hier schwebt er als eine animierte Figur, die selbst in Auflösung begriffen ist, begleitet von musikalischen Botschaften in Tai-Chi-Manier über Ruinenlandschaften. Wobei sich alsbald herausstellt, dass es sich bei der Radierung der "Ruine" um eine Variante der CSU-Zentrale handelt. Das raffiniert gemachte Video stammt von Soyon Jung, einer jungen koreanischen Künstlerin, die in Hamburg lebt, wo sie bei Haegue Yang und Jutta Koether studiert hat. Es ist das vielleicht überzeugendste, in jedem Fall überraschendste Beispiel dafür, wie souverän Künstler bei Jahn und Jahn das Thema "Papier und Computer" auslegen.

Im Rahmen von "Various Others" haben Matthias Jahn und Tim Geissler Künstler von Galerien aus Hamburg und Berlin eingeladen, die auf unterschiedliche Weise den Spagat zwischen den beiden Bildmedien vollziehen. Papier als eines der ältesten Zeichenträger, digitale Technik, die neue Ausdrucksformen schafft und sich doch immer wieder auf Vorläufer bezieht. So sind Arbeiten von Albert Oehlen und Laura Owens zu sehen, die sich früh mit Computerbildern beschäftigten. Avery Singer übersetzt digitale Motive in analoge, während Thomas Baldischwylers Werk diese Praxis extrem verdichtet. Felix Thiele hat keramische Arbeiten in Form von Smartphones vorgelegt, deren Preise sich an denen der aktuellen iPhones orientieren. Der Preisverlust ist Teil des Kunstwerks.

"Alles ist vergeben - Totenbuch der Städte (München, Kabul)" nennt Soyon Jung ihre 2019 entstandene Computeranimation auf Radierung. (Foto: courtesy of the artist)

Dass auch ältere Künstler immer für Überraschungen gut sind, beweist der 90-jährige Rudi Tröger. Ihm zu Ehren hat Fred Jahn in den Räumen nebenan eine beachtliche Werkschau eingerichtet.

Computer und Papier: Conradi, Hamburg, und Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin, bei Jahn und Jahn, Baaderstraße 56c, bis 12. Okt., Rudi Tröger , Galerie Jahn und Jahn, Baaderstraße 56b, bis 19. Okt., Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr

Papier und Smartphones spielen auch bei der Ausstellung von Andrea Büttner eine Rolle. Die aus Stuttgart stammende 47 Jahre alte Künstlerin lebt in London und Frankfurt und war vor zwei Jahren für den renommierten Turner Prize nominiert. Sie bespielt ihre Londoner Galerie Hollybush Gardens und die Münchner von Barbara Gross anlässlich von "Various Others" parallel. In München steht eine Serie riesiger Holzschnitte - zumeist Unikate - im Mittelpunkt. Die mit wenigen Gesten dargestellte gebeugte Gestalt einer Bettlerin erinnert an ein Werk Ernst Barlachs. Doch die Ikonografie der Armut und der Scham spielt seit je her eine wichtige Rolle in Andrea Büttners Werk.

"Beggar", Holzschnitt von 2016 von Andrea Büttner. (Foto: Wilfried Petzi / VG Bild-Kunst, Bonn 2019 / Courtesy Barbara Gross Galerie, Munich and Hollybush Gardens, London)

Bei der Scham treffe man an die Grenzen der Darstellbarkeit, die Rezeption sei wesentlich vom Publikum abhängig, ist sie überzeugt. Dass sie mit ihrer Darstellung der Bettlerin die Betrachter anzurühren vermag, liegt nicht nur an der demutsvollen Haltung, wie sie einem jeden permanent auf den Straßen begegnet, sondern auch an der enormen Größe von Büttners Holzschnitten. Dadurch sieht sich der Betrachter wie lebensgroß wirkenden Gestalten gegenüber. Die wechselvolle Geschichte dieses Mediums in der europäischen Kunst, von der mittelalterlichen Verbreitung über seine vorläufige Hochphase im Expressionismus bis fast zur Bedeutungslosigkeit in der Nachkriegsmoderne reizt Büttner.

Neben weiteren Holzschnitten wie "Coins", "Potato" und "Piano" sind mehr als zwei Meter hohe Farbradierungen zu sehen. In diesen "Phone Etchings" folgte sie schon vor Jahren den Fingerspuren auf der Oberfläche von Smartphones. Bei Barbara Gross hat sie diese großformatigen Radierungen, die zudem mit gerundeten Ecken wie Smartphones gerahmt sind, auf eine mit gelbem Teppich bespannte Wand gehängt. Damit knüpft sie an ihre "Fabric Paintings" an. Wie hier der Bogen von einem digitalen Thema zu einem analogen Material geschlagen wird, ist bemerkenswert.

Andrea Büttner, Hollybush Gardens bei Barbara Gross Galerie, Theresienstraße 56, bis 31. Okt., Di-Fr 11-18.30h, Sa 11-16 Uhr

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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