Karikaturen:Mit weichem Herzen zugetan

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Die Karikaturisten Greser und Lenz haben ein Vierteljahrhundert lang eine Art bundesrepublikanische Geschichte von unten gezeichnet. Nun ehrt das Caricatura Museum sie mit einer Ausstellung.

Von Alex Rühle

Was ist zu tun, wenn einem als Jäger gerade die Wackersteine ausgegangen sind? Man nimmt kurzerhand die eigene Schopenhauergesamtausgabe und stopft dem Wolf damit den Bauch aus. Die ganze Zeichnung ein Märchenidyll, schindelgedecktes Haus am Waldrand, die Großmutter mit Brille und Schürze, Rotkäppchen daneben. Und im Vordergrund der Jäger, der pflichtbewusst und mit Gravitas im Blick seine kostbaren Folianten im Bauch des Wolfes versenkt.

Diese Zeichnung, abgedruckt 1996 im Feuilleton der FAZ, soll dem legendär grimmigen Politik-Herausgeber Johann Georg Reißmüller derart gut gefallen haben, dass er bei Achim Greser und Heribert Lenz anrief und ihnen sagte, sie sollten in Zukunft gefälligst für den Politikteil der Zeitung zeichnen. Bei der Titanic wurden seinerzeit Wetten abgeschlossen, ob die beiden erst nach sechs Wochen rausgeworfen werden oder schon früher.

Das Ganze ist mittlerweile 25 Jahre her, lange genug also, damit es auch eine zweite Version der Geschichte gibt, die Gustav Seibt erzählt, der damals noch nicht für die SZ schrieb, im FAZ-Feuilleton die Literaturseite verantwortete. Der zufolge habe Reißmüller ihn nach dem Abdruck einer anderen Greser/Lenz-Zeichnung angerufen und in den Hörer geraunzt: "Können Sie mir erklären, warum ich das lustig finde?"

Die Ausstellung liefert eine Art bundesrepublikanische Geschichte von unten

Wie auch immer, die Liaison "zwischen dieser hochseriösen Zeitung und uns als subkulturelle Narren" (Achim Greser) hält bis heute und deshalb wird nun Silberhochzeit gefeiert, in Form einer Ausstellung im Frankfurter Caricatura-Museum und eines Bildbandes, so groß und schwer, dass man mit einem einzigen Exemplar den Bauch jedes Wolfs ausfüllen könnte ("Schlimm. Ein Vierteljahrhundert Witze für Deutschland". Kunstmann-Verlag, 704 Seiten, 48 Euro).

Gleichzeitig liefern die Ausstellung und vor allem der noch viel üppigere Bildband eine Art bundesrepublikanische Geschichte von unten. Stoiberkandidatur und Hochwasser, Afghanistankrieg und Nahostkonflikt, Trump, Öko-Kindergarten, AfD und Corona, alles kommt vor, aber nie im dozierenden Stil. Statt auf einen Laster "Große Koalition" zu schreiben und den dann auf einen Abgrund zusteuern zu lassen; statt einen brennenden Reifen mit einem aktuellen Politproblem zu beschriften und einen ebenfalls beschrifteten Löwen dann hindurchspringen zu lassen, statt ausgelutschte Sprachbilder in simpler Symbolmechanik zu recyceln und so eine Art witzlosen Leitartikel in Piktogrammform zu liefern, verschalten die beiden Karikaturisten Kleinbürgerwelt und politische Großwetterlage so absurd miteinander, dass der Blitz einschlägt.

Ihrem Personal sind sie stets mit weichem Herzen zugetan, die Menschen haben Haare statt Frisuren, Mode kennen sie höchstens aus dem Wort Modelleisenbahn, und es ist ein großes Glück, dass man auf den Zeichnungen nicht an den ausgelatschten Hausschuhen riechen kann. Ein Fitnessstudio dürften die wenigsten von ihnen je von innen gesehen haben, sie schleppen ihren Körper eher wie eine Alditüte durch den provinziellen Alltag. Die Schlafzimmer, Küchen, Gasthäuser und Vorgärten, in denen sie ihre Lebenszeit absitzen, sind dabei jeweils so liebevoll bis ins Detail möbliert, dass man im hundert Meter neben dem Caricatura-Museum gelegenen Frankfurter Stadtmuseum eigentlich eine Parallelausstellung machen könnte über deutsche Wohnwelten.

Gleichzeitig aber ist im eher grauen Leben dieser Menschen die Magie daheim. Gern wird die biedere Existenz eines Angestellten kurzgeschlossen mit extraterrestrischen Kalamitäten oder Überraschungen aus Flora & Fauna, in dieser Hinsicht erinnern viele der Zeichnungen an Gary Larson mit seinen absurden Insektenszenen. Bei Greser und Lenz hält die Riesenkartoffel den hilflos zappelnden, erbsenkleinen Bauer auf dessen Acker in die Luft und droht: "Zahle mir ein Studium oder ich vergesse mich." Und als 2007 der außerordentlich milde Winter zu einer Zeckenplage führte, zeichneten sie eine Bushaltestelle, an der sich diverse Zeckenfamilien die Zeit vertreiben. Von links kommt ein riesiges Menschenbein angestapft, alle stehen Schlange zum Besteigen des Wirtstiers, von hinten mahnt eine Zeckenmutter mit Kopftuch: "Frauen und Kinder zuerst". Und nie wurde anmutiger beschämt zu Boden geblickt als von dem Außerirdischen, dessen Ufo vor der Stadtbibliothek schwebt und der selbst von der Mitarbeiterin am Rückgabeschalter zusammengestaucht wird, weil er die Ausleihfrist um 176 Jahre überschritten hat.

Außerdem sind beide Schüler der Neuen Frankfurter Schule, vor allem von F.K. Waechter, dem sie auch in einigen Bildern freundlich zuwinken: Wenn Angela Merkel bei einem hessischen Ehepaar zu Gast ist und auf dem Sofa mit Knabberfischli bewirtet wird, dann zitiert das eine Waechterzeichnung, auf der Gott mal wieder hienieden nach uns Menschen schauen will und in einer diesigen Zweiraumwohnung ebenfalls Knabberfischli gereicht bekommt.

Andreas Baader beim Treppeputzen, die Knarre im Hosenbund, die alte Nachbarin mit der flaschenglasdicken Brille geht vorbei und nennt ihn einen Segen für die Hausgemeinschaft; der Hassprediger, der in der Buchhandlung nach einem deutschen Schimpfwörterbuch fragt; alles Große wird auf den kleinen Alltag runtergebrochen, selbst die Taliban werden hier zu prosaischen Existenzen mit ihren Kalamitäten und Lebensnöten.

Dabei arbeiten sie bis heute mit Stereotypen wie Schnauzbart, Schlitzaugen, dicken Lippen oder Seppelhüten. Der FAZ-Herausgeber Berthold Kohler sagte bei der Eröffnung der Ausstellung, er habe einen dicken Ordner mit Karikaturen der beiden, die nicht gedruckt werden konnten, weil sie zu krass waren. Als die New York Times nach einer plump antisemitischen Zeichnung 2019 nicht nur die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Cartoonisten einstellte, sondern überhaupt alle Karikaturen einstellte, schrieb die Autorin Sarah Pines in der NZZ: "Radikale politische Korrektheit verlangt wertfreie Worte und Bilder, die Kategorien wie Rasse, Sexualität und Religion aussparen. Sie verträgt keine Zweideutigkeiten, keine Ambivalenzen, keinen Humor, keine ironischen Spitzen. Sie kann mit Bildwitz und pointierter Kritik nicht umgehen. Und sie verlangt, dass identitäre Aggressoren zensiert werden. Das ist der Spiegel, den die New York Times ihren Kritikern vorhält."

Kann das jemand wirklich wollen? Greser und Lenz jedenfalls machen unverdrossen weiter. Die beiden leben in einem großen Haus in Aschaffenburg, in je eigenen Wohnungen, teilen sich aber das Atelier, in dem die Ideen im gemeinsamen Gespräch entstehen. Ausgeführt wird dann aber nur von einem der beiden. Ihren Stil haben sie über die Jahre so perfekt symbiotisiert, dass die Kunstgeschichte in ferner Zukunft ganze Semesterkohorten auf diese Bilder wird ansetzen müssen, um herauszubekommen, wer da jeweils gezeichnet und gelettert hat. Das dürfte fürs Erste so weitergehen. Bei der Ausstellungseröffnung am Mittwoch wirkten Achim Greser und Heribert Lenz jedenfalls so fidel, dass man auf weitere 25 Jahre hoffen darf.

Greser&Lenz. Ein Vierteljahrhundert Witze für Deutschland. Caricatura Museum, Frankfurt. Bis 21. November. Info: caricatura-museum.de .

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