Ausstellung:Der eigene Rhythmus

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Jahrelang teilte sich Arnulf Rainer ein Atelier mit Karl Schleinkofer. Eine Ausstellung in Passau zeigt Werke der beiden Künstler, die ihre obsessive Intensität im Ausdruck verbindet

Von Sabine Reithmaier

Es ist ein schöner, alter Brauch, sich zum Geburtstag Freunde einzuladen. Arnulf Rainer, der im vergangenen Dezember seinen 90. Geburtstag feierte, hat sich daran erinnert und zu seiner Ausstellung in Museum Moderner Kunst in Passau Karl Schleinkofer eingeladen, einen Kollegen, den er seit langem kennt und schätzt. Mit Passau verbindet den österreichischen Maler ohnehin eine lange Beziehung.

1954 hatte er das heruntergekommene Schloss Vornbach, ursprünglich ein Kloster, in der benachbarten Gemeinde Neuhaus am Inn entdeckt und ein paar Räume gemietet, bevor er später den ganzen Ostflügel kaufte und auch renovierte. Dort im Schloss teilte er sich jahrelang ein Atelier mit Karl Schleinkofer. Dessen Arbeiten bereichern die Ausstellung enorm. Vermutlich ist der Passauer Künstler für viele Besucher, die Rainers wegen kommen, eine echte Entdeckung, wiewohl er alles andere als ein Unbekannter ist.

Schleinkofer, 1951 in Passau geboren, zeichnet seit Jahrzehnten ausschließlich mit Bleistift und Ölkreide. Er ist, was die Farben betrifft, reduziert auf Weiß, Schwarz und Grautöne. Aber was er mit diesen wenigen Mitteln schafft, ist beeindruckend. Seine Striche, mal dicht schraffiert, dann wieder eher schemenhaft, überlagern sich oft mehrfach, verdichten sich zu undurchdringlich geballten Knäueln, drängen sich in eine Ecke, würden, wenn möglich, das Papier wohl gern verlassen. Dann wieder schweben die Linien, nur leicht verdichtet, wie Flugkörper im Raum, erlauben einen Blick durch ihre Schichtungen, wirken fast wie Kokons. Überhaupt besitzen viele der Arbeiten etwas Organisches, erinnern an Pflanzen. Manche Blätter hat Schleinkofer erst mit Grafit grundiert, bevor er zur weißen Pastellkreide griff, um dann später wieder wenige dunkle Linien freizulegen. Auf diese Weise entstehen ungeheuer komplexe Oberflächen.

Arnulf Rainer und Karl Schleinkofer haben im selben Atelierhaus gearbeitet, jetzt sind sie gemeinsam in einer Ausstellung in Passau zu sehen. Rainers Spätwerk leuchtet farbintensiv, hier "o.T. 2015-2016". (Foto: Christian Schepe/MMK)

Schleinkofer hat in München bei Hans Baschang studiert, war auch einige Jahre dessen Assistent. Inzwischen unterrichtet er am Lehrstuhl für Kunstpädagogik an der Universität Passau. "Ein Strich ist sofort da, man kann ihn nicht machen, man soll ihn aus dem eigenen Rhythmus heraus annehmen", schrieb er 2015 in einem Katalog. Sein Ziel: "das analytisch kontrollierende, Besitz ergreifende Denken aus der Bahn zu werfen." Auf jeden Fall offenbart sich in Schleinkofers vielfältig eingesetztem Strich ein fast schmerzhaft intensiver Arbeitsprozess.

In dieser obsessiven Intensität trifft er sich wohl auch mit Arnulf Rainer, der dem Museum 80, größtenteils noch nicht gezeigte Arbeiten aus seinem Spätwerk zur Verfügung gestellt hat. Überwiegend Acrylmalereien auf Papier, aber auch Ölkreide, alles in einem vergleichsweise kleineren Format. Keine Übermalungen, mit denen Rainer berühmt wurde, seit er mit Kugelschreibern, Farbe und Kohlestiften Bilder zu übermalen begann. 1951 war er mit Maria Lassnig nach Paris gezogen, das Geld war knapp. Also, so lautet die Mär, erstand Rainer auf Flohmärkten alte Bilder, die billiger waren als neue Leinwände, und begann sie zu bearbeiten und auf die jeweiligen Motive zu reagieren. Von Anfang der Sechzigerjahre an übermalt er sowohl eigene Bilder als auch die von Kollegen, später auch Kreuze, Fotos und Selbstporträts, etwa von van Gogh, Totenmasken oder die "Charakterköpfe" des Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt (1736 - 1783), treibt "Malerei, um die Malerei zu verlassen", wie er selbst in einem Text schreibt. Die Serien, die er geschaffen hat, sind längst Legion.

Schleinkofer konzentriert sich in seinen Bildern auf Schwarz, Weiß und Grautöne, hier "o.T. 2018". (Foto: Christian Schepe/MMK)

In Passau hängen Bilder, die zwischen 2006 und 2016 entstanden sind, gemalt in seinen Ateliers in Oberösterreich und auf Teneriffa. Rainers Bewegungspuren sind deutlich zu erkennen. In langen, ruhigen Schwüngen zieht er in immer neuen Variationen den Pinsel über das Papier, lässt die Farbbahnen manchmal übereinander rinnen, auch Spritzer sind erlaubt. Abgesehen von einer "Schwarzen Serie", die Rainer für abgeschlossen erklärt hat, erstreckt sich das Spektrum von dunkel gedämpften bis hin zu kraftvoll leuchtenden und transparent leichten Kompositionen. Gemeinsam ist ihnen ein kontemplatives Moment.

Aufgrund der sehr dichten Hängung, auf der der Künstler und seine Familie bestanden, stellen sich allerdings leicht Ermüdungserscheinungen ein. Doch wer genügend Geduld mitbringt, entdeckt die poetische Kraft und das fast musikalische Zusammenspiel der Blätter.

Arnulf Rainer und Karl Schleinkofer , bis 23. Februar, Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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