Arthur Grumiaux:So geht Mozart

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Arthur Grumiaux (1921 - 1986) im November 1961. (Foto: Erich Auerbach/Getty)

Der große Violinist Arthur Grumiaux wäre dieses Jahr 100 geworden. Eine CD-Box würdigt sein Werk.

Von Harald Eggebrecht

Leicht, ohne Forcierung, die Melodielinie nie verdeckend, sondern sie unangestrengt heraushebend spielte Arthur Grumiaux 1960 aus Johann Sebastian Bachs E-Dur-Solopartita BWV 1004 die "Loure " in sanft sich wiegendem Rhythmus. Einst ein ländlicher Tanz, der am Hof von Versailles bei den großen Balletten zu Ehren des Königs gern zur Charakterisierung naturhafter Wesen benutzt wurde. Grumiaux' klarer schlanker Ton, dem Verschleierungen oder gar Verdüsterungen genauso fremd waren wie expressionistische Glut oder manieristische Klangfarbenextreme, eignete sich für die E-Dur-Partita ausgezeichnet. Im Zyklus der Solosonaten und Partiten steht diese heitere, lichte Partita am Ende, so als sei sie der besänftigende, erleichternde Ausklang nach den Fugengebirgen der a-Moll- und C-Dur-Sonaten, erst recht nach dem dramatischen Höhepunkt der Ciaccona aus der d-Moll-Partita. Grumiaux' souveräne Doppelgrifftechnik, seine untrügliche Clarté lassen Bachs "Sei Solo" so erscheinen, als läge das helle Licht der Aufklärung auf ihnen. Erst recht auf den zwölf Fantasien von Georg Philipp Telemann, 1970 eingespielt: Da herrschen frei von jeder Attitüde nur Klarheit, Schönheit des Klangs, Logik der Phrasierung und höchste geigerische Sorgfalt.

Das kann man nun in allen Facetten neu erkunden und bestaunen mit den Aufnahmen, die er für Philips zwischen 1954 und 1983 gemacht hat und die jetzt zu seinem hundertsten Geburtstag im März in einer großen Box wieder herausgekommen sind (Decca). Die Spannweite des Repertoires reicht von Bach bis zu Igor Strawinsky, von Telemann bis zu Claude Debussy, Maurice Ravel und Alban Berg. Natürlich sind die bis heute maßstabsetzenden Konzerte Wolfgang Amadé Mozarts und dessen Violinsonaten mit der unvergessenen Clara Haskil darin, mit der er auch die zehn Sonaten Ludwig van Beethovens glücklicherweise aufgenommen hat.

Während des Zweiten Weltkriegs flüchtete er in den Untergrund

Als Arthur Grumiaux 1960 die Bach-Stücke einspielte, stand er im Zenit seines Ruhms. Er wurde 1921 im Dorf Villers-Perwin der wallonischen Region Belgiens in ärmlichen Verhältnissen geboren. Der Großvater entdeckte früh das Talent des Jungen, schon mit fünf Jahren trat Arthur in einem Kino auf, der Beifall war groß, die Nationalhymne wurde als Zugabe verlangt. Als die Zuhörer sitzen blieben, verweigerte der kleine Arthur das Weiterspielen, wenn nicht alle aufständen. Ein Jahr später kam er aufs Konservatorium von Charleroi, wo er mit Geige und Klavier so große Fortschritte machte, dass er die Prüfung in beiden Instrumenten mit Auszeichnung abschloss. In Brüssel jedoch musste er sich entscheiden, was der Großvater für ihn tat. Er studierte bei Alfred Dubois, einem Schüler Eugène Ysaÿes. Mit achtzehn Jahren errang er den Vieuxtemps-Preis und ging nach Paris zu Meisterkursen von George Enescu, der Grumiaux tief beeindruckte: "Der Kontakt mit diesem großen Meister, das Privileg, ihm vorspielen zu dürfen, und die Atmosphäre, die er in der Klasse schuf, offenbarten mir jene unerläßliche Klarheit, die ein wesentlicher Bestandteil der Werke großer Komponisten ist."

Der Kriegsbeginn vereitelte den Start der Karriere. Die deutschen Besatzer versuchten, Grumiaux zum Konzertmeister der Dresdener Staatskapelle zu machen. Der patriotische Belgier ging in den Untergrund und war auf der Flucht. Mit dem Einmarsch der Alliierten begann Grumiaux seine Kriegslaufbahn als konzertierender Truppenunterhalter, so ähnlich wie Yehudi Menuhin und Isaac Stern.

Nach dem Krieg verbreitete sich sein Ruf in ganz Europa, 1951 debütierte er in Amerika mit Mozarts G-Dur-Konzert KV 216. Der Komponist Francis Poulenc hat die Wirkung von Grumiaux' Mozartspiel so beschrieben: "Einige Sekunden lang erlebte ich das große, ganz seltene Glück, Tränen der Freude zu vergießen."

Im Alter machte er sich rar, hatte keine Lust mehr zu reisen

Die Reinheit der Linie verlangt Mozart im Adagio seines G-Dur-Konzertes. Arthur Grumiaux zog diese Linie mit unbeirrbarer Ruhe. Er erlag nicht der Versüßlichung, er übte sich auch nicht in gesuchter Einfachheit. Grumiaux' Mozart bezog seinen Zauber aus fließender Natürlichkeit. Das Geigerische drängt sich nicht vor, es klingt selbstverständlich und damit schön. In seiner geigerischen Anlage verkörperte Grumiaux die Noblesse und Leichtigkeit der legendären belgischen Schule, die von Charles de Bériot, Henri Vieuxtemps über Henryk Wieniawski bis zu Eugène Ysaÿe reicht, par excellence: die nie falsch auftrumpfende violinistische Sicherheit, der Mangel an Posen und Effekthaschereien, die Balance und Rundheit des Klanges.

Solche Unaufdringlichkeit und Beherrschtheit kam beispielsweise der Violinsonate des schon mit 24 Jahren 1894 verstorbenen César-Franck-Schülers Guillaume Lekeu zugute. Die Sonate in G-Dur, klanglich und zeitlich ausladend und etwas redselig, entstand 1891, drei Jahre vor Lekeus Tod. Die Anklänge an den Lehrer César Franck sind nicht zu überhören. Insgesamt ist es aber ein originelles Stück in drei Sätzen, zyklisch gebaut. Arthur Grumiaux und Riccardo Castagnone verloren sich 1955 nicht an den Rausch, den der junge Komponist entfacht, sondern hielten bei allem Temperament und Schwung auf Disziplin und Geschmack.

Das wichtigste Ereignis in Grumiaux' Musikerleben war das Zusammentreffen mit der großen rumänischen Pianistin Clara Haskil. Überall hat man dieses einzigartige Duo gefeiert, den jungen Geiger, der sich der 26 Jahre älteren Klavierzauberin willig auslieferte. Haskils Mozartspiel war wie das von Grumiaux durch natürlichen Fluss gekennzeichnet. Beiden waren Allüren fremd. Allerdings kannte Clara Haskil auch die dunklen Seiten der Musik und verfügte über brennende Expressivität, mit der sie Grumiaux herausforderte. Wer das Glück gehabt hat, Grumiaux und Haskil im Konzert zu erleben, wird dieses ungestörte Einverständnis im Zeichen von Mozart nie vergessen. 1957 nahmen die beiden Beethovens Klavier-Violine-Sonaten auf. Besonders sind die frühen Werke gelungen, taufrisch etwa das Rondo aus der D-Dur-Sonate op. 12,1. Tatsächlich kann man etwas von der Lust der beiden spüren, miteinander zu musizieren. Nach Haskils Tod 1960 klagte Grumiaux, er habe danach niemanden mehr gefunden, der sie ersetzen konnte.

In seinen späteren Jahren hat sich Grumiaux rar gemacht, lehrte als Professor am Brüsseler Konservatorium und hasste es herumzureisen. Wenn er dann doch auftrat, spielte er meist Sonaten der Vorklassik und des Barock. Es war, als fühle sich dieser noble, zurückhaltende Mann in der Unmissverständlichkeit barocker Harmoniestrukturen am wohlsten. 1986 ist Arthur Grumiaux nach einem Schlaganfall gestorben. Hört man in die Vielfalt dieser Aufnahmen, drängt sich der Eindruck auf von einem so imponierenden wie zeitlos modernen Violinspiel.

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