Sylvia Stöbes: "Arnold Bode - Künstler und Visionär":Genialischer Einzeltäter

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"(...) dass Kunst auch etwas von der Utopie abarbeiten könnte, die da Besser-Wohnen, Besser-Zusammenleben heißt." - Briefmarke zu Ehren von Arnold Bode. (Foto: All mauritius images/Archive PL)

Die Architekturhistorikerin Sylvia Stöbe hat die erste Biografie des Documenta-Gründers Arnold Bode geschrieben.

Von Ingo Arend

Es war ein denkwürdiger Moment, als das mit der Kuratierung der im Juni beginnenden nächsten Documenta beauftragte Kollektiv Ruangrupa Anfang Dezember vergangenen Jahres in Kassel der kubanischen Demokratieinitiative Instar den Arnold Bode-Preis überreichte. Ein Kuratoren-Kollektiv zeichnet ein Aktivistenkollektiv aus. Passt das zum Gründer der wichtigsten Kunstausstellung der Welt?

Für Sylvia Stöbe war der am 23. Dezember 1900 in Kassel geborene Maler, Zeichner und Raumkünstler Arnold Bode ein genialischer Einzeltäter. In der nun vorliegenden ersten Biografie Bodes zeichnet die Kasseler Architekturhistorikerin das Bild eines rastlosen Kunstmaniacs, einer von zwei Seiten brennenden Wunderkerze kreativer Ideen.

Glasfenster für Luftwaffencasinos hat Bode während der NS-Zeit in Kassel doch nicht ausgemalt

Die habilitierte Architektin, passenderweise im Documenta-Jahr 1955 geboren, ist keine Theoretikerin. Detailbesessen, ohne kunsthistorischen Überbau oder gar literarische Ambitionen, zeichnet sie Bodes Lebensweg vom Kasseler Kunststudenten, Landschaftsmaler und Gründer der Kasseler Sezession über den von den Nazis entlassenen Direktor des Berliner Werklehrerseminars bis zu dem Raumgestalter der Nachkriegszeit und schließlich dem überlebensgroßen Übervater der Documenta nach, der 1977, einen Tag nach dem Ende der Documenta 6, stirbt.

Ihre biografische Schnitzeljagd fördert interessante Details zutage. 1951 gestaltete Bode auf der Hannover-Messe "Constructa" seinen ersten Messestand. 1952 entwarf er für die Göppinger Plastik-Werke die Kunststoffkollektion "Abstracta 54". Die "Documenta" drei Jahre später lag semantisch also in der Luft.

Sylvia Stöbe: Arnold Bode. Künstler und Visionär. Begründer der Documenta - eine Biografie. Euregioverlag, Kassel 2021. 118 Seiten, 87 Abbildungen, 18 Euro. (Foto: N/A)

Mit ihrem Mix aus Collage und Recherche entlastet Stöbe auch den Mann, der seit der Aufdeckung der NS-Verstrickungen seines Kompagnons Werner Haftmann ebenfalls unter Verdacht stand. Glasfenster für Luftwaffencasinos, so der Vorwurf, hat Bode während der NS-Zeit in Kassel aber nun wohl doch nicht ausgemalt. "An Arnold Bodes politischer Gesinnung ist nichts auszusetzen", bilanziert Stöbe. Sein Bruder Paul allerdings, ein Architekt, war NSDAP-Mitglied. Die beiden überwarfen sich später. Paul Bodes Bauten hat Stöbe 2019 ein eigenes Buch gewidmet.

Was ihr im neuen Buch allerdings unübersehbar fehlt, ist der Blick für das Systemische der NS-Kontinuitäten, die in Kassel zusammenliefen. Die ganz zart angetippte Frage, ob Bode, den sie als glühenden Sozialdemokraten und Bauhausfan, als Avantgardisten und Internationalisten charakterisiert, nie selbst Zweifel kamen, ob er für sein Lebensprojekt mit den richtigen Leuten paktierte, lässt sie unbeantwortet.

Gut gelingt es Stöbe dagegen, den weiten Kunstbegriff ihres Protagonisten freizulegen. Bode dachte die Documenta immer als transdisziplinäres Unternehmen, das neben Film, Musik, Dichtung und Drama oder "Industrieform" auch "das Urbane" umfasste. Aus dem Documenta-Archiv hat Stöbe Bodes wunderbar grün-rot-blau gekringelte Skizze einer "Documenta urbana" abgedruckt. So wie die Wohnungsfrage heute neu aufbricht, erscheint dieses nie verwirklichte Konzept plötzlich brandaktuell.

Wer in dem verdienstvollen Band zudem Bodes vergessenes Zitat liest, "dass Kunst auch etwas von der Utopie abarbeiten könnte, die da Besser-Wohnen, Besser-Zusammenleben heißt", wird in Ruangrupa legitime Wiedergänger von Bodes Idee der Documenta als spartenübergreifendem Gesamtkunstwerk sehen, das eine neue Solidarität begründen sollte.

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