"Collapsed in Sunbeams" von Arlo Parks:Böser Engel

Lesezeit: 3 min

Wenn man traurig ist, ist Arlo Parks da und tröstet einen - zumindest mit ihrem Debüt "Collapsed in Sunbeams". (Foto: Jack Bridgelan/dpa)

Arlo Parks ist die erste Pop-Sensation des Jahres. Kein Wunder, dass Michelle Obama und Billie Eilish Fans sind.

Von Juliane Liebert

Ob einen jemand wirklich liebt, erkennt man daran, ob er sich die Songs, die man ihm per Textnachricht schickt, wirklich anhört. Ein Song, der einem so angetan wird, ist erst mal immer eine Zumutung. Die Person am anderen Ende erwartet, dass man (falls man gerade Musik hört) seine eigene Musik (oder süße Stille) ausstellt und sich - ganz ohne die Möglichkeit, dem Zumuter in die Fresse zu hauen, falls der Mist nichts taugt - einem unbekannten Musiker ausliefert.

Arlo Parks ist dieser Tage sicher in vielen solcher Empfehlungsnachrichten. Ihr Debüt "Collapsed in Sunbeams" wird als erste Sensation des jungen Jahres gefeiert, die Sängerin als Stimme der Generation Z. Michelle Obama und Billie Eilish sind Fans. Arlo Parks kann man sich also bedenkenlos ausliefern. Arlo Parks würde einem nie etwas Böses antun. Wenn man traurig ist, ist Arlo Parks da und tröstet einen. Wenn man sich übergeben muss, hält sie einem (höchstwahrscheinlich) die Haare aus dem Gesicht, während man über der Toilette hängt.

Giraffen sind auch bisexuell und irgendwie unpraktisch - aber sehr schön

Also, ihre Musik tut das. Denn physisch befindet sich Arlo Parks vermutlich gerade in London, wo sie auch geboren wurde, im Lockdown. Die Sängerin ist zwanzig Jahre alt. "Als sie siebzehn wurde, rasierte sie sich ihren Kopf, erkannte ihre bisexuelle Identität und fing an, das zu schreiben, was nun ihr Debütalbum werden wird", heißt es im Pressetext. Und wenn es zwischen diesen Dingen einen Kausalzusammenhang gibt - Kopf rasieren, bisexuelle Identität erkennen, Debütalbum schreiben -, dann beten wir, dass sich in Zukunft noch mehr Siebzehnjährige dazu entschließen, denn das Album ist, nun, man möchte fast sagen: der Wahnsinn.

Aber eigentlich ist es eher eine Giraffe.

Eine Giraffe? Eine Giraffe! Giraffen sind auch bisexuell und irgendwie unpraktisch. Aber sehr schön. Trottelig und elegant. Bodenständig, aber zum Himmel strebend. Das Album ist kein Einhorn, obwohl es magische Momente hat, denn Einhörner sind spätestens ausgelutscht, seit sogar Start-ups so genannt werden, wenn sie genug Investorenkohle reinholen. Außerdem haben Giraffen den Vorteil, dass sie existieren. Also richtig aus Fleisch und Blut sind - im Gegensatz zu Einhörnern.

Das ist mit Arlo Parks Album ähnlich. Die Musik bewegt sich zwischen der frühen Kali Uchis, Amy Winehouse und der besten Band der vergangenen zwei Jahre, Sault. Parks Stimme treibt einen sanft durch ihre Songs, heißt Hörerin und Hörer in ihrem ganz eigenen Klang- und Gedankenraum willkommen.

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"Eugene" handelt etwa von einer unerwiderten Liebe - allerdings eben nicht zu Eugene, sondern zu einer Jugendfreundin, die wiederum in Eugene verliebt ist. Wer kennt es nicht. Die Jugendfreundin liest jetzt ihrem neuen Lover Sylvia Plath vor, während Parks sich mit immer noch zärtlicher Stimme mokiert: "You know I like you like that / I hate that son of a bitch". Im Musikvideo dazu bricht das Bett, in dem sie rumhängen, in zwei zackige Hälften.

Parks liebt popkulturelle Referenzen und Edelsteine. Die Welt wird "amethyst", wenn man jemandem im Traum küsst, und in dieser von Klunkern beleuchteten Sphäre geben sich Thom Yorke, Sylvia Plath, "Twin Peaks" und Robert Smiths Make-up die Hand. Im Internet sagen alle, Arlo Parks hätte die Stimme eines Engels. Wenn schon, dann ist sie ein leicht verärgerter Engel. Und einer, der sehr nah an einem dran ist, statt weit weg: Ihre Stimme prägt die Musik, auch, weil sie sehr intim aufgenommen und extrem präsent gemischt ist.

(Foto: Pias/Transgressive/Rough Trade)

Dass sie von Billie Eilish und Phoebe Bridgers empfohlen wurde, zeigt wiederum, wie sehr sich der Mainstream wandelt. Amy Winehouse war nicht nur gesanglich mehr die röhrende Diva, sondern auch musikalisch glatter. Zu ihrer Zeit hatte der Mainstream noch weniger Fransen, schmutzige Ecken und abgewetzte Kanten. Formationen wie Sault sind dagegen verspielter, chaotischer, roher. Aber die Einflüsse aus R'n'B, Funk und Soul sind bei beiden genau nachfühlbar.

Das ebnet Künstlerinnen wie Parks den Weg. R'n'B, Funk und Soul sind schließlich Körpermusik. In den kleinen rhythmischen Verzögerungen, Stops, Fill-Ins und biegsamen Basslines rebellieren sie gegen die Disziplinierung des Körpers. Arlo Parks Sound lebt von diesem musikalischen Erbe, aber sie beschränkt sich auf wenige Elemente - den staubigen Soul in der Stimme und ihren trockenen Groove - und amalgamiert sie zu einem eigenen, kompakten, aber dennoch lichten confessional Pop. Der ist introspektiv, aber nie langweilig. Wo es Sault um die Welt geht, geht es Parks um ihr nächstes Umfeld und große, unerwiderte Lieben. Das gerät manchmal plakativ, siehe Zickzackriss durchs Bett, aber jung und anders zu sein ist halt auch auf komplizierte Weise plakativ. Jedes Gefühl ein bisschen zu groß - und doch unpassend richtig.

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