Stockholm:Die Favoriten für den Literaturnobelpreis 2016

Manche überraschen, andere gehören zu den ewigen Nominierten. Wer kommt für den diesjährigen Literaturnobelpreis infrage? Die Top Ten der Buchmacher.

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(Foto: AFP)

Rang 10 bei Ladbrokes: Joyce Carol Oates Geboren 1938 in Lockport, New York, USA Enkelin eines Leichenbestatters, aufgewachsen auf einer Farm, schließlich eine der produktivsten Autorinnen der amerikanischen Literatur und Professorin an der Princeton University - Joyce Carol Oates hat eine beachtliche Karriere hinter sich. Der "Amerikanische Traum" steht denn auch im Mittelpunkt vieler ihrer Werke, allerdings mit all seinen Schattenseiten. Zu ihren Werken zählen das Gesellschaftspanorama "Jene", die opulente Generationensaga "Bellefleur", "Bitterkeit des Herzens" sowie "Wofür ich gelebt habe" und der 900-seitige Marilyn-Monroe-Roman "Blond". Oates ist Bestseller-Autorin, und der Vorwurf wurde immer wieder laut, sie vermarkte ihr Talent über die Maßen, schreibe trivial und setze allzu durchsichtig auf Sex und Gewalt. Ein Nobelpreis für sie würde also nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Abgesehen davon, dass die Auswahl amerikanischer Autoren immer schwierig ist - und nach Swetlana Alexijewitsch im vergangenen Jahr sehr unwahrscheinlich erneut eine Frau gewinnt.

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(Foto: dpa)

Rang 9: Ismail Kadare Geboren 1936 in Gjirokastra, Albanien Fiele die Wahl auf Ismail Kadare, wäre es auf jeden Fall eine politische Entscheidung. "Ich war Albaner, ich bin Albaner, und ich werde es bis zu meinem Tod sein. Ich habe zwar zwei Pässe und wohne gleichermaßen in Paris wie in Tirana. Das ändert aber nichts daran, dass ich nie etwas anderes als ein Albaner war", so Ismail Kadare 2011 im Interview mit der FAZ. Seit Kadare 1964 mit dem seither mehrfach verfilmten "Der General der toten Armee" (über eine fragwürdige patriotische Mission nach Ende des Zweiten Weltkriegs) bekannt wurde, setzt sich der Autor literarisch mit seiner Heimat auseinander. Etwa in "Der zerrissene April" (über die Sitte der Blutrache), "Die Brücke mit den drei Bögen" (über die Zeit des türkischen Vormarsches nach Albanien im 14. Jahrhundert) oder "Spiritus" (eine Geschichte über eine neue Überwachungstechnik in der kommunistischen Ära). Vor dem komplexen Hintergrund der Vielvölkerstaaten auf dem Balkan hat sich Kadare immer wieder auch als Theoretiker zu Wort gemeldet. 2006 veröffentlichte der Schriftsteller einen Essay über die kulturelle Identität der Albaner. Dabei erntete er teils scharfe Reaktionen auf seine These, wonach Albanien als eine auf christlichen Traditionen basierende westliche Nation zu verstehen sei.

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(Foto: imago/ZUMA Press)

Platz 8: Javier Marías Geboren 1951 in Madrid, Spanien "Nichts ist ganz und gar und unwiderruflich wahr, immer kann noch ein neuer Zeuge hinzutreten. Der einzige Ort, an dem das nicht so ist, sind Romane!", sagte Javier Marías 2015 in einem Interview mit der Zeit. Der spanische Schriftsteller, Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen, gilt als beachtenswerter Erzähler, aber auch als einer, der die Geduld des Lesers mit langen, ausufernden Sätzen strapaziert. Mit 19 Jahren verfasste er seinen ersten Roman, sein Buch "Mein Herz so weiß" wurde zum Bestseller. In Werken wie "Der Gefühlsmensch", "Alle Seelen" oder "Dein Gesicht morgen" schildert Marías die menschliche Seele mit all ihren Ausprägungen. In seinem jüngsten Werk "So fängt das Schlimme an" setzt sich der 65-Jährige mit der Frage auseinander, wo das Schlimme ist im Leben - und wie wir damit umgehen. Auch wenn der Spanier sich wie nur wenige andere Autoren der Menschenbeobachtung verschrieben hat, gilt sein Werk als zu wenig aussagekräftig für einen Literaturnobelpreis. Noch.

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(Foto: AFP)

Rang 7: Ko Un Geboren 1933 in Gunsan, Südkorea In dieser Biographie findet sich das ganze Drama koreanischer Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Den Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre überlebte der Bauernsohn Ko Un traumatisiert und in Trauer um viele Verwandte und Freunde. Noch vor Ende der Kämpfe zog sich der junge Mann in ein buddhistisches Kloster zurück. Erst zehn Jahre später versuchte er, wieder ein weltliches Leben zu führen und sich dem Schreiben zu widmen. Ängste und Depressionen sollten ihn aber noch lange verfolgen. An die 135 Werke sind von Ko Un erschienen, darunter Gedichte, Dramen und Essays. Das Engagement in der südkoreanischen Demokratiebewegung brachte Ko Un in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach hinter Gitter. Undenkbar damals, dass er später Lehraufträge an der National University der Hauptstadt Seoul bekommen und als einer der prominentesten Autoren seines Landes verehrt werden sollte. Ko Un, auch als "Naturgewalt" bezeichnet, blieb nach eigener Aussage durch den Buddhismus am Leben. Sein Werk ist mittlerweile in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt. Auf Deutsch sind unter anderem "Die Sterne über dem Land der Väter" sowie die Gedichtsammlungen "Ein Tag voller Wind" und "Beim Erwachen aus dem Schlaf" erschienen.

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(Foto: Loic Venance/AFP)

Rang 6: Don DeLillo Geboren 1936 in der Bronx, New York, USA Amerikanische Autoren sind eine schwierige Wahl beim Literaturnobelpreis, wäre die Entscheidung doch immer auch eine politische. Würde Don DeLillo, einer der wichtigsten zeitgenössischen US-Autoren den Preis tatsächlich kriegen, müsste er sich doch zur aktuellen politischen Lage - und zu Trump äußern. Nicht, dass er das nicht schon getan hat. Im Guardian nannte er den republikanischen Präsidentschaftskandidaten "die Halluzination unserer Nation". Aber könnte man sich eine Dankesrede ohne aktuellen Bezug vorstellen, noch dazu, wo DeLillo in seinen Werken doch stets aktuelle Ereignisse verarbeitet? In "Mao II" geht es um religiös motivierten Terrorismus, in "Cosmopolis" um Cyber-Kapitalismus, in "Unterwelt" schildert DeLillo die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts im Lichte von Baseball und Atombomben, und "Falling Man" behandelt den 11. September. DeLillo gilt nicht umsonst als "Chronist der spätmodernen Paranoia". Kurz vor seinem 80. Geburtstag wäre der Nobelpreis natürlich ein hübsches Geschenk - aber ein zu gewagtes für das Nobelkomitee.

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(Foto: Imago Stock&People)

Rang 5: Jon Fosse Geboren 1959 in Haugesund, Norwegen Für die FAZ ist er der "Minimalist unter den europäischen Dramatikern" - der Norweger Jon Fosse. Der Autor von Romanen wie "Rot, Schwarz" (über die Wirren eines Halbwüchsigen) oder "Melancholie I und II" (über den Maler Lars Hertevig, einen entfernten Verwandten Fosses) hat seine größten Erfolge mit Bühnenstücken gefeiert. Als einzige Skandinavier unter den Top Ten könnte er beim Nobelkomitee allein mit seiner Herkunft punkten. Aber zurück zu seinem Werk: Die Handlungen kreisen dabei immer wieder um Sprachlosigkeit, Einsamkeit, Traurigkeit und Scheitern. Das Stück "Traum im Herbst" etwa wurde von der SZ als "Todesmeditation so wahr und fragwürdig wie jede Existenzphilosophie" beschrieben. In "Die Nacht singt ihre Lieder" weiß ein junges Paar sich nichts mehr zu sagen, das Stück "Der Name" hat ein ähnliches Thema. Fosse, der tief von der norwegischen Fjordlandschaft geprägt zu sein scheint, seine Stücke aber nicht autobiografisch verstanden wissen will, wurde bereits als Beckett des 21. Jahrhunderts gefeiert. Doch nicht alle überzeugt Fosses Stil, in der FAZ hieß es auch schon einmal: "Fosse ist langweilig, dieser Kulturkaiser ist nackt".

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(Foto: REUTERS)

Rang 4: Philip Roth Geboren 1933 in Newark, New Jersey, USA Eines ist zum Running Gag des Literaturnobelpreises geworden: Dass Philip Roth ihn wohl nie mehr bekommen wird. Der US-Amerikaner, Kind jüdischer Eltern, steht seit so vielen Jahren auf den Listen der Anwärter, dass kaum jemand mehr damit rechnet, die Prophezeiung könnte noch in Erfüllung gehen. Ebenfalls seit langem favorisiert werden Starautoren wie der Tscheche Milan Kundera oder der Israeli Amos Oz. Doch Philip Roth hat es in diesem Jahr erneut unter die Top 10 geschafft. Als ungewöhnlich produktiver Autor legte er zahlreiche Romane, Erzählungen und Essays vor, die sich vor allem um das jüdische Leben in den USA und dessen spezifische Verwicklungen drehen, aber auch dem Leben der US-Gesellschaft auf der Spur sind, etwa der Ideologie der "political correctness". Bereits für sein literarisches Debüt "Goodbye, Columbus" (1959) erhielt Roth den National Book Award, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen der USA. Internationale Bekanntheit erreichte er mit dem Bestseller "Portnoy's Complaint", in dem die erwachende Sexualität eines jungen Juden in den USA dargestellt wird. Zwischen den späten Siebzigerjahren und den frühen Nullerjahren des neuen Jahrtausends schrieb Roth ganze Roman-Zyklen (die "Zuckermann-Trilogie" sowie die "USA-Trilogie") sowie etliche autobiografische Fiktionen (wie "Deception" und "Patrimony"), wobei er immer wieder mit höchsten Preisen (Pulitzer-Preis für "American Pastoral") ausgezeichnet wurde. In seinem Spätwerk ab 2001 kreist Roth obsessiv um den Themenkomplex Alter und Tod. "Ich könnte nichts Lustiges mehr schreiben, selbst wenn ich es wollte", bekannte er in einem Interview mit der Zeit.

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(Foto: AFP)

Rang 3: Adonis Geboren 1930 als Ali Ahmad Esber in Qassabin bei Lattakia, Nordsyrien Neben Ko Un steht der syrisch-libanesische Intellektuelle Adonis als einziger Lyriker in den Top Ten von Ladbrokes. Er gilt als größter arabischsprachiger Dichter des 20. Jahrhunderts und zählt schon seit Langem zu den Spitzenkandidaten für den Nobelpreis. Er lebt seit vielen Jahren im Exil in Paris. Der 85-Jährige heißt mit bürgerlichem Namen Ali Ahmad Said. Nach dem schönen Jüngling aus der griechischen Mythologie benannte er sich als 17-Jähriger - weil er hoffte, seine Liebesgedichte so besser verkaufen zu können. Doch der Adonis-Mythos vom wiederauferstandenen Jüngling steht auch für eine weltanschauliche Erneuerung, wie Ali Ahmad Said sie sich schon immer für die arabische Welt wünschte. Sein Gedichtzyklus "Die Gesänge Mihyars des Damaszeners" (1963) gilt als das arabische Pendant zu Nietzsches "Also sprach Zarathustra". Trotz seines politischen Engagements für Laizismus und Demokratie in der arabischen Welt stand Adonis dem Arabischen Frühling von Anfang an skeptisch gegenüber, was ihm viel Kritik von Aktivisten und anderen Intellektuellen einbrachte. Zuletzt erntete er Vorwürfe, er habe sich nicht ausreichend vom brutalen Vorgehen des Assad-Regimes gegen das syrische Volk distanziert. Die Kontroversen um seine Person haben die Chancen auf den Nobelpreis zwischendurch vermindert. Im vergangenen Jahr lag Adonis bei Ladbrokes auf Position acht, nun liegt er immerhin auf Rang drei. Seine Wahl wäre ebenfalls mit einer politischen Aussage verknüpft.

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(Foto: picture alliance / dpa)

Rang 2: Haruki Murakami Geboren 1949 in Kyoto, Japan Mal wieder auf Platz zwei der diesjährigen Wettliste von Ladbrokes steht der japanische Bestsellerautor schlechthin. Haruki Murakami, so heißt es, wurde an einem lauen Frühlingstag zu seinem ersten Roman inspiriert - während eines Baseballspiels. Der Mittzwanziger hatte zwar Theaterwissenschaft und Drehbuchschreiben studiert, dann aber in Tokio eine eigene Jazzbar aufgemacht. Obwohl Murakami selbst mit seinen ersten literarischen Versuchen später nichts mehr zu tun haben wollte: Seine Zukunft lag doch im Schreiben. "Kafka am Strand", "Naokos Lächeln" und der Erzählband "Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah" - nur drei Titel aus einer eindrucksvollen Reihe von Erfolgen. Anfang 2014 erschien in Deutschland sein Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki", der von der Kritik erneut gefeiert wurde. Murakamis Stil - oft sehr surreal mit märchenhaften Elementen und zugleich vielen Bezügen zur internationalen Popkultur, besonders der Musik - hat weltweit Fans gefunden. Der Japaner, der zwischenzeitlich als Gastprofessor an US-Universitäten tätig war, hat sich außerdem mit zeitgeschichtlichen Momenten auseinandergesetzt. Etwa in dem Band "Untergrundkrieg", der Interviews mit Überlebenden und Opferangehörigen des Giftgasanschlags auf die Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 enthält. Im sich verschärfenden Konflikt zwischen China und Japan publizierte Murakami 2013 einen Appell in der japanischen Presse: Nationalismus sei "wie billiger Alkohol", er mache "betrunken und hysterisch" - man müsse vorsichtig sein mit Politikern und Polemikern, die "diesen billigen Alkohol einschenken und Randale schüren". Im Interview mit dem SZ-Magazin 2010 erklärte Murakami, letztendlich gehe es ihm darum, "jungen Menschen zu zeigen, was Idealismus bedeutet".

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(Foto: picture alliance / dpa)

Rang 1: Ngũgĩ wa Thiong'o Geboren 1938 in Kamiriithu, Kenia Sprache ist für Ngũgĩ wa Thiong'o nicht nur Ausdrucksmittel, sondern ein Thema für sich. Der Kenianer, der bereits zum dritten Mal in Folge als erster Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, lebt und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Englisch (dem Vermächtnis der einstigen britischen Kolonialherren) und Gikuyu - gesprochen von etwa acht Millionen Menschen, der größten ethnischen Gruppe Kenias. Ngũgĩ wa Thiong'o ist tief geprägt vom Kampf um die Entkolonialisierung seiner Heimat in den 1950er und 60er Jahren, in den auch seine Familie verwickelt war. Weshalb er in den 1970ern beschloss, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, denn: "Sprache war das Mittel der geistigen Unterjochung." Diese radikale Entscheidung und das Stück "Ich werde dich heiraten, wann ich will" (1977) brachten den Autor in Konflikt mit der damaligen Kenyatta-Regierung und zeitweilig ins Gefängnis. Im folgenden Exil lehrte der Literaturwissenschaftler unter anderem in Yale, New York und Kalifornien. Seine Bücher, "Decolonizing the Mind", das autobiografische "Träume in Zeiten des Krieges - eine Kindheit" oder der 1000-Seiten-Roman "Herr der Krähen" über einen größenwahnsinnigen fiktiven Despoten, kreisen um Vergangenheit und Gegenwart Afrikas.

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