Werkschau von Antony Gormley:Über den Tod hinaus

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Antony Gormleys Arbeit "Sum" stammt aus dem Jahr 2012. (Foto: Stephen White & Co., London.jpg/Antony Gormley)

Die bisher größte deutsche Werkschau des englischen Bildhauers Antony Gormley findet in Duisburg statt. Hier kann der Künstler gleich mit zwei Lehmbrucks einen Dialog führen: mit dem Vater und dem Sohn.

Von Alexander Menden

Er habe sich manipuliert gefühlt beim Staatsbegräbnis der Queen, sagt Antony Gormley. "Man ist bewegt, obwohl man weiß, dass das, was da gefeiert und betrauert wird, völlig obsolet ist", sagt der englische Bildhauer, als man auf dieses unvermeidliche Thema zu sprechen kommt. Er sei sich der Ironie schon bewusst, dass er der Monarchie so skeptisch gegenüberstehe, obwohl er sich zum "Knight Bachelor" und zum "Officer of the Most Excellent Order of the British Empire" habe ernennen lassen. "Offizier von was? Und welches Empire?", fragt Sir Antony.

Der englische Bildhauer Antony Gormley ist "Knight Bachelor", steht der britischen Monarchie aber trotzdem skeptisch gegenüber. (Foto: Lars Gundersen)

Doch es gibt durchaus eine Verbindung zwischen dem Dahinscheiden des ewigen britischen Souveräns und dem Werk des 72-jährigen Engländers. Elizabeth II. verschmolz als Mensch mit ihrer Rolle, sie repräsentierte ein Prinzip, vielleicht ein Ideal. Damit war sie gleichsam das Gegenteil von dem, was Antony Gormley mit seiner Kunst erreichen möchte. Denn sie soll im Idealfall rein gar nichts repräsentieren, weder epigrammatisch noch idealisierend sein. Beim Rundgang durch die Schau "Calling on the Body" im Duisburger Lehmbruck-Museum, zu deren Eröffnung Gormley aus London angereist ist, wird immer wieder deutlich, wie selbstgenügsam seine Abguss- und Dekonstruktionsskulpturen sind, wie sie jedes Über-sich-selbst-Hinausweisen vermeiden.

Die bisher größte deutsche Werkschau des Turner-Preis-Gewinners von 1994 ist ortsspezifisch, wie jede Installation seiner Werke. Seine Arbeiten haben stets auf den Kontext reagiert - von der berühmten Kolossalstatue "Angel of the North" in Gateshead über die "Another Place" betitelten, 100 eisernen Abgüsse seines eigenen Körpers, die bei Liverpool in der Mersey-Mündung stehen, bis hin zur Bespielung des leeren Sockels auf dem Trafalgar Square mit Menschen im Jahre 2009. Genau 100 Tage lang kletterte damals immer zur vollen Stunde, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, ein Teilnehmer auf den Sockel vor der National Gallery. Was die Leute auf der 1,7 mal 4,5 Meter großen Fläche taten, blieb ihnen überlassen, solange es legal war. Diese Aktion, die den "Fourth Plinth" in ein lebendes Monument verwandelte, war neben seinen Gemeinschaftsarbeiten mit Tanz-Choreografen vielleicht die reinste Manifestation der Idee, die hinter Gormleys Kunst steht: Ein Anspruch auf Universalität, der auf einem spezifischen, subjektiv erlebten und unwiederbringlichen Moment beruht.

Antony Gormleys "Field" von 1984-85. (Foto: Antony Gormley)

Dass einer der bekanntesten und zugleich beliebtesten britischen Künstler nun ausgerechnet in Duisburg seine Arbeiten zeigt, ist zweierlei Einflüssen zu verdanken: jenem, den das Werk Wilhelm Lehmbrucks, des Bergarbeitersohns aus Duisburg-Meiderich, auf ihn gehabt hat, und dem der Architektur dieses Museums, das 1964 nach Entwürfen von Lehmbrucks Sohn Manfred errichtet wurde. Die Sichtbetonwände, die großzügigen Glasflächen, die offenen Galerieräume - sie alle bieten sich an für die industrielle und zugleich individuelle Ästhetik seiner Plastiken und Installationen.

"Das Material, das wir unseren Körper nennen, ist nur geliehen", sagt Gormley

Gormley hat keine neuen Arbeiten für Duisburg geschaffen, aber er erfasst den Raum in einer Weise, die sie so erscheinen lassen, als seien sie für dieses Museum im Herzen der Stadt bestimmt. "Reflection II" etwa (2008) besteht aus zwei Figuren, die einander ansehen - eine steht draußen, vor dem Gebäude, und blickt durch die Scheibe herein, die andere blickt hinaus. Ihre Hände baumeln über den Hüften, als seien sie bereit, unsichtbare Revolver zu ziehen. Man kann das als potenzielle Konfrontation lesen oder als Spiegelungen im anderen, als Manifestation des Reflexionsprozesses, den figürliche Kunst immer darstellt.

Antony Gormleys frühe Blei-Arbeit "Shift" entstand 1991. (Foto: Stephen White & Co., London.jpg/Antony Gormley)

Der Dialog mit Lehmbruck erweist sich in dieser Hinsicht als durchaus suggestiv. Gormleys frühe Blei-Arbeit "Shift" (1991), eine flach und bäuchlings an die Wand geheftete, lebensgroße Gestalt, hängt oberhalb von Lehmbrucks berühmter "Kniender" (1911). Beide wirken autark, und doch schaffen sie allein durch ihr materielles Zusammensein einen gemeinsamen Existenz- und Wahrnehmungsraum. Dabei sind Lehmbrucks Plastiken, wie Gormley selbst einräumt, in vielerlei Hinsicht eine Fortführung jahrhundertealter Skulptur-Traditionen: Sie entsprechen einem Schönheitsideal, Frauenkörper sind sexualisiert, der Künstler blickt von außen auf das Modell. Bei Anthony Gormley fallen Künstler und Modell hingegen sehr oft in eins, immer wieder hat er seinen eigenen Körper als Gipsabformungs- oder Scanvorlage genommen, um daraus grobe Metallskulpturen zu schaffen.

Was Gormley und Lehmbruck verbindet, ist das Element intensiver Introspektion

Was beide Arbeiten verbindet, ist das Element intensiver Introspektion. Die Kniende hat den Blick gesenkt, tatsächlich geht dieser Blick aber nach innen. "Der Gestürzte", in den Wilhelm Lehmbruck 1915 seine Verzweiflung über die Folgen des industrialisierten Krieges goss, ruht nicht in sich wie die Kniende, aber er ist im Augenblick des Sturzes auf sich zurückgeworfen. Sein Scheitern führt zur Selbstbefragung und letztlich zur Neubewertung des Menschseins selbst. Gormley will ebenfalls einen bestimmten Augenblick abbilden, die Form hält Spuren eines spezifischen Körpers in Raum und Zeit fest, wie der Fußabdruck eines Steinzeitmenschen. Die Dunkelheit, die entsteht, wenn wir unsere Augen schließen, und die zugleich eine mentale Entgrenzung bedeutet, wird gleichsam von der leeren, materiellen Hülle der Skulptur als Zeitkapsel bewahrt.

Die Arbeit "Allotment II" ist ein Feld aus 300 Betonstelen und entstand 1996. (Foto: Markus Tretter)

Überlängte Gliedmaßen und Schädel sind im späteren Werk Lehmbrucks typisch, verhalten sich aber immer in harmonischer Proportion zueinander. Ähnlich, wenn auch mit radikalerer Konsequenz, verfährt Gormley, wenn er Körper vermisst und zu minimalistischen Quader-Figuren umformt, wie in "Allotment II": Das Feld aus 300 Betonstelen, die 1996 nach den Maßen Freiwilliger verschiedenen Alters im schwedischen Malmö entstanden, werden auf die reine Geometrie der Körperproportion heruntergebrochen - Blöcke mit Löchern. Gleichsam aus der entgegengesetzten Richtung steuert "Drift VI" (2010) auf dasselbe Ziel zu. Die wie eine Wolke aus zerrupfter Stahlwolle in einem gläsernen Atrium hängende Struktur besetzt einen Raum, in dem sich einmal ein Körper befunden hat, ein Luftabdruck aus filigranem Metall.

"Das Material, das wir unseren Körper nennen, ist nur geliehen", sagt Gormley. Es ist Teil eines Austauschsystems, ein Zusammen- und Auseinanderdriften von Teilchen. Dass ihre Atome länger zusammenbleiben mögen als die des lebenden Menschenleibes, war immer Hoffnung und Anspruch der Kunst. In ihrer Leichtigkeit und Erdenschwere tragen Antony Gormleys Plastiken eine Verheißung solcher Langlebigkeit in sich.

Gormley/Lehmbruck: Calling on the Body im Lehmbruck-Museum , Duisburg, bis 26. Februar 2023. Lehmbruckmuseum.de, Katalog 40 Euro.

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