Anschlag in Sankt Petersburg:Wenn das Brandenburger Tor Trauer trägt

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Besondere Beziehungen zu Sankt Petersburg? Oder eine Städtepartnerschaft? Man hätte schon einen Grund finden können, um das Brandenburger Tor anzustrahlen. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Viele kritisieren, dass das Berliner Wahrzeichen nach dem Anschlag in Sankt Petersburg nicht leuchtete. Wann soll man es aus Solidarität mit Terroropfern anstrahlen?

Von Gustav Seibt

Dass Berlin nach dem Anschlag in Sankt Petersburg darauf verzichtet hat, das Brandenburger Tor mit den Farben der russischen Staatsflagge anzustrahlen, hat bei vielen erschütterten Menschen begreifliche Empörung hervorgerufen.

Warum Paris, Brüssel, London, Istanbul, Jerusalem und Orlando - aber nicht die historisch gerade mit Deutschland so eng verbundene ehemalige russische Hauptstadt, die einen deutschen Namen trägt und, als sie Leningrad hieß, eine der furchtbarsten Belagerungen der Weltgeschichte, ausgeführt von der deutschen Wehrmacht, ertragen musste? Wäre hier ein Zeichen der Verbundenheit nicht besonders angezeigt gewesen? Gilt gemeinsame Trauer nur für Nato-Partner? Oder nur für Symbolorte des "Westens", der seine "Lebensart" gegen fundamentalistischen Terror behaupten will?

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Man gerät bei solchen Fragen in die Scholastik, die jede Symbolpolitik rasch erzeugt, also ins Aschgraue. Auch nach den Anschlägen in Nizza und Québec verzichtete der Berliner Senat auf die Illuminierung des Tors - denn Nizza und Quebec sind keine Partnerstädte der Hauptstadt. So will es ein Leitfaden des Berliner Senats, der erst in der letzten Woche, noch vor dem Anschlag in St. Petersburg, vorgestellt wurde. Er soll die Ordnung einer Etikette ins Feld der Betroffenheit tragen.

Aber auch Jerusalem und Orlando sind keine Partnerstädte Berlins, und doch wurden hier Ausnahmen gemacht. Man habe "besondere Beziehungen" zu diesen Orten, ließ die Senatskanzlei wissen, und diejenige zu Orlando wurde dabei mit dem Stichwort "Regenbogenstadt" eigens erläutert. Dass es massiven Drucks aus der schwul-lesbischen Community bedurfte, um die Regenbogenbeleuchtung des Tors durchzusetzen, wird bestritten - es habe nur Projektorprobleme gegeben.

Ach je. Inzwischen wird geltend gemacht, dass es durchaus eine Partnerschaft zwischen Berlin und Sankt Petersburg gebe, wenn auch nur eine zwischen dem Bezirk Mitte und dem Petrogradskij Rajon, einem historischen Stadtteil auf der Petrograder Seite. Also hätte man schon einen Grund für die "Sonderbeleuchtung" (so die charmante bürokratische Bezeichnung) auftreiben können, wenn man nur gewollt hätte.

Warum aber ausgerechnet Nationalfarben?

Aber was ist überhaupt die Bildlogik dieser Anstrahlungen? Städte tauchen ihre baulichen Wiedererkennungszeichen in fremde Landesfarben. Sie machen sich zu kollektiven Emojis. Sie versichern sich ihrer gegenseitigen Anteilnahme, vielleicht weil sie wissen, dass sie die verwundbarsten Orte menschlichen Zusammenlebens sind - nirgends ist das Wunder ganz überwiegend friedlicher menschlicher Geselligkeit größer, als wenn Hunderttausende, gar Millionen einander überwiegend Unbekannter auf engem Raum neben- und miteinander existieren, kooperieren, einander suchen oder ausweichen, umeinander wuseln, ohne sich zu verletzen: Unfassbar, wunderbar ist das! Und gerade von russischen Dichtern wurde es immer wieder besungen: "Nicht Rom, die Stadt, / lebt fort durch Zeit und Zeiten, / es lebt des Menschen Ort, / ein Ort im All", lauten ergreifende Verse Ossip Mandelstams in der Übersetzung von Paul Celan. Wer hier einen Terroranschlag verübt, greift in die Grundlage von Stadt und Zivilisation überhaupt ein, denn diese Grundlage ist Vertrauen.

Warum aber, wenn es um Städte geht, Nationalfarben? Auch Städte haben Fahnen und Wappen, historisch hatten sie diese längst, bevor es so etwas wie Nationen überhaupt gab. Geht es also doch um die Verbundenheit von Staaten und Staatsvölkern? Nach den Anschlägen in Paris wurde auch hierzulande an die Geschichte der französischen Symbole Trikolore und Marseillaise erinnert - kämpferische Zeichen einer einzelnen Nation, die sich zugleich als Trägerin von Menschheitsideen wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit versteht. Da können auch ehemalige Erbfeinde ein fremdes Kriegslied mitsingen.

Doch in dieser Bildsprache gehen wiederum die Regenbogenfarben der LGBT-Gemeinschaften nicht auf, die sich mittlerweile in einer Kaskade von Kürzeln samt Sternchen vorstellen. Gelegentlich ist allerdings von "queer nation" die Rede. Und wie soll man auf die Anschläge reagieren, die in Ländern mit jahrelangem Terror oder mit Bürgerkriegen beinahe zum Alltag gehören? Alle drei Wochen die irakischen oder afghanischen Farben aufs Brandenburger Tor strahlen?

Die Dilemmata gefühlsgetriebener Etikette sind vermutlich nicht aufzulösen. Am Ende wird man oft unterschätzte Tugenden städtischen Zusammenlebens brauchen: Gelassenheit, die nicht alles gleich übel nimmt, Beiläufigkeit im Zeichengebrauch. Im Übrigen kann jeder Einzelne seinen persönlichen elektronischen Kanal in Trauerfarben kleiden.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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