Alec Baldwin interviewt Woody Allen:"Sind wir schon live?"

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Woody Allen (links) und Alec Baldwin live auf Instagram (Foto: Quelle: Instagram)

Die Hollywoodsenioren Alec Baldwin, 64, und Woody Allen, 86, treffen sich auf Instagram zum Gespräch. Es gibt viel Geplänkel - aber was ist mit den Missbrauchsvorwürfen gegen Allen?

Von David Steinitz

Das beste Theaterstück des Jahres fand am frühen Dienstagabend deutscher Zeit auf Instagram statt. Dort trafen sich die Hollywoodsenioren Alec Baldwin und Woody Allen zum Interview und sahen dabei aus wie Statler und Waldorf aus der "Muppet Show". Zunächst erklärte Baldwin seinem Kumpel Woody, was Instagram ist ("die Radio City Music Hall der Millennials"), während bei Allen eine freundliche Frau im Hintergrund den Computer zurechtrückte, damit man nicht nur seine Stirn sieht. Woody Allen wirkte, als müsse er jetzt zur Darmspiegelung.

Man musste sich immer wieder daran erinnern, dass hier zwei der größten Stars der amerikanischen Filmgeschichte videokonferierten. Allen, der vierfache Oscarpreisträger, der mehr Filmkassiker gedreht hat, als die meisten Filmemacher zu träumen wagen. Und Baldwin, der neben Allen für viele andere Regielegenden gearbeitet hat, Martin Scorsese, Tim Burton, John McTiernan.

Weil Videokonferenzfensterchen in ihrer ganzen Verpixeltheit aber etwas sehr egalitär Demütigendes haben, wirkte es leider eher, als würde man einer Online-Tagung des Bausparkassenverbands Villingen-Schwenningen beiwohnen.

Baldwin quatschte fröhlich los, fragte aber nach ein paar Minuten nervös, ob man überhaupt schon live sei. Eine freundliche Frauenstimme aus dem Hintergrund bejahte. Anschließend fror bei Allen dreimal das Bild ein. Baldwin erhob sich panisch, eine hübsch ausgeleierte blaue Jogginghose präsentierend, um aus dem Bild zu laufen und im Nebenzimmer nach Hilfe zu brüllen. Die Sache hatte großen Homestory-Charme und war anscheinend nicht wie sonst in Hollywood üblich von drei Dutzend PR-Wichteln vorbereitet worden. Die Kommentarfunktion hatte Baldwin trotzdem vorsichtshalber deaktiviert.

Fahrlässige Tötung, Missbrauchsvorwürfe? Lieber erst mal Smalltalk

Natürlich hatte es schon vor dem Gespräch reichlich Häme gegeben, denn wenigstens daran mangelt es im Internet ja nie. Alec Baldwin hatte mit einem Tag Vorlauf angekündigt, er werde seinen Freund Woody Allen auf Instagram interviewen- und die Tweets schrieben sich quasi von allein. O-Ton: Da haben sich die zwei Richtigen gefunden.

Der Schauspieler Baldwin, gegen den aktuell noch ermittelt wird und der Gerichtstermine vor sich hat, weil er vergangenen Herbst mit einer Filmwaffe, die echte Munition enthielt, unwissentlich die Kamerafrau Halyna Hutchins am Set des Westerns "Rust" erschoss. Und der Regisseur Allen, der seit dreißig Jahren von seiner ehemaligen Lebensgefährtin Mia Farrow beschuldigt wird, die gemeinsame Adoptivtochter Dylan missbraucht zu haben, als diese sieben Jahre alt war. Allen wurde deshalb zwar nie juristisch belangt, und es gibt in der Angelegenheit keine neuen Beweise für seine Schuld. Aber nachdem sich Hollywood jahrzehntelang nicht für die Vorwürfe interessierte, hat sich die Stimmung in den letzten Jahren gedreht, und Allen gilt in der amerikanischen Filmindustrie als Persona non grata.

Alec Baldwin und Woody Allen am Set ihres gemeinsamen Films "Blue Jasmine" (2013). (Foto: Mary Evans/Imago)

Nun treffen sich also Alec Baldwin, 64, und Woody Allen, 86, ausgerechnet auf Instagram, was für Letzteren eine Premiere ist. Allen schreibt seine Drehbücher bis heute stoisch auf einer alten deutschen Olympia-Schreibmaschine, für die er in Interviews regelmäßig zärtlichere Worte findet als andere Leute für ihre Ehefrauen.

Baldwin hingegen hat knapp zweieinhalb Millionen Follower, und denen teilte er schon vorab in vielen Versalien mit, dass er NULL INTERESSE daran habe, wenn die Aktion Leute verärgere und sie zu empörten Posts animiere. Und weiter: "Wenn ihr glaubt, ein Verfahren sollte über eine HBO-Dokumentation geführt werden, dann ist das euer Problem." Damit spielte er auf die vierteilige HBO-Serie "Allen v. Farrow" an, die der Pay-TV-Sender vergangenes Jahr ausstrahlte. Sie stellte vor allem die Position der Farrow-Familie dar, weil Allen nicht partizipieren wollte. Dass die Macher der Serie, obwohl sehr parteiisch, durchaus gekonnt ein paar alte Verteidigungsargumente des Allen-Lagers als falsch entlarvten, erwähnte der Allen-Vertraute Baldwin nicht.

Die beiden haben schon mehrfach zusammengearbeitet, unter anderem bei "To Rome With Love" (2012) und "Blue Jasmine" (2013). Baldwin zählt zu Allens eifrigsten Verteidigern in Hollywood, von denen es von Jahr zu Jahr weniger gibt. Die Frage war also, ob das Interview eine Art Befreiungsschlag für den Regisseur sein sollte, um seine Sicht auf die Dinge wieder in den Vordergrund zu rücken. Denn Allen streitet alle Vorwürfe gegen ihn vehement ab.

Allen kündigte an, im Herbst wieder drehen zu wollen - vermutlich sein letzter Film, sagt er

Zunächst einmal scheint er aber vor allem eingewilligt zu haben, weil er ein Buch mit komödiantischen Kurzgeschichten geschrieben hat. "Zero Gravity" ist gerade in den USA erschienen und verlangt wohl nach mehr Promotion als seine früheren Bücher, da er, siehe oben, gerade keinen leichten Stand hat in der Unterhaltungsindustrie. Baldwin hält das Buch auch brav in die Wackelkamera.

Dann geht es wie immer beim Gegenwartshasser Woody Allen um die Vergangenheit. Die Bedeutung der Zeitschrift New Yorker für junge Autoren, als er selbst jung war. Dass er gerne mal mit den Marx Brothers gedreht hätte. Seine gescheiterten Versuche, einen guten Roman zu schreiben, weil er als Kind einfach kein eifriger Leser gewesen sei und deshalb nicht wisse, wie man das mache. Die Vorteile, während der Pandemie einfach daheimbleiben zu dürfen.

Alles Sachen, die er so oder so ähnlich schon oft erzählt hat. Während der knappen Dreiviertelstunde, die das Interview dauerte, fragte man sich natürlich durchgehend, ob jetzt noch irgendwas zu seiner aktuellen Situation kommt. Aber: Fehlanzeige. Der Investigativjournalist Baldwin lobte und giggelte, und ob die beiden mit der Aktion die richtige Plattform gefunden haben, um Allens Buch zu promoten, darf man sich bei den mickrigen paar Tausend Zuschauern, die dabei waren, durchaus fragen.

Es wirkte alles etwas bizarr und unbeholfen. Dabei sind beide nun wahrlich nicht unerfahren vor der Kamera. Aber es hätte auch beiden klar sein müssen, dass sie, auch wenn sie es sich vermutlich anders wünschen würden, etwas realitätsfremd rüberkommen, wenn sie so gar nicht auf ihre aktuellen Lebenssituationen eingehen.

Allen, der früher jedes Jahr einen Film gedreht hat, jetzt aber seit 2019 keinen mehr (sein letzter, "Rifkin's Festival", kommt mit großer Verspätung am 7. Juli in die deutschen Kinos), kündigte immerhin an, im Herbst wieder drehen zu wollen, in Paris. Weitere Details dazu gab es nicht, nur raunte Allen, dass dieses Werk dann wirklich sein letztes sein könnte. Denn der "Thrill", einen Kinofilm zu drehen, sei für ihn längst verloren gegangen, die Streamisierung der Filmindustrie sei einfach nicht mehr seine Welt. Immerhin sei das Coronavirus bislang an ihm vorbei gegangen, weil er fast nur zu Hause gesessen habe. Baldwin: "Echt? An mir auch! Dabei war ich ständig unterwegs!".

Dann wünschten sich die beiden Herren noch einen schönen Sommer. Ende der Zwei-Personen-Komödie.

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