Es ist der größte Moment einer epochalen Darstellungsleistung in der berühmtesten Trilogie der Filmgeschichte. "Niemand sieht diesen Moment", sagt Al Pacino, der es wissen muss. Er hat ihn schließlich geschaffen. "Aber wenn es einen Augenblick in den drei Paten-Filmen gibt, auf den ich wirklich stolz bin", sagt er - "dann den."
Al Pacino treibt sich selbst bis an den Rand der Erschöpfung, um Nuancen in seinem Spiel zu erreichen, die außer ihm selbst und ein paar Meisterregisseuren gar niemand mehr sieht.
(Foto: Foto: AP)Der Boden unter den Füßen
Es passiert im zweiten Teil, ungefähr in der Mitte. Don Michael Corleone ist in Havanna. Er feiert mit seinem Bruder Fredo und ein paar schmierigen Amerikanern. Es ist spät, es ist unfassbar schwül, sie sind in einem Live-Sex-Club gelandet. Auf der Bühne enthüllt der Hauptdarsteller gerade sein Ding, das ihm in Havanna den Spitznamen "Superman" eingetragen hat. Eigentlich kein Setting für eine antike Tragödie.
Aber dann sagt Fredo, alias John Cazale, aus Versehen diesen Satz, der klarmacht, dass er der lang gesuchte Verräter der Corleones ist. Die Kamera geht auf Pacinos Gesicht. Darin passiert nicht viel. Nur dass hier einem Mann, der ohnehin schon das Gefühl hat, die ganze Last der Familie und eigentlich der Welt zu tragen, gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Man sieht durch seine geweiteten Augen hindurch in sein Herz. Dieses Herz befindet sich, mehrere Sekunden lang, im freien Fall. In der nächsten Szene wird das große Morden beginnen. Und es wird nicht Michael Corleone sein, der stirbt.
Und am Morgen nach dem Dreh dieser Szene muss der Regisseur Francis Ford Coppola Pacino ins Krankenhaus einliefern. Wegen akuter Überanstrengung.
Wahrheit und Durchlässigkeit
Wenn man erklären will, was Alfredo James Pacino, Jahrgang 1940, aufgewachsen im südlichen Teil der Bronx, wirklich ausmacht, kann man es eigentlich nur so erklären. Er treibt sich selbst bis an den Rand der Erschöpfung, wieder und immer wieder, um Nuancen der Wahrheit und Durchlässigkeit in seinem Spiel zu erreichen, die außer ihm selbst und ein paar Meisterregisseuren, die mit ihm gearbeitet haben, vielleicht gar niemand mehr sieht.
Aber darum geht es auch nicht. Es geht eher um das Gefühl, dabei in eine alternative Realität einzutreten, vollständig eins zu werden mit der eigenen Leidenschaft. Wie beim Hochseilartisten im Zirkus, der ohne Netz in die Kuppel steigt, weil das Leben anders eben nicht zu spüren ist. Dieses Beispiel verwendet Pacino öfter, wenn er über seine Arbeit spricht.
Zuschauer, Normalsterbliche, Nicht-Schauspieler können vielleicht nicht exakt verstehen, was das bedeutet. Aber sie spüren es natürlich doch. Was dann auch der Grund ist, warum man heute nicht mehr einfach Al Pacino bewundert, oder trifft, oder mit Al Pacino arbeitet. Hip-Hopper und Migranten, die ihn allein wegen Scarface bis in alle Ewigkeit verehren werden, Fans, jüngere Regisseure und Kollegen, die mit ihm gedreht haben - sie alle spüren das kollektive Bedürfnis, zwischen seinen Vor- und Nachnamen noch eine Art Puffer einzuführen, um die Wucht dieser Kombination erst so richtig auszukosten: Al-fucking-Pacino.
Diese Hundewelpenaugen
So nennt ihn zum Beispiel Christopher Nolan, der mit ihm Insomnia gedreht hat, und der gerade dabei ist, der wichtigste aller neuen Blockbuster-Regisseure zu werden. "Er ist besser, als die meisten Menschen glauben", sagt Nolan. "Und die meisten Menschen glauben ohnehin schon, dass er der Beste ist."
Wie aber wird man von einem schmächtigen Kerl aus der South Bronx, der gern das Maul zu weit aufreißt und den alle nur "Sonny" nennen, zu Al-fucking-Pacino? Der Drang zu spielen muss natürlich da sein - auch wenn er auf die Stanislawski-Methoden, die man ihm an der High School of Performing Arts beizubringen versucht, nur mit einem Gähnen reagiert. Da hält es ihn kein Semester lang. Trotzdem macht er weiter, durch Jahre voller Armut und mieser Jobs hindurch, trotz einer ersten Ablehnung am Actors Studio.
Er spielt auf Amateurbühnen und sogar als Teil eines Kaffeehaus-Comedy-Duos - bis Lee Strasberg schließlich doch etwas in ihm erkennt. Da hat sich dann schon ein Zorn hinter seinen braunen Hundewelpen-Augen aufgestaut, der gefährlich durch seine Bühnenpräsenz in Off-Broadway-Theatern hindurchbrennt. Bei Israel Horovitz' The Indian Wants the Bronx, 1968, werden Kritik und Publikum zum ersten Mal wirklich auf ihn aufmerksam.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es nichts macht, dass Al Pacino auch schlechte Filme gedreht hat.