Kunst:Rückkehr nach Potsdam

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Wettschulden beglichen: Adolph von Menzels Gouache "Lesende Dame". (Foto: Theodor-Fontane-Archiv der Universität Potsdam)

Das Fontane-Archiv bringt Adolph von Menzels Bild "Lesende Dame" zurück in die Öffentlichkeit.

Von Gustav Seibt

Eine lesende Dame, die sich unter einem Schirm vor dem Wind schützt, das war das Geschenk, mit dem der Maler Adolph von Menzel am 3. März 1872 eine Wettschuld bei Emilie Fontane beglich, der Frau seines Freundes Theodor Fontane. Die Szene ist, wie immer bei Menzel, atmosphärisch und gestisch schnappschussartig getroffen: die gebauschte Kleidung, die gebeugte Haltung, die Schirm und Buch haltenden Hände. Man meint, Wind und Versunkenheit zugleich zu sehen. Die Szene spielt auf der Bank eines Saale-Dampfers, und Ausflug, Frische, Landschaft spielen beiläufig hinein. Auf die Rückseite des 11,2 mal 7,3 cm großen Blattes setzte Menzel eine Widmung, die darum bat, bei Betrachtung der Aquarell-Gouache nicht enttäuscht zu sein.

Das bezaubernde Kunstwerk kehrt an diesem 15. November mit seiner öffentlichen Präsentation gewissermaßen in den Besitz der Fontanes und zugleich in die Öffentlichkeit zurück, denn das Potsdamer Fontane-Archiv konnte es mithilfe der Kulturstiftung der Länder und der Siemens-Kunststiftung erwerben. Über den Preis wird, wie in solchen Fällen üblich, geschwiegen. Wer den Kunstmarkt in den letzten Jahren beobachtet hat, schätzt ihn auf eine hohe fünfstellige Summe. Das Aquarell blieb bis 1905 im Besitz der Familie Fontane, danach wechselten die Eigentümer mehrmals, zuletzt 2014. Damals wurde es von einem New Yorker Sammler erworben. Das Fontane-Archiv verweist auf Emilie Fontanes 200. Geburtstag im kommenden Jahr, zu dem dieses schöne Geschenk passt.

Die Freunde vereinte der Sinn für das Schwebende des vorübereilenden Moments

Fontane und Menzel, die beiden großen artistischen Preußen des 19. Jahrhunderts, waren jahrzehntelang befreundet. Sie wurden auch immer zusammen gesehen. Michael Fried, der große amerikanische Kunstkritiker, hat in seiner Menzel-Monografie mit subtiler Kennerschaft auf die ästhetische Verwandtschaft der beiden verwiesen. Beide konnten Pathos und Lässigkeit, beiden stand eine zarte Beobachtungsgabe zu Gebote. Und beide verehrten auf unpfäffische Weise Friedrich den Großen, den Freigeist, den Helden, den Spieler mit seinem Schicksal. Zu Menzels siebzigstem Geburtstag im Dezember 1885 ließ Fontane in einem Langgedicht den großen König in einer Winternacht auf der Treppe von Sanssouci auftreten und nach dem berühmten Maler fragen.

Fontanes Antwort ist ein Katalog von malerischen Gegenständen, angeschauten und historischen: "Menzel ist sehr vieles,/ Um nicht zu sagen alles; mind'stens ist er/ Die ganze Arche Noäh, Thier und Menschen:/ Putthühner, Gänse, Papagei'n und Enten,/ Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,/ Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen,/ Kathol'sche Kirchen, italiensche Plätze,/ Schuhschnallen, Broncen, Walz- und Eisenwerke,/ Stadträthe mit und ohne goldne Kette,/ Minister, mißgestimmt in Cashmirhosen,/ Straußfedern, Hofball, Hummer-Majonnaise,/ Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hacke, Bismarck -". Irgendwo da hätte auch die lesende Dame ihren Platz finden können, mit ihrem Silbergriff-Schirm und dem schwarzen Federhut, dem golddurchwirkten Schal und einem Buch, dessen Druckspiegel genauso liebevoll erfasst ist wie das Geländer des Ausflugsdampfers.

Menzels Widmung auf der Rückseite des Bildes. Auf dass die Enttäuschung beim Anblick des Bildes nicht zu groß sei. (Foto: Theodor-Fontane-Archiv der Universität Potsdam)

Die Fontanes liebten das Bildchen und trennten sich nach dem Tod der Eltern - Emilie starb 1902 - nur ungern von ihm. Nur einmal, in Menzels Todesjahr 1905, wurde es in der großen Berliner Menzel-Ausstellung öffentlich gezeigt. Menzel und Fontane hatten sich im Berliner Künstlerverein "Tunnel" kennengelernt, und Menzel errang in der Runde Fontanes uneingeschränkte Bewunderung. Umso enttäuschter war der grenzenlos beifallsbedürftige Fontane, dass sein Gedicht zum Siebzigsten des Freundes bei diesem zunächst auf Schweigen stieß. Zehn quälende Tage brauchte der kleine Mann für den Dank, wie Fontane mitzählte, während sonst von allen Seiten Lobgold regnete. Emilie, ganz nüchtern zu ihrem Mann, schrieb über Menzels Ausführung, sie sei "Deiner Produktion etwas ähnlich." Ja, beide vereint der Sinn für das Schwebende des vorübereilenden Moments.

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