Als Botschafterin Deutschlands ist Hanna Schygulla in Griechenland denkbar gut geeignet. Ihre schauspielerischen Leistungen werden in Hellas inzwischen wahrscheinlich sogar höher bewertet als in der Heimat, so war es nur folgerichtig, dass sie beim 55. Internationalen Filmfestival in Thessaloniki mit dem "Goldenen Alexander" für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde.
Sie wusste die Bühne zu nutzen. Sehr im Gegensatz zu vielen Landsleuten, die den Griechen gegenüber seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise selbstgefällig auftreten, zeigte sie Verständnis für die Nöte des Landes. Dessen augenblickliche Situation verglich sie mit der Lage des kriegsgeschundenen Deutschlands ihrer Kinder- und Jugendjahre, und erinnerte an die Chancen, die damit einhergingen: "Wir versuchten uns damals an einem Neustart. Wir waren damals mehr am 'Sein' als am 'Haben' interessiert, und wir dachten, Liebe statt die Konfrontation solle unsere Antriebskraft sein." Griechenland müsse sich nun auch wie der Phoenix aus der Asche erheben, doch den Zusammenbruch des Wertesystems gelte es dabei zu verhindern. Denn: "Wir leben alle im selben Körper, Europa, die Welt, die gesamte Menschheit, wir haben so viel gemeinsam, trotz unserer Unterschiede."
Hanna Schygulla in Thessaloniki: "Wir haben so viel gemeinsam, trotz unserer Unterschiede."
(Foto: Paul Katzenberger)Der Appell hätte auch von jenen griechischen Filmemachern stammen können, die in den vergangenen fünf Jahren mit Werken aufgefallen sind, die der britische Filmkritiker Steve Rose als die "bizarre Welle" bezeichnete: Vorreiter dieser Bewegung sind Yorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari, die mit ihren Filmen "Dogtooth" (2009), "Attenberg" (2010) und "Alpen" (2011) in Cannes und Venedig mehrfach ausgezeichnet wurden.
Lanthimos' und Tsangaris Dramen handeln nicht direkt von der tiefen sozialen Krise Griechenlands, doch den Werteverfall, von dem Schygulla in Thessaloniki sprach, benennen sie dafür umso expliziter. Es geht um Sprachlosigkeit, Gewaltbereitschaft, Xenophobie, Lethargie und den Mangel an Visionen.
Griechisches Kino feiert 100-jähriges Jubiläum
Das "Bizarre", von dem Filmkritiker Rose spricht, ergibt sich durch ihren Sinn fürs Groteske und die absurden Dialoge, von denen ihre Filme geprägt sind. Vor allem üben sie aber Kritik an Rolle und Zustand der Familien in Griechenland. Tsangari begründet das mit ihrer Auffassung von den Ursachen der griechischen Krise: "Warum geht es unserer Politik und Wirtschaft so schlecht? Weil sie geführt wird wie eine Familie. Es geht darum, wen Du kennst."
Das fünfte Jahr der griechischen Staatsschuldenkrise fiel bei der 55. Austragung des Filmfestivals in Thessaloniki mit dem 100-jährigen Jubiläum des griechischen Kinos zusammen, das Costas Bachatoris 1914 mit dem Spielfilm "Golfo" begründet hatte.
Welche Wendungen der griechische Film von Bachatoris bis Lanthimos genommen hat, wurde den Festivalbesuchern in der Retrospektive des griechischen Kinos mundgerecht aufbereitet, die in Thessaloniki aus Anlass der Hundertjahrfeier gezeigt wurde. Von Michael Cacoyannis, dem 1964 mit "Alexis Zorbas" einer der erfolgreichsten Kassenschlager der internationalen Kinogeschichte gelungen war, wurde etwa der Erstlingsfilm "Stella" von 1955 gezeigt.