Sprachlabor:Wortklaubereien

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Von Zügeln ohne Pferde, Bräuchen und Gebräuchen und dem ewigen Zürcher ohne ,,i".

Von Hermann Unterstöger

"WER REDET OHNE ZÜGEL, verdient die erhaltenen Prügel." So lautet eine Spruchweisheit, die jenseits ihrer Moral mit der Frage konfrontiert, was zur Vermeidung der Prügel denn zu zähmen wäre: die Rede, die Worte, die Zunge? Unser Leser M. ist schon etwas weiter. Gegen den Satz, dass Wagenknecht und Kipping künftig "ihre Worte zu zügeln" gedenken, wendet er ein, dass Worte keine Pferde seien, dass man nur zügeln könne, "was eigene Aktivität entwickelt oder ausdrückt". Selbstverständlich sollen Metaphern so wenig hinken wie Vergleiche, aber großzügiges Geltenlassen verdienen sie allemal. Abgesehen davon, dass Worte oft von gewaltiger Aktivität sind, dass Reden aufbauen und zerstören können, wird auch die Zunge gern als Pferd gesehen, das man besser zügelt, als es losbrettern zu lassen. Dazu ein beherzigenswertes Wort aus Gotthilf Treuers "Deutschem Daedalus" von 1660 ff.: "Die Zunge der Menschen ist einem Königlichen Rosse gleich: Ists gezähmet / und man hält den Zügel / geht er einen Zeltergang / die Zunge redet Gottes Lob / und dienliche Sachen. Läßt man den Zügel schiessen / so lermt er / thut Schaden / die unbändige Zunge ist des Satans Schlam Kasten."

ZU DEN EWIGEN RÜGEN gehört: dass es "Der zerbrochne Krug" ohne "e" heiße, dass die Züricher in Wahrheit "Zürcher" ohne "i" seien und dass mehrere Bräuche keine "Gebräuche" seien - Letzteres der Mahnung zu vergleichen, dass man "Brüder" und nicht "Gebrüder Grimm" sage. Dass im Sprachlabor kürzlich von "Sitten und Gebräuchen" die Rede war, kritisiert Leser K., und zwar mit Rückgriff auf seinen Deutschlehrer, der ihn vor der vermeintlichen Wortwurzel gebrauchen gewarnt hatte. Die Grimms, die auch das Wort Gebrüder durchaus positiv sehen, wissen den Gebräuchen viel Gutes abzugewinnen und rechtfertigen sie als anderen Ausdruck für Volks- und Landessitte. In Lessings Schauspiel "Der junge Gelehrte" heißt es, dass einer, der mehrere Frauen auf einmal heirate, dies "der Bibel, der Obrigkeit und dem Gebrauche zum Trutze" tue.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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