Sprachlabor:What about our Deutsch?

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Vom Leserrecht, nicht mehr sprachliche Rätsel als nötig vorgesetzt zu bekommen, und über ein adverbiales Auf und Ab.

Von Hermann Unterstöger

DAS NENNT MAN aufs Glatteis führen! "Kann man HINAB steigen?", fragte Leser Dr. L., und da er hinab in Versalien schrieb, dachten wir zunächst, er nehme Anstoß an diesem Adverb, hätte es womöglich gern durch hinunter ersetzt. Schon hatten wir den großen Duden aufgeschlagen, in dem zu lesen ist, dass hinab in Zusammensetzungen als die gehobene Variante von hinunter gilt, dass also hinabsteigen an Vornehmheit kaum zu übertreffen ist, man erinnere sich nur an die alten Credo-Worte "hinabgestiegen zu der Hölle". Weiteres Sinnieren führte aber zu der Vermutung, dass es Herrn L. eigentlich um die Frage ging, ob das abwärtsgerichtete hinab mit dem aufwärtsgerichteten steigen vereinbar sei. Auch in diesem Punkt kann Entwarnung gegeben werden. Bei Grimm findet sich zur "rein sinnlichen grundbedeutung" von steigen die schöne Erklärung, es handle sich um "ein nach oben oder unten schreiten von lebewesen, die dementsprechend von der natur ausgestattet sind". Da wir Menschen so ausgestattet sind, können wir also auch "HINAB steigen".

GESCHEIT, wie Leser R. ist, weiß er wahrscheinlich, was mit dem noch recht jungen Fremdwort Whataboutism gemeint ist: die Technik, eine unangenehme Frage mit einer Gegenfrage zu unterlaufen. Zugrunde liegt das englische what about, und man hat sich einen Wortwechsel dieses Schlages so vorzustellen: "Vier Biere schon, Paul, ich denke, das reicht für heute!" - "Und was, Erna, ist mit deinen fünf Likören?" Herr R. pickt sich solche Anglizismen heraus, und dass er das mit mittlerweile nicht mehr schöner Regelmäßigkeit tun kann, sollte uns zu denken geben, what about our Deutsch. Nun war in dem Artikel, in dem Herr R. den Whataboutism entdeckt hatte, der Textfluss zwar so sinnhaltig, dass sich die Bedeutung des Worts aus dem sattsam bekannten Zusammenhang ergeben konnte, und der Zugriff auf seltene und seltsame Wörter muss allemal erlaubt sein. Nach wie vor gilt aber auch das Leserrecht, nicht mehr Rätsel als nötig vorgesetzt zu bekommen.

© SZ vom 20.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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