Sprachlabor:Vorvergangen gewesen

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Was ist eigentlich das Plusquamperfekt? Dieser Frage widmet sich Hermann Unterstöger, nachdem uns eine Leserin "Gossensprache" vorgeworfen hatte. Der Niedergang der Sprache ist auch Thema der weiteren Punkte.

Von Hermann Unterstöger

MIT IHREM AUFRUF, nicht der "Gossensprache" zu verfallen, hat uns Leserin R. einen mächtigen Stein auf die Seele gewälzt. Es ging um diesen Satz: "Andrea Contin, 49 Jahre alt, war vor seiner späten Berufung Rechtsanwalt gewesen." In ihm sah Frau R. ein gutes Beispiel dafür, dass die falsche Anwendung des Plusquamperfekts epidemisch um sich greife. Dieses Tempus hat noch andere Namen, etwa Vorvergangenheit, doch über seine Funktion herrscht Einigkeit. Dem Metzler-Lexikon "Sprache" zufolge liegt diese "im Ausdruck einer Vorzeitigkeit im Bezug auf ein als vergangen dargestelltes Geschehen, das im Präteritum steht". Muster: Als er endlich kam, waren alle anderen schon gegangen. In der Umgangssprache findet man unechte Formen des Plusquamperfekts: Was hast du gestern gemacht? Da war ich im Kino gewesen. Im obigen Fall unterstellt unsere Leserin, dass Herr Contin nach wie vor Rechtsanwalt sei, sein Anwaltsdasein also nicht abgeschlossen. Dem Text nach wurde er indes Priester, woraus folgt, dass er die längste Zeit Anwalt gewesen war. Dem Verständnis hätte es freilich keinen Abbruch getan, wenn der Satz so gelautet hätte: Contin war vor seiner späten Berufung Rechtsanwalt.

WAS TUT MAN MIT EINEM ERFOLG? Unser Leser B. ist der Meinung, dass man ihn zunächst einmal hat, doch wird ihm allerorten, auch in diesem Blatt, gesagt, dass man ihn feiert. Als Freund geordneter Prozesse findet Herr B., dass da auch die Presse nicht vorgreifen sollte: Erst haben, dann feiern!

DEN NIEDERGANG DER SPRACHE sieht Leserin I. nahen, wenn auf insofern nicht als folgt, sondern weil. Auch wenn es schlimmere Verfehlungen gibt, sollte die Kombination insofern als hochgehalten werden. Der Satz, auf den Frau I. sich bezieht, ist insofern besonders betrüblich, als das ursprüngliche "ganz praktisch, weil" erst in einer späteren Ausgabe durch "insofern praktisch, weil" ersetzt wurde.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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