Sprachlabor:Spottlust

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Bodenlose Höhen, erhabene Tiefen? Das bringt einen nicht weiter. "Nun, ja"? Bitte gleichfalls streichen.

Von Hermann Unterstöger

ALS DIESE KOLUMNE vor drei Jahren von einem Leser gebeten wurde, "Ihren Schreiberlingen" das ewige "nun ja" auszutreiben, verschanzte sie sich hinter fehlender Autorität. Nun ist es Leserin Sch.-G., der das Einschiebsel auf die Nerven geht. Eine kleine Bilanz ergab Erstaunliches: Die Nun-ja-Fälle haben sich in der SZ von jährlich rund 600 auf 342 vermindert, ein Wunder, das das Sprachlabor der Einfachheit halber auf seine Habenseite schreibt. Soll das Ringen weitergehen? Sagen wir's mal so: Es wäre aberwitzig und sprachwidrig, wollte man Interjektionen bekämpfen, nur weil einige "Schreiberlinge" keinen Bahnhof kennen. Dem Duden zufolge drückt nun ja zögerndes Einverständnis aus. Ließe es die Zunft mit diesem Gebrauch bewenden, wäre das schon, nun ja, genug.

DAS WORT "PERSON" wurde bei uns auf lateinisch personare (durchtönen) zurückgeführt, was Leserin Dr. G. auf den Plan rief. Sie erwähnt die mögliche Herleitung vom etruskischen phersu gleich Maske, was uns in Zeiten von Corona besonders anspricht, da wir nun besser, als uns lieb ist, wissen, wie unsere Stimmen durch selbige hindurchtönen.

WER MIT WITTGENSTEIN kommt, verbreitet schon mal Ehrfurcht, wenn nicht sogar Angst. Leser Dr. D. zitiert aus dessen "Tractatus" den Satz "Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen" und zielt damit auf eine Wendung, mit der Beethoven charakterisiert wurde: als ein Komponist "von erhabener Tiefe". Herr G. sieht ein Sprachbild sich in "bodenlose Höhen" aufschwingen, und in der Tat bewegt das Lob sich an der Grenze zur Werbung, die zum Beispiel einem Handreinigungsgel attestiert, bestimmte Essenzen hätten der Komposition "eine erhabene Tiefe" verliehen. Andererseits soll bei aller berechtigten Spottlust nicht übersehen werden, dass erhaben nicht nur hervortretend und reliefartig bedeutet, sondern auch feierlich stimmend und weihevoll. Beim nächsten Mal nennen wir Beethoven einen Meister von tiefer Erhabenheit.

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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