Sprachlabor:Schlag nach in der Bibel

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

... allerdings nicht weil Weihnachten naht, sondern weil verzwickte Leseranfragen unseren Sprachlaboranten dorthin geführt haben. Zudem galt es noch, sich mit der Größe einer Südkoreanerin zu beschäftigen.

Von Hermann Unterstöger

WENN WIR HEUTE DIE BIBEL zitieren, dann nicht, weil Weihnachten naht, sondern weil Leser J. mit dem Buch Koheleth winkt, worin geschrieben steht: "Ein jegliches hat seine Zeit." Herr J. tut das nicht als Prediger, sondern als Kritiker der "dümmlichen" Formulierung, dass jemand, dem Unbill widerfuhr, vielleicht nur "zur falschen Zeit am falschen Ort" war. (Konsequenterweise rügte er auch den Satz, wonach Glück "das richtige Gefühl zur richtigen Zeit" sei, ein Verweis, den die gerügte Kollegin in ihrer Kolumne den Lesern zur Beurteilung vorlegte.) Man kommt in dieser Sache zu keinem Ende, da die Rede von der falschen Zeit und dem falschen Ort so verführerisch schicksalhaft raunt, dass ihr nur schwer widersteht, wer Tragisches zu vermelden hat. Etwa die Kinder, die Herodes ermorden ließ: Waren sie nicht eklatant zur falschen Zeit am falschen Ort? Man könnte indes, um es auf die Spitze zu treiben, auch sagen, sie seien genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, widrigenfalls sich ja die Schrift - wir reden hier von Jer 31, 15 - nicht erfüllt hätte.

UM NOCH KURZ IN DER BIBEL zu verweilen, so steht dort auch, bezogen auf Jesu Geburt, dass damals die Zeit erfüllt war (Gal 4, 4). Dazu jenseits aller theologischen Deutungen ein kurioser sprachlicher Zeitbezug. Über Volker Kauder war bei uns zu lesen, er sei "länger als alle seine Vorgänger" an der Spitze der Unionsfraktion im Bundestag gestanden. Rechnerisch sähe das so aus, dass Kauder länger als 56 Jahre die Fraktion geführt hätte. In Wirklichkeit hat er sie 13 Jahre geführt, also, wie Leser M. richtig anmerkt, "länger als jeder seiner Vorgänger".

VON DER ZEIT NUN IN DEM RAUM, und zwar in jenen, den ein Mensch ausfüllt. "Im Durchschnitt war eine Südkoreanerin, die 1996 geboren wurde, ganze 20 Zentimeter größer als noch hundert Jahre zuvor." So stand es bei uns, und nicht nur Leser G. wunderte sich, dass die Frau in so langer Zeit so wenig hat zulegen können.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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