Sprachlabor:In Gedenken des Genitivs

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Wieder mal wähnen einige Leser das Ende des Genitivs gekommen, der des Dativs Feind, aber auch alleinstehend offenbar vor Verwahrlosung und Verstümmelung nicht gefeit ist.

Von Hermann Unterstöger

VERÄNDERUNG UND UNTERGANG, das ist für Sprachfreunde oft eins. Dabei hat sich die Sprache immer schon von abgenutzten Formen getrennt und dabei keinerlei Schaden genommen. In der Dudengrammatik von 1959 heißt es dazu etwas melodramatisch, das Genitivobjekt sei "im Sterben begriffen", doch hat der Tod von Sätzen des Musters "... wie ich des Schauspiels staune" (Kleist, Penthesilea) die Sprache in ihren Ausdrucksmöglichkeiten nicht straucheln lassen.

Das heißt aber nicht, dass wir den Genitiv der Verwahrlosung überlassen dürfen, und wenn sich in der Zeitung die Anzeichen dafür trotzdem mehren, steigen die Leserinnen und Leser auf die Barrikaden bzw. uns auf die Zehen. Herr S. zum Beispiel verteidigt den Genitivus possessivus gegen ausweichende Formulierungen wie "die Taten von dem Mann", die ihm mehr sind als nur "Steine vom Anstoß". Für Frau G.-B. gehört gedenken nach wie vor zu den Verben, die den Genitiv erfordern, weshalb sich ihr denn auch bei der Aussage, dass "Strauss und den Volkssängern plätschernd gedacht wird", die Haare sträubten. Herrn Dr. B. widerfuhr das nicht, doch fand er es respektlos gegenüber der Kaiserin Theophanu, dass man "an sie" statt "ihrer" gedenkt.

Den Kontrast dazu bilden Genitive, die den Dativ verdrängen. Einen dem Haarsträuben vergleichbaren Affekt verspürte Herr Sch. bei "Hochhäusern nahe des Bahnhofs": Ihm rollten sich die Zehennägel auf, und er fürchtet um sein Gangwerk, wenn die SZ bei Präpositionen weiterhin so schludert. Frau M. steuert dazu dieses Fundstück bei: "Entgegen aller Blockbuster-Klischees."

Den verzwicktesten Genitiv-Fall hat Leser N. entdeckt. Es ging um einen Produzenten ausgefallener Gläser, wozu bemerkt wurde, dass "allein die Zertifizierung dessen Gläser" Ewigkeiten dauere. Herr N. analysiert, dass das Genitivattribut Gläser ohne Kasusmarkierung in der Luft hänge und dass man mit "seiner Gläser" auf der sicheren Seite gewesen wäre. Diesfalls freilich hätte er, wie er in feiner Selbstkritik schließt, "nichts zu mäkeln gehabt".

© SZ vom 17.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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