Sprachlabor:,,Gefühlte" Wahrheiten

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Wann ist ein Mord brutal? Und warum es schräg klingt, wenn Dinge eine Lebensdauer haben. Ein Leser verbittet sich, auf denselben Fehler zweimal hinweisen zu müssen.

Von Hermann Unterstöger

"GEFÜHLTE" URTEILE hat jeder schon gefällt, und in aller Regel ist kein größerer Schaden damit verbunden. Damit zu Leser Dr. K., der konstatiert, bei uns werde über Morde nur mit dem Zusatz "brutal" berichtet. So kategorisch sagt er das sicher um der Wirkung willen, die seine Kritik entfalten soll, und sein Argument, dass jeder Mord brutal sei und dass allenfalls die Art der Brutalität deren Nennung rechtfertige, ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Dennoch muss sein Urteil über die Häufigkeit zurückgewiesen werden: Der Anteil der als brutal charakterisierten Morde liegt, einer raschen Archivrecherche zufolge, in der deutschsprachigen Presse bei etwa acht Prozent; die SZ bringt es auf nur sieben Prozent.

DIE LEBENSDAUER ist laut Grimms Wörterbuch "vornehmlich auf das menschliche Leben ... bezogen". Dessen ungeachtet gibt es auch eine technische Lebensdauer: die Zeit der Haltbarkeit eines Geräts. Leser Dr. W. weiß das, findet es aber makaber, bei Waffen von "Lebensdauer" zu sprechen. Man könnte es so sagen: Die Lebensdauer eines Gewehrs steht im umgekehrten Verhältnis zur Lebensdauer derer, auf die es angeschlagen wird.

ALTE RÜGEN, NEU: Unser Leser S. erinnert daran, dass man das Feingefühl des Zahnarzts beim Bohren nicht erbetet, sondern erbittet, und Leser Dr. O. weist darauf hin, dass die Grünen sich Personaldebatten nicht verbieten, sondern verbitten. Dies kann man auch beim Zahnarzt tun, nämlich dass er allzu grob bohrt.

VIKTORIA REBENSBURG machte ihren Weg "die eigene Fahrspur entlang". Am Wegrand aber stand unser Leser O. und sorgte sich, ob sie auf diese Weise je ankäme. In der Tat ist es unmöglich, der eigenen Spur zu folgen, da diese erst hinter einem entsteht, es sei denn, man hat die Spur vorher getreten und vertraut ihr für weitere Märsche. Der Vorgang ist mit jener wundersamen Marschtechnik verwandt, bei der ein Wanderer dem nächsten folgt, statt dass der nächste ihm folgen würde.

© SZ vom 26.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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