Sprachlabor:Falsche Freunde

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Warum Italiener kein Lametta an Bäume hängen und Homeschooling eigentlich Remote Schooling heißen müsste.

Von Hermann Unterstöger

KEIN ITALIENER würde Lametta an den Christbaum hängen, weil lametta in seiner Sprache für Rasierklinge steht. Weniger markant ist das englische Verb to wink, das bei uns mit winken übersetzt, dann aber schnell in zuzwinkern verbessert wurde, vermutlich auf Betreiben unter anderem von Leserin Sch., die daran erinnerte, dass winken im Englischen to wave heißt. Wir befinden uns jetzt in Gesellschaft der "Falschen Freunde", als deren berüchtigtster das Handy gilt. Im Deutschen hat es längst das ewige Leben, obwohl jedermann weiß, dass handy so viel wie geschickt, handlich bedeutet, wohingegen das "Handy" mit mobile (phone) wiederzugeben wäre. Einen bisher allerorten geduldeten Falschen Freund zieht nun Leserin F. aus dem Halbdunkel: das Homeschooling, das als Terminus für den durch Corona erzwungenen Fernunterricht verwendet wird. Ihrer solid untermauerten Ansicht nach handelt es sich dabei um remote schooling. Das landauf, landab übliche Wort Homeschooling aber bedeute, "dass Eltern ihre Kinder überhaupt nicht in die Schule schicken, sondern sie aus Prinzip zu Hause unterrichten". Dass der Begriff remote schooling in unserer Presse noch nicht aufgetaucht ist, lässt vermuten, dass es ihm ergehen wird wie dem mobile phone: Bekommt keinen Fuß auf deutschsprachigen Boden.

TEXTE ZUR GEGENWARTSKUNST neigen oft mehr zum Verschlüsseln als zum Enthüllen, obwohl sie, wie Fachleute sagen, den reflektierenden Rezipienten in die Analyse mit hineinnehmen und auf die Potenziale seiner ästhetischen Wahrnehmung bauen. Leser Sch. fand im Bericht über Anish Kapoors Plastik "Howl" diesen Satz: "Kultur sei in ihren Ursprüngen weiblich, nicht männlich. Jener gehe zum Himmel, seine Farbe sei das Blau." Seine Frage "Ja wer jetzt?" wollte zweierlei ergründen: zunächst, wer "Jener" ist, und sodann, wo der dazugehörige "Dieser" bleibt. Sein bitteres Resümee: "Das Einzige, was zum Himmel geht, ist mein fragender Blick, der aber ohne Erleuchtung wieder zur irdischen Zeitung zurückkehrt."

© SZ vom 10.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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