Sprachlabor:Der Schmiegende

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Die Sprachgemeinschaft ist nach wie vor zutiefst gespalten bei der Frage, ob man "Studierende" statt "Studenten" schreiben soll. Eine Leserin hat aber etwas ganz anderes auf dem Herzen. Sie wirbt dafür, "Gefährdende" statt "Gefährder" zu verwenden.

Von Hermann Unterstöger

DIE SPRACHGEMEINSCHAFT ist nach wie vor zutiefst gespalten bei der Frage, ob es der Geschlechtergerechtigkeit weiterhilft, wenn man Studierende statt Studenten schreibt. Ein Problem, das diesem sehr ähnlich ist, hat unsere Leserin Dr. G. auf dem Herzen. Sie verweist auf Wörter wie Störer, Randalierer, Gefährder oder Raucher, wobei es ihr keineswegs darum geht, dass hier möglicherweise die Störerinnen, Randaliererinnen usw. ausgeschlossen werden. "Nach meinem sprachlichen Verständnis", schreibt sie, "werden auf diese Weise bestimmte Handlungsweisen einer Person als allumfassende, letztlich einzige Eigenschaft zugeschrieben." Sie plädiert für Gefährdende oder Rauchende, weil damit signalisiert würde, dass diese Leute wahrscheinlich auch anderes und Vernünftigeres tun als gefährden oder rauchen, was der Öffentlichkeit bei der geltenden Regelung aber verborgen bleibe.

Ohne der Menschenfreundlichkeit des Vorschlags zu nahe treten zu wollen, sei zunächst ein ästhetisches Bedenken geäußert. Substantivierte Partizipien sind sperrig und zudem in Gefahr, komisch zu wirken, man denke an die "Fruchtbringende Gesellschaft", in der Decknamen wie "der Schmiegende" (Gottfried von Bissing), "der Niederdrückende" (Augustin von Bülow) oder gar "der Starkriechende" (Johann Adolf von Anhalt-Zerbst) üblich waren. Dazu kommt eine grammatische Überlegung. Verbindet man Verben mit dem Suffix -er, gewinnt man Personenbezeichnungen, die auf Tätigkeiten, Eigenschaften oder Berufe deuten ( nomina agentis). Zu nennen wären Begriffe wie Lehrer, Bäcker oder Schreiber, auch Anlieger, Entdecker oder Freischwimmer. Dahinter vermuten wir honorige Leute. Wollte man indessen Frau G.s These böswillig umdrehen, müsste man einwenden, dass diese Leute auf eine "allumfassende, letztlich einzige Eigenschaft" reduziert würden und niemand erführe, dass etwa der Freischwimmer nicht dauernd freischwimmt, sondern dann und wann auch ein Bier trinkt, also ein Biertrinkender ist.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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