Sprachlabor:Ceterum censeo

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Was im Sprachlabor für richtig befunden wird, muss in der Zeitung noch lange keine Anwendung finden - leider. Daher noch einmal: das Verb "verteidigen" sollte nicht im Sinne von "abwehren" verwendet werden.

Von Hermann Unterstöger

EIN HAUCH VON VANITAS umweht auch diese Kolumne, weil vieles von dem, was sie anmerkt, wirkungslos verhallt. Unser Leser R. belegt dies damit, dass das Verb verteidigen bei uns wieder und wieder im Sinn von abwehren verwendet wird, obwohl im Labor davor dringend gewarnt wurde. Das geschieht fast nur im Sportteil, auch in dem anderer Blätter, wo, um beispielsweise das Freie Wort zu zitieren, von langen Pässen die Rede ist, die mit Konzentration verteidigt - korrekt: abgewehrt - werden mussten. Unser Sportteil schrieb, dass "die Freiburger Haller nicht verteidigten". Besser wäre es gewesen, sie hätten ihn abgewehrt, denn Sébastien Haller schoss das 2:0 für den gegnerischen Verein, die Eintracht Frankfurt.

MANCHMAL BERUFEN LESER sich auf die Deutschlehrer ihrer Schulzeit, die ausgeflippt wären, wenn sie, also die Leser, Fehler gemacht hätten, wie wir Journalisten sie machen. Auch Leser J. tut dies und rügt damit unsere Formulierung, gewisse europäische Vorstellungen seien Amerikanern "vollkommen fremd": Statt vollkommen müsse es völlig heißen. Dem zu widersprechen ist insofern vollkommen legitim, als die Bedeutungsgleichheit von völlig und vollkommen früh belegt ist und durch Zitate aus ersten Kreisen erhärtet werden kann: In einer Kunstbetrachtung preist Goethe eine "vollkommen poetische Gewitterwolke", und Schiller verwendet in seiner Abhandlung "Über Anmut und Würde" die Formulierung "vollkommen hinreichend".

BEI ALLER MACHT, die Chefredakteure der SZ haben, sind sie doch den Gesetzen der Grammatik unterworfen. Unser Leser R. irrt also, wenn er glaubt, ein Lapsus aus der Chefetage dürfte an dieser Stelle nicht gerügt werden. In einem Nachruf unterlief dem Chef der Pluralgenitiv "vieler Deutschen", der zu "vieler Deutscher" zu verbessern ist, obwohl die Grammatik als Ausreißer auch die Wendung "um so vieler Ungerechten willen" aus Hans Falladas Roman "Der Alpdruck" im Repertoire hat.

© SZ vom 15.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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