Sprachlabor:Bürokratie

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Warum Substantivketten in Juristerei und Verwaltung auch mit Partizipkonstruktionen nicht beizukommen ist.

Von Hermann Unterstöger

DIE BÜROKRATIE hat sich die Panik, die ihr Deutsch auslöst, hart erarbeiten müssen, beispielsweise durch Substantivketten wie diese: "Auf das Verfahren bei der Zustellung der Ladungen nach Artikel V sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über Zustellung von Amts wegen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass ..." (§ 72 Reichsmilchgesetz von 1930). Den Journalisten wird früh gesagt, dass zu viele Substantive einen Text zu Boden ziehen. Als passabler Ausweg gelten Partizipkonstruktionen, die sich freilich oft als Holzweg erweisen. Unser Leser H. hat in seinem Heimatblatt einmal gelesen, die Landesregierung wolle "gegen aussterbende Dörfer vorgehen", ein Affront, den die eh schon geplagten Dörfer nicht verdient haben. Als nun gemeldet wurde, dass die CDU "nach dem angekündigten Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer" eine neue Führung suche, war das so zu verstehen, als wäre AKK schon weg. Sie ist aber noch da.

ANGEHENDE TIERPFLEGER verbringen zum Staunen von Leserin F. die meiste Zeit damit, "frühmorgens schon Tiere für die Fütterung zuzubereiten". Warum sie das tun? Nun, man will doch mittags ordentlich was auf dem Tisch haben.

60 JAHRE alt ist Leser M. So lang musste er warten, bis er mit dem Wort Piedestal Bekanntschaft machte. Es entlockte ihm ein "Hä?", und nachdem er sich bei Google fortgebildet hatte, fand er, dass es im Streben nach Verständlichkeit ein Podest auch getan hätte. Podest oder Piedestal? In seinen "Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst" sagt Schlegel über das Piedestal, es sei "gleichsam der Rahmen der Statue, dasjenige was außer ihrer eignen Umgränzung noch dient, sie gänzlich von der umgebenden Wirklichkeit abzusondern". Da es im Text um Maradona und seine glorreiche Zeit bei der SSC Neapel ging, war das Piedestal als Möbel der Erhöhung vielleicht nicht völlig verkehrt. Herrn M. aber ist zu wünschen, dass er und das Piedestal die nächsten Jahrzehnte noch viel Freude an- und miteinander haben.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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