Ausbeutung:Was hilft Prostituierten?

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Eine Prostituierte wartet auf ihrem Zimmer in einem Bordell auf Kundschaft. (Foto: Andreas Arnold/picture alliance/dpa)

War die Legalisierung der Sexarbeit in Deutschland ein Fehler? Sollte man sie verbieten und wie in Schweden die Freier bestrafen? In der SZ-Redaktion gehen die Meinungen auseinander - und ebenso bei den Leserinnen und Lesern.

Pro und Contra "Braucht Deutschland ein Sexkauf-Verbot?" vom 9. Dezember:

Mehr Prostitution trotz Verbot

Die mediale Debatte über Prostitution ist zum Mäusemelken. Ihr Pro-Contra Format ist leider nicht besser gelungen. Sexarbeit ist in Deutschland nicht "vollständig legalisiert", wie es im Contra-Beitrag heißt. Nach § 184f des Strafgesetzbuches können und werden in Deutschland nach wie vor Prostituierte strafrechtlich verfolgt, und zwar dann, wenn sie gegen ein "durch Rechtsverordnung erlassenen Verbot" verstoßen, "der Prostitution an bestimmten Orten überhaupt oder zu bestimmten Tageszeiten nachzugehen".

Ob die strafrechtliche Verfolgung wegen der Legalisierung schwerer geworden sei, ist erst einmal nur eine Behauptung, die zumindest die wenigen Forscherinnen und Forscher zu Menschenhandel nicht unbedingt bestätigen. Die Verfolgung von Menschenhandel ist in allen Ländern schwer. Meist weil die Staaten den Betroffenen wenige Rechte zuerkennen, weil die Betroffenen oft Besseres zu tun haben, als zwei Jahre lange Gerichtsprozesse zu führen, nur um dann (oder schon vorher) abgeschoben zu werden. Aber das lässt sich leider nicht so einfach skandalisieren wie die legale Prostitution. Das Narrativ, die EU-Freizügigkeit sei schuld, ist schlimmstenfalls ein Beispiel für einen gegen osteuropäische Arbeitsmigranten und -migrantinnen gerichteten Rassismus.

Zuletzt weise ich noch auf einen interessanten Befund aus Frankreich hin, den komischerweise die Presseorgane in Deutschland bisher ignorieren. Dort herrscht ein "Sexkaufverbot", trotzdem wurde zwischen 2016 und 2020 eine Zunahme der Ausbeutung Minderjähriger in der Prostitution um 340 Prozent festgestellt. Die Zahl der Minderjährigen in der Prostitution schätzt das Gesundheitsministerium auf 7000 bis 10 000. Sagen Sie mir bitte, in welcher Welt es sinnvoll ist, ein Gesetz zu fordern, das nachweislich zu einer massiven Erhöhung der Prostitution Minderjähriger geführt hat?

Sonja Dolinsek, Berlin

Nachweisliche Hilfe

Danke, dass sich die SZ mit diesem Thema beschäftigt hat. Und danke, dass Alex Rühle das Nordische Modell mit einer Sozialarbeiterin besprochen hat, die das Sexkaufverbot aus der schwedischen Praxis kennt und gut beschreiben kann. Ganz wichtig fand ich auch die Beschreibung der Frauen. Keine habe sich freiwillig prostituiert, diese Frauen seien isoliert, könnten die Sprache nicht. Wichtig auch, dass Ausstiegsangebote "dankbar" angenommen würden. Das steht im krassen Gegensatz zu dem, was die Sexlobby hierzulande über das Nordische Modell gerne verbreitet. Und bitter finde ich auch, dass schwedische Männer jetzt eben nach Deutschland ausweichen, ins Bordell Europas.

Von der Gegenposition war ich dagegen wirklich enttäuscht. Wie kann Frau Eckardt das "Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung" durch ein Sexkaufverbot in Gefahr sehen? Glaubt sie wirklich, es gibt Frauen, die täglich gerne zehn und mehr Männern Zugang zu all ihren Körperöffnungen gewähren? Was haben Straßenstrich und stinkende Verrichtungsboxen wie in Berlin mit Selbstbestimmung zu tun?

Nein, Frau Eckardt, beim Nordischen Modell handelt es sich nicht um Symbolpolitik. Damit wird Frauen nachweislich geholfen - und Menschenhändlern das Geschäft mit weiblichen Körpern zumindest erschwert. Auch ihre Empfehlung, stattdessen mehr Beratungsangebote zu schaffen, geht ins Leere. Wen will man beraten? Die allerwenigsten Zwangsprostituierten können in Beratungsstellen gehen. Wir wissen, dass Deutschland Zielland von Menschenhändlern und organisierter Kriminalität geworden ist. Wir haben es mit mehreren Hunderttausend Zwangsprostituierten zu tun. Täglich gibt es neue Opfer.

Barbara Schmid, Düsseldorf

Keine normale Arbeit

Die Argumente Ihres Beitrags gegen ein Sexkaufverbot entsprechen haarscharf den Aussagen und Narrativen der Pornoindustrie, der Bordellbesitzer und Zuhälter, die dann immer vor entsprechenden Gesetzesvorhaben ihre Vertreter/-innen in diversen Talkshows platzieren. Dabei geben sich die Damen und Herren ein bürgerlich-seriöses Image, als ob es die normalste Arbeit der Welt wäre. Diese Art der Ausbeutung und der Sklaverei des 21. Jahrhunderts mit dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht der Frauen schönzureden, ist blanker Hohn, denn die meisten Frauen haben aus verschiedenen Gründen eben keine Wahl, auch keine Auswahl ihrer Freier. Wer Prostitution mit "Care-Arbeit" wie etwa einem Pflegedienst oder einer Reinigungsarbeit vergleicht, so wie in Ihrem Beitrag, der macht nicht nur Lobbyarbeit für Bordelle, der denkt auch zutiefst menschenverachtend.

Gabriele Lauterbach, Überlingen

Deutsches Gesetz versagt

Es ist gewagt zu behaupten, der Erfolg des Nordischen Modells sei ähnlich umstritten wie der des deutschen Prostituiertenschutzgesetzes. Allein die Tatsache, dass von geschätzt 250 000 und mehr prostituierten Frauen in Deutschland zurzeit laut Statistischem Bundesamt nur etwa 28 000 behördlich angemeldet sind, zeigt bereits das Versagen des Gesetzes. Die Zahl der Frauen mit Sozialversicherung liegt laut Arbeitsagentur sogar unter kläglichen 100. Die "Sorgen" der trotz großzügigem Ausstiegsangebot weiterhin aktiven prostituierten Frauen in Schweden beruhen im Übrigen auf einem Missverständnis. Der Staat hat ihre Aktivität nur wegen ihrer Vulnerabilität entkriminalisiert und nicht, um ihr absolut unerwünschtes Weitermachen zu unterstützen.

Wie bei vielen anderen Prostitutionsunterstützerinnen stützt sich auch Ihre Argumentation auf das Trugbild der selbständig tätigen Frauen. Das ist aber nach Expertenaussage eine Minderheit. Der Rest arbeitet unter vielfach brutalstem Zwang durch Zuhälter und Menschenhändler.

Dr. Valentin Klöppel, München

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