Phototriennale Hamburg:Der eigene Blick

Lesezeit: 3 min

Der eine macht Sport, der andere hört Musik: Fotografie aus dem Bildband "Liberia" (2021) von Andreas Herzau. (Foto: Andreas Herzau/Nimbus Books)

Handys und soziale Medien ermöglichen es jedem, Bilder zu machen und zu verbreiten. Wie das die Rolle der Dokumentarfotografie verändert.

Von David Wünschel

Mitte der 1990er-Jahre bekam Andreas Herzau den Auftrag, als Fotograf ins vom Bürgerkrieg geplagte Liberia zu reisen. Zuvor hatte Herzau schon die Folgen des Genozids in Ruanda dokumentiert, also flog er nach Westafrika und machte sich auch dort auf die Suche: nach Motiven von Gewalt, Flucht und Tod. Nach jenen Bildern also, die die Gräuel des Kriegs und das Elend der Geflüchteten symbolisierten.

Damals erregten solche Aufnahmen viel Aufsehen. Professionelle Fotografen aus Europa oder Nordamerika flogen in Krisengebiete, um der Welt zu zeigen, was dort passierte. Sie sollten authentische und glaubwürdige Bilder für die westlichen Zeitungen und Fernsehsender liefern. Schließlich gab es an den Orten kaum jemanden, der diese Rolle übernehmen konnte.

Als Ende Februar dann der Krieg in der Ukraine ausbrach, überlegte Herzau erneut, an die Front zu fahren. Diesmal entschied er sich dagegen. "Ich habe mich gefragt, was kann ich dort leisten, was andere Kollegen nicht leisten können? Was ist mein spezieller Blick?", so der 60-Jährige. "Da ist mir nicht viel eingefallen."

Phototriennale Hamburg
:Antike und Arbeiterhosen

Das Bucerius Forum zeigt eine Werkschau der suggestiven, perfekt arrangierten Fotografien von Herbert List.

Von Catrin Lorch

Fotografen sind als glaubwürdige Augenzeugen immer noch unerlässlich

Herzaus Gedanken sind in einer gewissen Weise sinnbildlich für die Veränderungen, die die Dokumentarfotografie in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat. Fotografen sind als glaubwürdige Augenzeugen zwar immer noch unerlässlich; besonders in Kontexten, in denen viele manipulierte Bilder im Netz herumschwirren. Diese rein dokumentierende Funktion hat jedoch an Bedeutung verloren, weil heutzutage jeder jederzeit Fotos machen und verbreiten kann. Wer wissen will, wie es in Liberia oder der Ukraine aussieht, braucht nur danach zu googeln.

Stattdessen sei es für Fotografinnen und Fotografen heute wichtiger, eigene Zugänge und Haltungen zu ihren Themen zu entwickeln, sagt Elke Grittmann. "Künstlerische Formate haben an Bedeutung gewonnen, weil man sich damit von der Bilderflut besser abgrenzen kann." Grittmann arbeitet an der Hochschule Magdeburg-Stendal als Professorin für Medien und Gesellschaft und ist Mitherausgeberin des kürzlich erschienenen Sammelbands "Fotojournalismus im Umbruch". Einer der Beiträge in diesem Band beschreibt die Unterschiede zwischen zwei im Stern veröffentlichten Fotoreportagen. An ihnen lässt sich viel über die veränderten Arbeitsbedingungen von Dokumentarfotografen ablesen.

Für die erste Reportage, 1974 erschienen, fuhr der festangestellte Stern-Fotograf Volker Hinz ganz klassisch an mehrere Orte im Ruhrgebiet, portraitierte - ohne spezifischen Fokus - die Region und brachte seine Bilder zurück in die Redaktion. Die zweite Reportage stammt aus dem Jahr 2019. In ihr dokumentiert der französische Fotograf Frédéric Noy das gefährliche Leben der Fischer am ostafrikanischen Viktoriasee. Noy lebt in Uganda, verbrachte sieben Monate an seinem Projekt und besuchte während dieser Zeit mehr als 20 Orte am See. Als Freelancer arbeitete er unabhängig, der Stern wurde auf die Bilder aufmerksam und kaufte sie.

Große Schau
:77 Künstler und Künstlerinnen, zehn Orte

Die 8. Phototriennale Hamburg präsentiert an vielen Standorten der Stadt zeitgenössische Arbeiten, die den veränderten Blick auf die Welt dokumentieren und zugleich Dinge sichtbar machen wollen, die durch das Raster des öffentlichen Interesses fallen.

Von Ingrid Brunner

Heute arbeiten viele Dokumentarfotografen wie Noy. Es gibt immer weniger Festanstellungen, dafür immer mehr Freischaffende, die Projekte selbständig recherchieren und gestalten. Viele von ihnen arbeiten unter prekären Arbeitsverhältnissen und müssen um ihre Existenz kämpfen. Laut Miriam Zlobinski, der Autorin des Beitrags im Sammelband, werden Fotoreportagen heute selten in Redaktionen konzipiert, sondern landen oft schon fertig auf den Schreibtischen der Redakteure. Die Fotografinnen und Fotografen müssen also in Vorleistung gehen und sich als Rechercheure und Erzählerinnen viel tiefer in ihre Themen einarbeiten als früher.

Das bestätigt auch die Kuratorin Rasha Salti, die für die Phototriennale in Hamburg eine Ausstellung namens "Currency - Photographie jenseits der Aufnahme" mitkonzipiert hat. Die Ausstellung zeigt Projekte von Fotografen, die sich als Teil der Welt sehen, die sie portraitieren. "Du musst dir als Künstler die Frage stellen, wo du dich positionierst", so Salti. Statt von außen auf ihre Sujets zu blicken, würden sich viele Fotografen monatelang in ihre Projekte einarbeiten, bis sie sich als Insider fühlen. "Ihre Bilder erzeugen eine gewisse Nähe und Identifikation, ein Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit."

Für Alltagsszenen einer Stadt schlendern Fotogafen heute oft monatelang durch ihr Sujet.

In "Currency" sind beispielsweise Werke von Akinbode Akinbiyi zu sehen, einem international bekannten nigerianischen Künstler, der seit den 1990er-Jahren in Berlin lebt. Akinbiyi fotografiert Alltagsszenen auf den Straßen von Millionenmetropolen wie Berlin, Kairo und Johannesburg. Er schlendert wochen- oder sogar monatelang durch eine Stadt, beobachtet die Menschen und kommt mit ihnen ins Gespräch. "Manchmal besucht er einen Ort zwei- oder dreimal, bevor er ein Foto macht", sagt Salti. Indem er sich so viel Zeit nehme und zu Fuß durch die Straßen gehe, schaffe Akinbiyi es, seinen eigenen, persönlichen Blickwinkel zu entwickeln.

Den Alltag zu portraitieren - das nahm sich auch der Fotograf Andreas Herzau in Liberia vor. Als er dort in den 1990er-Jahren den Bürgerkrieg dokumentierte, habe er nur nach Bildern des Schreckens gesucht und alles andere ausgeblendet. Irgendwann habe er begonnen, diesen "kolonialen Blick eines weißen Mannes auf ein Elendsland" zu hinterfragen, so Herzau. Ihm sei deutlich geworden, wie sehr das europäische - und auch sein Bild - von Afrika von Krieg und Krisen geprägt sei.

Ein Motorrad, sechs Menschen: Im Bildband "Liberia" dokumentiert Andreas Herzau das Alltagsleben der Menschen im Land. (Foto: Andreas Herzau/Nimbus Books)

Anfang 2020 fuhr Herzau erneut nach Liberia mit dem Plan, das Land mit einem offenen Geist noch einmal neu zu erleben. Er fotografierte keine Opfer von Krieg und Gewalt, sondern Szenen vom Strand oder von der Straße, von Menschen, die ausgehen und Sport treiben. Vom klischeebefreiten Alltagsleben eben. Seine Beobachtungen hielt er in einem Bildband fest, den er schlichtweg "Liberia" nannte. Darin dokumentiert Herzau das Leben im Land ein zweites Mal - aber diesmal nicht nur als Augenzeuge, sondern auch als Autor mit einer eigenen Herangehensweise und einem eigenen Blickwinkel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPhototriennale in Hamburg
:"Es wäre wunderbar, wenn Bilder Kriege beenden könnten"

Bei Fragen zum Kolonialismus, wendet man sich gerne an sie: Koyo Kouoh. Aktuell ist die Kamerunerin eine der Kuratorinnen der Triennale. Ein Gespräch über Macht und die Grenzen der Fotografie.

Interview von Jörg Häntzschel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: