Die Zahl der Dienstreisen in deutschen Unternehmen hat sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie drastisch reduziert. War der Verzicht auf berufliche Trips anfangs noch den krisenbedingten Kontaktbeschränkungen geschuldet, haben viele Firmen inzwischen das Sparpotenzial digitaler Alternativen erkannt. Sinkende Betriebsausgaben sind da eine willkommene Begleiterscheinung.
Der Aha-Effekt in Wirtschaft und anderen Teilen der Gesellschaft war riesig. Nicht nur, dass komplette Belegschaften mühelos in der Lage waren, an Videokonferenzen teilzunehmen, ohne dass jede und jeder einzelne ein Informatikstudium absolviert haben müsste. Auch die Erkenntnis, wie viel Austausch unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Kunden und Anbietern über den Rechner möglich ist, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens signifikant darunter leiden würde, war für viele überraschend.
Zu Jahresbeginn hatten knapp 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland in einer Umfrage des Beratungsunternehmens PwC einen Rückgang ihrer Reisekosten um 66 Prozent seit 2019 bestätigt. Auch für das laufende Jahr, in dem Reisen in viele Teile der Welt wieder problemlos möglich sind, werden Einsparungen erwartet. Nicht mehr so massiv, aber immer noch um mehr als 30 Prozent.
Die Kostenersparnis ist einfach zu verlockend
Was als Corona-Notwendigkeit begann und als vorübergehendes Phänomen betrachtet wurde, entwickelt sich in Wahrheit zunehmend zum Trend. Mehr als 60 Prozent der Firmen rechnen damit, dass Inlandsreisen langfristig weitgehend überflüssig werden und beziehen sich bei ihrer Beurteilung wohl am ehesten auf die Erfahrungen in ihrem eigenen Umfeld. Jedes zweite Unternehmen glaubt sogar, dass auch internationale Reisen an Bedeutung verlieren werden.
Die Kostenersparnis ist einfach zu verlockend, zumal sie sich doppelt auszahlt. Denn nicht nur verringern sich so Ausgaben für Flüge, Züge und Hotels. Auch fallen weniger Überstunden oder unproduktive Reisetage an. Mitarbeitende müssen nicht mehr für den Zeitaufwand bezahlt werden, von A nach B zu gelangen, sondern können mehr Arbeitszeit in die Inhalte stecken.
Weniger Reisen bedeuten auch weniger CO₂-Emissionen. Das tut nicht nur der Umwelt gut und hilft dabei, die Erderwärmung zu verringern, sondern wird zu einem wertvollen Argument in der Außendarstellung eines Unternehmens. Eine wachsende Zahl an Verbrauchern schaut längst genauer hin, welche Firmen nachhaltiger wirtschaften. Wer seine Emissionen nachweislich senken kann, weil die Belegschaft weniger reist, darf das den Kunden auch offensiv mitteilen.
"Es gibt immer mehr Unternehmen, denen ein geringerer CO₂-Fußabdruck wirklich am Herzen liegt. Je nach Branche gibt es unterschiedliche Ansätze. Beim Reisen haben aber alle Firmen ausreichend Möglichkeiten, um effektiv einzusparen", sagt Bahar Cat-Krause, Gründerin der Kölner Nachhaltigkeitsberatung Bck2planet.
Die umweltfreundlichste Dienstreise ist immer jene, die erst gar nicht angetreten wird, lautet eine Binsenweisheit. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Der Deutsche Reiseverband (DRV) legte kürzlich neue Zahlen vor. In einer Erhebung gaben 39 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie beim ersten Treffen auf einen persönlichen Kontakt nicht verzichten möchten.
Das ist nachvollziehbar. Psychologen betonen die Bedeutung von kleinen Gesten wie einem Händedruck, einem direkten Blick in die Augen, einem Lächeln oder zwei, drei Begrüßungssätzen beim Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Kunden und Anbietern. Gerade auf Messen, Kongressen und Events lassen sich eben persönliche Kontakte knüpfen und auch Geschäfte anbahnen, die sonst vielleicht gar nicht erst entstehen würden. Und nun locken auch wieder zahlreiche Veranstaltungen weltweit.
Vom 20. bis 23. Oktober wird im Grand Palais Éphémère etwa die erste Pariser Messe der Art Basel mit 156 Galerien aus 30 Ländern an den Start gehen. Ende Oktober feiert die Beautyworld in Dubai ihr Comeback. Die derzeit im Brennpunkt stehende Erdöl- und Gasindustrie trifft sich auf der Adipec in Abu Dhabi. Auf der Flibs in Fort Lauderdale (Florida) werden die neusten Boote und Schiffe an den Yachthäfen gezeigt. Und vom 24. bis zum 30. Oktober findet in München die Bauma, die größte Baumesse der Welt, statt. Bis Ende des Jahres sind noch knapp 95 Messen allein in Deutschland geplant, darunter die Kunststoffmesse K, die Medica in Düsseldorf, die Frankfurter Buchmesse und die Nürnberger Chillventa mit der neusten Wärmepumpentechnik.
Wer auf Nachhaltigkeit Wert legt, sollte eine Dienstreise gut planen
Die Aussteller sind größtenteils zurück, heißt es beim Messeverband Auma. Doch noch ist das Vor-Corona-Niveau nicht erreicht. Die Besucherzahlen liegen im Schnitt bei rund 55 Prozent im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie. Grund dafür sind auch Corona-Beschränkungen in Deutschland, beispielsweise bei der Anerkennung ausländischer Corona-Impfungen, aber auch Aus- und Einreisebeschränkungen asiatischer Länder. Auch hapert es teils daran, zeitnah Visa an ausländische Aussteller und Fachbesucher zu erteilen.
Gerade die Besucher und Aussteller aus Asien sind von enormer Bedeutung für den hiesigen Markt. Zwar lassen sich mit stabilerer Vertrauensbasis persönliche Treffen reduzieren. Sie ganz aufzugeben, ist jedoch nicht ratsam. Dafür sind die Kontakte zu wertvoll. In regelmäßigen Abständen ist es essenziell, persönlich beim Kunden aufzutreten.
Angesichts steigender Energiepreise, zunehmender Inflation und neu debattierter Corona-Restriktionen im Winterhalbjahr dürften jedoch viele Firmen genau abwägen, an welchen Events sie teilnehmen. Da bleibt viel Potenzial, um Emissionen einzusparen. 56 Prozent der befragten Firmen mit über 250 Mitarbeitern gaben an, bei Buchungen auf soziale und ökologische Standards achten zu wollen, schreibt der DRV. "Das A und O sind eine intelligente Planung einer Geschäftsreise. Zeit ist daher eine wichtige Komponente, um umweltfreundlicher zu reisen. Je kurzfristiger gebucht und organisiert wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man das gesamte Sparpotenzial auch ausschöpfen kann", sagt Cat-Krause.
Je länger der zeitliche Horizont ist, desto höher seien die Chancen, Synergien von notwendigen Geschäftsreisen zu finden. Lassen sich Termine miteinander verknüpfen oder von Mitarbeitern wahrnehmen, die sowieso in der Gegend unterwegs sind? Lassen sich bei Autofahrten Stauzeiten und damit die Emissionen verringern, wenn man andere Reisezeiten wählt, die mit dem Geschäftspartner abgesprochen werden können?
Firmen, die es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit, können betriebseigene Standards formulieren. Zum Beispiel solche, die Zugfahren innerhalb eines bestimmten Kilometerradius vorschreiben oder Autofahrten kategorisch verbieten, wenn die Zeitersparnis einen bestimmten Prozentsatz der Reisezeit per Bahn nicht überschreitet.
Cat-Krause sieht sowohl die großen Konzerne wegen ihrer großen gesellschaftlichen Verantwortung in der Pflicht als auch die Möglichkeiten für den Mittelstand, seine Emissionen bei Geschäftsreisen weiter zu drücken: "Große Unternehmen müssen sich über kurz oder lang sowieso nachhaltig aufstellen, weil das regulativ unweigerlich auf sie zukommen wird. Die kleinen dagegen müssen sich bewusst sein, wie wichtig auch ihr Anteil ist. Da sehe ich noch die Möglichkeit für erhebliche Verbesserungen."