Leserbriefe:Reiches Dorf, arme Stadt oder ganz anders?

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(Foto: Karin Mihm)

Niederbayern wählt rechts, München grün: SZ-Autor Gerhard Matzig hat sich nach der Landtagswahl Gedanken über die Kluft zwischen Stadt und Land gemacht. Sein Essay löst ein großes Echo bei den Lesern aus.

"Verzicht muss man sich leisten können" vom 10. Oktober:

Keine Armutslegende

Interessiert habe ich Gerhard Matzigs Artikel gelesen. Die Landtagswahlergebnisse in Ostbayern, meiner Heimat, haben mich nämlich auch sehr verstört und äußerst traurig gestimmt. Ich kann mich mit Matzigs Argumentation und seiner Grundthese jedoch überhaupt nicht abfinden. Dass in sehr vielen niederbayerischen Familien die Armutslegende eine Realität sei, glaube ich nicht. Mein Bild von Niederbayern und der Oberpfalz, das ich mir immer wieder mache, wenn ich die von mir geliebte Heimat besuche, ist eher das einer Landschaft, die zunehmend von ziemlich ausufernden Einfamilienhaussiedlungen mit großen Häusern und Grundstücken und disproportional großen Garagen durchdrungen wird. Diese Grundstücksgrößen und Wohnflächen muss man sich erst mal leisten können.

Sehr vielen Landbewohnern ist ihr solidarischer Gemeinsinn abhandengekommen, sie wähnen sich in einer Bedrohungslage, die man nicht mit Vernunft rechtfertigen kann. Die größte Bedrohung, mit der sich viele Menschen leider abfinden müssen, ist, dass gerade die reflektierenden jungen Leute mit Gemeinsinn ihre Zukunft nicht in dieser Gegend verbringen wollen und daher in die Städte abwandern.

Georg Kagerer, München

Toskanavillen mit großen BMW-Limousinen

Dem Artikel muss man widersprechen. Ich bin im Aiwanger-Niederbayern vor fast 60 Jahren aufgewachsen und ich hatte nie das Gefühl, dass dies eine ärmliche Region war. Bei einer Reise heute durch diesen Landstrich sieht man jede Menge überdimensionierte Toskanavillen mit großen BMW-Limousinen davor. Man sieht viele Menschen mit runden Wohlstandbäuchen, die ununterbrochen jammern, dass sie zu kurz gekommen sind. Sie klagen, dass es keinen öffentlichen Nahverkehr gibt, würden sich aber nie in einen Bus mit 30 anderen Menschen setzen. Sie vermissen den Bäcker, den Metzger und den Lebensmittelladen vor Ort und fahren mit ihren Autos weite Strecken von günstigen Supermarktangeboten zum nächsten Discounterschnäppchen.

Die Grünen haben allein mit der Ankündigung, dass es so nicht weitergehen kann - freilich ohne eine wirkliche Veränderung erreicht zu haben - diesen Landstrich so verärgert, dass viele Menschen dort Populisten wählen, die keine Vorschläge für die Zukunftsgestaltung vorbringen, sondern andere wüst beleidigen und den Lebensstil gutheißen, der ihr Land zerstört. Wenn man mit offenen Augen durch Niederbayern reist und die Zerstörungswut der intensiven Landwirtschaft, die überdimensionierten Asphaltpisten und den Flächenfraß mit aneinandergereihten Gewerbegebieten, Blechhallen und Wohnsiedlungen sieht, dann würde ich gerne diese Leute fragen: "Wie stellt ihr euch die Zukunft vor? Was sind eure Vorschläge, wie wir unser Land gestalten?"

Xaver Steinhuber, Regensburg

Fiktive Ängste

Es wird viel angesprochen, die Zusammenhänge sind mir nicht immer klar geworden. Weil so viel Angst vor Armut (fiktiv oder real) in Niederbayern besteht, können sich Verzicht nur die angstbefreit wohlhabenden Münchner leisten? Menschen, die sich vor der Armut fürchten, können keinen Verzicht üben? Welche Art von Verzicht meinen Sie denn?

Wichtig finde ich Ihren Hinweis, dass die Angst fiktiv oder real sein kann. Niederbayerns Arbeitslosigkeit liegt mit 3,2 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 5,7 Prozent. Sie fordern in Ihrem Artikel, die Politik solle gegen die Angst Vertrauen aufbauen. Frage: Was kann "die Politik" gegen fiktive Ängste tun? Klar ist es wichtig, die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen und darauf politisch eine Antwort zu finden. Aber es sollten schon reale Ängste sein.

Der Artikel vertieft Gräben zwischen Landbewohnern und Städtern und lästert gleichzeitig über grüne Münchner - ja mei, nichts Neues. Nur Wohlstand ermöglicht also Verzicht? Na, ist doch prima, wenn Verzicht überhaupt Eingang in die Gesellschaft erhält. Vielleicht kann auch nicht nur derjenige besser Verzicht üben, der aus einer Sphäre kommt, "die vom Überdruss kaum mehr zu unterscheiden ist", sondern vielleicht sind es insgesamt diejenigen, die gelernt haben, am besten mit ihren Ängsten umzugehen. Egal ob arm, fiktiv arm, reich, fiktiv reich.

Richard Oelmann, Freiburg

Klimawandel bedroht Stadt und Land

Was der Freund aus Niederbayern dem Autor am Telefon erklärt, ist nachvollziehbar, die Diskrepanz zwischen Stadt- und Landgesellschaft, die Angst, das endlich auch Erreichte - im Vergleich zu den Städtern - gleich wieder zu verlieren. Bloß der Klimawandel ist bedrohlich für alle. Da würde ich mir mehr Einsehen und Verständnis wünschen.

Dr. Irene Leschinsky-Mehrl, München

Wasserknappheit in ganz Bayern

Wie sagt man den aufstrebenden Niederbayern: Leute, durch den Klimawandel kann unser Trinkwasser knapp werden? Zunehmende Trockenheit wäre für ganz Bayern ein Problem. Einfach wie Markus Söder eine Trinkwasserleitung vom Bodensee nach Franken versprechen? Die kriegen ja noch nicht mal eine zweite Stammstrecke in angemessener Zeit und zu angemessenem Geld hin. Und reicht das Wasser dann? Reicht es für die Landwirtschaft und letztlich für die Menschen, die eine Einbrennsuppe zubereiten wollen?

Peter Walny, München

Große Ankündigungen, kleine Fortschritte

Vielleicht hat der Frust vieler Wähler nicht nur mit den politischen Inhalten zu tun. Unabhängig von persönlichen Abstiegsängsten, die ich übrigens in Niederbayern gerade nicht wahrnehme (es wird zwar viel geschimpft, aber das war schon immer so), spüren viele Menschen eine immer größer werdende Diskrepanz zwischen politischen Ankündigungen samt erregter medialer Rezeption einerseits - und den oftmals nur mikroskopisch kleinen realen Fortschritten andrerseits. Diese offensichtliche Diskrepanz wird aber umso stärker wahrgenommen, je weniger man sich in diesem selbstreferenziellen Bezugsrahmen bewegt, in welchem Medien und Politik in wechselseitiger Abhängigkeit gefangen sind. Also zum Beispiel in Niederbayern.

Dr. Stefan Parhofer, Gräfelfing

Keine Zeit für ideologische Luftschlösser

Eine geraume Zeit hat sich eine intellektuelle Mittelschicht lustig gemacht, nicht nur über die Bewohner des Bayerischen Waldes. Wir waren immer bereit für Veränderungen, aber sie mussten schon immer zum Besseren sein, da haben wir ein feines Gespür, das uns trotz der harten Arbeit nicht abhandengekommen ist.

Wenn die Neuerungen nur Wohlstands- und Vertrauensverlust schaffen, wird die Politik unglaubwürdig und die Wähler wenden sich ab. Hieß es im Mittelalter noch "Stadtluft macht frei", so trifft das heute viel eher auf die Landluft zu, ganz besonders auf den Bayerischen Wald, wo die Menschen weder besonders radikal noch rechtslastig sind. Aber sie wissen, wie man mit harter Arbeit bescheidenen Wohlstand schafft und haben deshalb keine Zeit, um ideologische Luftschlösser zu bauen.

Hermann Scheuer, Saldenburg

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