Italien-Wahl:Nach rechts gekippt

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Matteo Salvini, Silvio Berlusconi und Giorgia Meloni feiern das Wahlergebnis. (Foto: IMAGO/Riccardo Fabi/IMAGO/NurPhoto)

Der Wahlsieg von Giorgia Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d'Italia löst nicht nur in Brüssel, sondern auch bei SZ-Leserinnen und -Lesern Unbehagen aus.

"Die Triumphatorin", "Dann halt mit der" und "Brüsseler Bedenken", alle vom 27. September:

Endgültig verloren?

Immerhin wird mit diesem Wahlergebnis ein Argument der europäischen Italien-Versteher wirkungslos. Schon nach der Banken- und Wirtschaftskrise wurden die vielen Rettungsversuche und Maßnahmen von EU und BZE immer auch damit begründet, dass man vor allem Italien beistehen müsse. Im Hinterkopf hatte man stets das bedrohliche Szenario, dass die Italiener andernfalls bei anstehenden Wahlen massenhaft für eine rechtsextreme und europafeindliche Regierung stimmen würden. Sowohl im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik als auch nach der Corona-Pandemie hat sich diese Argumentation wiederholt. Jeweils wollte man verhindern, dass Italien "kippt".

Wie man nun sieht, waren die Bemühungen vergeblich. Italien hat sich trotz allem für den befürchteten Weg entschieden, was aber einen durchaus positiven Nebeneffekt haben könnte: Künftige Maßnahmen wie Corona-Hilfspakete wird man nicht mehr mit der Drohkulisse begründen können, man dürfe Italien nicht "an den Rechtspopulismus/Faschismus verlieren" - und Italien wird ab jetzt von der EU weniger Rücksichtnahme erwarten dürfen als bislang.

Matthias Bückle, Lilienthal

Faschisten an der Macht

Die Italiener sind von der Sozialdemokratie enttäuscht. Der Partito Democratico (PD) hat seit Jahren alles andere gemacht, als die Interessen der Arbeiter und Arbeitslosen zu vertreten, von der Aushöhlung des Arbeitsrechts bis zur Rentenreform, die sie durchgesetzt oder mitgetragen hat. Die Sozialdemokraten stehen uneingeschränkt zur EU, ohne die verheerenden Einschnitte im Sozialstaat wahrhaben zu wollen, die Folge der EU-Vorgaben sind und die zu den dramatischen Verhältnissen zum Beispiel im Gesundheitswesen geführt haben, wie man während der Pandemie gesehen hat.

Aber die Hauptwähler sind im kleinbürgerlichen Milieu zu suchen, in der Welt der Kleinunternehmer ("piccolo é bello"), die ihren Beschäftigten drei Euro pro Stunde bezahlen, die Schwarzarbeit alimentieren und jede Regelung zum Schutz der Arbeiter und der Umwelt als Affront sehen. Ihre Hauptsorge ist es, den Fiskus zu hintergehen - in Italien erreicht die Steuerhinterziehung 100 Milliarden pro Jahr. Wie ehemals NSDAP-Wähler aus dem nationalistischen, konservativen, vom Ressentiment geprägten Kleinbürgertum kamen, so heute die Anhänger von Fratelli d' Italia.

Eine hochgefährliche Entwicklung, die es nicht erst seit heute gibt und die man lange unterschätzt hat. Nun sind bald bekennende Faschisten an der Macht. In der "Gemeinsam für Italien"-Ideologie werden auch heute die Angehörigen aller Minderheiten die schlimmsten Konsequenzen erleben.

Norma Mattarei, München

Vom "Duce" gelernt

Schon bald wird es sich zeigen, ob und wie Frau Meloni ihre vielen, während des Wahlkampfs lauthals gemachten Versprechen verwirklichen kann. Ebenso rasch wird die Welt erfahren, wie viel Gedankengut des "Duce" sie schon als Kind und während ihrer Studienzeit aufgesogen hat und nun als Regierungschefin zu verwirklichen gewillt ist. Allen, die Frau Meloni nicht gewählt haben und wissen, dass es in Italien seit Ende des Zweiten Weltkrieges 66 Regierungswechsel mit einer Durchschnittsdauer von 18 Monaten gab, bleibt die berechtigte Hoffnung, dass auch Frau Melonis Amtszeit, wenn nicht schon eher, dann nach 18 Monaten ein Ende finden wird.

Hans Gamliel, Rorschach/Schweiz

Eine Chance

Offensichtlich wollen die meisten Leitmedien in Deutschland immer noch nicht verstehen, was tatsächlich in Europa passiert ist: Nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in Schweden, Frankreich und jetzt auch in Italien weitet sich eine Stimmung in der Bevölkerung aus, welche sowohl die Agenda und das Narrativ ablehnt: Den als links und woke empfundenen Zeitgeist genauso wie die Versuche der EU-Technokraten, aus 27 Nationalstaaten einen Staaten-Eintopf zusammenzurühren.

Man erinnere sich an Margaret Thatcher, welche zu diesem Problem, Europäische Union versus Nationalstaaten, stets erklärt hat: "Europa ist gerade deshalb stark, weil Frankreich als Frankreich, Spanien als Spanien, Großbritannien als Großbritannien mit jeweils eigenen Bräuchen, eigenen Traditionen und eigener Identität angehören. Es ist töricht, würde man versuchen, sie in das Phantom einer europäischen Identität zu pressen." Großbritannien ist weg.

Italien mit Frau Meloni will in der EU bleiben, auch wenn für die Ikone aller Technokraten, Frau von der Leyen, gemäß Ankündigung der künftigen Ministerpräsidentin Italiens durchaus "der Spaß vorbei ist". Frau Meloni wurde gewählt, weil sie dem kleinen Mann wieder eine Stimme gibt. In wenigen Sätzen hat sie zusammengefasst, was einer immer größer werdenden Menge von Menschen fehlt: "Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin , sage Ja zur natürlichen Familie, Ja zur sexuellen Identität, Nein zur Gender-Ideologie."

Man täte gut daran, diese elementaren Einwände ernst zu nehmen und nicht hochnäsig abzutun. Das Wahlergebnis in Italien ist weder ein schlechter noch ein guter Tag - aber eine Chance für einen guten Tag.

Wolfram Salzer, Neustadt bei Coburg

Verbaler Ausfall

Die Aussage von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Wahl in Italien ( "Wenn die Dinge sich in eine schwierige Richtung entwickeln, dann haben wir die Werkzeuge"; Anm. d. Red.) ist ein Skandal. Sie schüttet Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und scheint es nicht einmal zu merken, sonst wäre ihr dieser Ausfall nicht passiert. Wer mit dem Einsatz von "Werkzeugen" droht, wenn eine Wahl in einem Mitgliedsland der EU nicht den Vorstellungen der Europäischen Kommission entspricht, der vergeht sich an der Demokratie, schürt Hass und befördert eine Spaltung der Gesellschaft.

Mittlerweile scheinen die Krisen der Welt dazu beizutragen, dass bei manchen Politikerinnen und Politikern die Sicherungen durchbrennen und diese nicht mehr die Lagen beherrschen. Leider häufen sich verbale Ausfälle dieser Art in vielen Bereichen, was als Zeichen großer Nervosität verstanden werden muss zugunsten derjenigen, die - siehe Russland - das demokratische Wertesystem angreifen und solche Aussagen für sich zu nutzen wissen. Allen Italienliebhabern bleibt nur zu hoffen, dass die Italiener/-innen die "tedeschi" auch weiterhin gerne in ihrem Land begrüßen.

Jan-Patrick Jarosch, München

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