Geringere Abgaben:Lindners Pläne zur Steuerentlastung in der Kritik

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SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

SZ-Leser und -Leserinnen machen Vorschläge, wie der Staat Einkommensschwache finanziell entlasten könnte - die Pendlerpauschale gehört nicht dazu.

"Wer von der Pendlerpauschale profitiert" vom 3. August, "Lindner will Steuerzahler entlasten" und "Gerecht ist, was" vom 10. August, "Wem die Steuerpläne wirklich helfen" vom 28. Juli:

Nichts zu verteilen

Politiker und der Kanzler werden nicht müde, uns Bürgern Entlastungen in Aussicht zu stellen. Im Prinzip weiß man zwar, dass die gegenwärtige Weltlage Einschränkungen nötig macht. Aber mit Rücksicht auf die Wahlergebnisse werden lieber Entlastungen diskutiert. Nachdem der Staat aber schon einen Schuldenberg aufgehäuft hat und auch der Haushalt dieses Jahres, und wohl auch der nächsten Jahre, mit weiteren Schulden finanziert wird, steckt der Staat den Bürgern Geld in die rechte Tasche, das er ihnen aus der linken wieder nimmt, sprich die Bürger mit weiteren Schulden belastet. Wo nichts ist, ist nichts zu verteilen. Was für ein Unsinn!

Ernst Weiser, Unterneukirchen

Anhebung der Spitzensätze

Wenn ich die Pläne des Bundesfinanzministeriums zur Reform des Einkommensteuertarifs lese, packt mich die Wut. Wir leben in einer Zeit, in der Viele finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, sei es durch gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise, sei es durch Umsatzeinbußen von Selbständigen. Die Anpassung der Einkommenseckwerte, ab denen ein höherer Steuersatz gilt, ist prinzipiell richtig. Was ich aber vermisse, ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Gerade die sehr gut Verdienenden könnten mehr zur Finanzierung des Staatshaushaltes beitragen.

Dazu meine kleine Rechnung: Eine Erhöhung des oberen Spitzensteuersatzes von 45 auf zum Beispiel 48 Prozent würde bei jemandem mit einem zu versteuernden Einkommen (nicht Nettoeinkommen) von 280 000 Euro zu einer Steuermehrbelastung von jährlich 780 Euro, also monatlich 65 Euro führen (Steuerklasse I) - bei einem geschätzten Nettoeinkommen von monatlich 25 000 Euro. Ist das unzumutbar?

Über eine stärkere Belastung der Spitzenverdiener ließe sich die von Bundesarbeitsminister Heil geplante Erhöhung der Hartz-IV-Sätze leicht finanzieren: Etwa 3,6 Millionen Menschen beziehen Hartz IV. Würde man jedem 100 Euro pro Monat mehr geben, beliefe sich der Bedarf auf 180 Millionen Euro pro Monat. Neun Millionen Menschen haben laut Statistischem Bundesamt ein durchschnittliches Nettomonatseinkommen von über 5000 Euro. Würde man durchschnittlich jedem dieser Gutverdiener 20 Euro pro Monat an zusätzlicher Abgabe zumuten, wären die Mehrkosten für die Erhöhung von Hartz-IV-Sätzen finanziert. Man könnte auch über eine höhere Grenze als 5000 Euro diskutieren und damit über einen höheren Monatsbetrag.

Richard Berndt, München

Neun-Euro-Ticket war Entlastung

Der Finanzminister erscheint als der Gütige. Doch der Hinweis, die geplante Einkommenssteueranpassung entlaste Besserverdiener am stärksten, greift meiner Meinung nach zu kurz. Die wichtigen finanziellen Entlastungen für die Bürger und Bürgerinnen müssen sozial und zukunftsweisend sein. Das Neun-Euro-Ticket war ein fulminanter Erfolg. Für unsere vierköpfige Familie ergaben sich pro Monat Einsparungen von etwa 120 Euro. Wir pendeln mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit, die enormen Kosten dafür und für Reisen mit der Bahn sind besonders für Familien eine finanzielle Belastung. Das Neun-Euro-Ticket hat uns am Monatsanfang spürbar entlastet und einen Mobilitätsfreiraum geschenkt, ohne das Klima zu schädigen. In den Regionalzügen konnte ich viele Jugendgruppen und junge Familien beobachten, die nach den Corona-Einschränkungen wieder gemeinsam unterwegs sein konnten. Deutlich wurde, dass ein Ausbau des Schienennetzes dringend notwendig ist - etwa für ländliche Mobilität und autofreie Zonen in Städte. Hier muss der Staat in die Lebensqualität der Bürger und Bürgerinnen investieren.

Die Weigerung von Lindner, eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket zu ermöglichen, ist empörend. Es ermöglicht und unterstützt richtiges Verhalten, bringt individuelle Freiheit und ist sozial. Eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket muss her! Sicherlich eher zum Preis von 20 oder 30 Euro. Jetzt wieder alte Hüte wie einen Inflationsausgleich der Einkommensteuer zu feiern, ist nicht der richtige Weg. Der Finanzminister zeigt sich erschreckend unsozial, ohne Weitsicht und lobbygesteuert.

Karin Hunger, Berlin

Zum Fremdschämen

Henrike Roßbach hat recht: Für jemanden, der 20 000 Euro verdient, bedeuten 115 Euro relativ und absolut mehr, als die 479 Euro für mich als Gutverdienenden. Nur wer mit 100 000 Euro Jahreseinkommen seine Gasrechnung nicht bezahlen kann, wird dies auch nicht mit 100 479 Euro können. Aus der "relativen" Übervorteilung der Geringverdiener eine Rechtfertigung für uns Wohlhabende zu konstruieren, ist schon sehr gewagt. Wie viel mehr würden, wenn man die Entlastung umkehrt, dagegen 479 Euro für den Geringverdiener bedeuten und mir, wie den meisten Besserverdienenden, würde die Differenz zwischen 479 zu 115 Euro wahrscheinlich nicht mal auffallen. Oder die Erhöhung für uns Millionäre gleich ganz entfallen lassen und dafür den Kinderfreibetrag fürs dritte Kind nicht um zwei Euro (ja, wirklich zwei Euro, eigentlich zum Fremdschämen), sondern um mindestens 20 Euro erhöhen.

Dr. Hans-Helmut Brill, Köln

"Spätrömische Dekadenz"

Krieg macht uns alle ärmer, aber uns Reiche nicht arm, während die Armen weiter niedergedrückt werden. Stehen die irgendwann auf, dann wird's jedem "Reichen" mulmig werden. Es ist inhuman, die Einkommens- und Vermögensschere immer weiter aufgehen zu lassen. Das ist Klientelpolitik für die, die "spätrömische Dekadenz" fördern und sich danach sehnen, sie zu leben. Westerwelle vergebe mir diese Zitierung!

Alfred Münch, Olching

Es geht nicht um Gerechtigkeit

Dass Besserverdienende mehr zu den Steuereinnahmen beitragen als Geringverdiener, dürfte unstrittig sein. Besserverdienende üben zumeist spezialisiertere Berufe aus, was das Angebot an Arbeitsplätzen einschränkt. Längere Arbeitswege sind damit programmiert. So mussten meine Frau und ich viele Jahre jeweils 35 Kilometer bis zur Arbeit zurücklegen. Sie Richtung Osten und ich nach Westen. Trotz Pendlerpauschale haben wir nicht wenig zu den Steuereinnahmen des Staates beigetragen, und der Staat hat in Projekte investiert, die der Allgemeinheit zugutekamen - auch in den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV), mit dem beispielsweise Geringverdiener an ihren Arbeitsplatz gelangen. Wie so viele Diskussionen scheint mir die um die Pendlerpauschale nicht um Gerechtigkeit zu gehen, sondern nur um die Maximierung der Steuereinnahmen. Bitter, wenn man dann feststellt, dass Prestigeprojekte schöngerechnet werden, um sie zu beginnen, um dann bis zur Fertigstellung zusätzliche Milliarden zu versenken - man denke nur an BER und die zweite Stammstrecke.

Josef Feuerstein, Markt Schwaben

Arme Schlucker wählen nicht FDP

Wer 42 Prozent Steuer auf den letzten Teil seines Einkommens bezahlt, kann von 30 Cent Entfernungspauschale 13 Cent behalten. Wer keine Einkommensteuer zahlt, weil sein Einkommen unter dem Grundfreibetrag liegt, hat von der Entfernungspauschale überhaupt keinen Vorteil. Wenn es also darum geht, denjenigen zu helfen, die unter hohen Wegekosten am stärksten leiden, ist die Entfernungspauschale nicht das geeignete Mittel. Diesem Personenkreis könnte man nur mit einer Gutschrift oder Direktzahlung helfen. Das weiß Finanzminister Christian Lindner. Da arme Schlucker aber nicht FDP wählen, kann es ihm egal sein.

Axel Lehmann, München

ÖPNV nur im Notfall

Ich stimme Nakissa Salavati zu. Unsere Arbeitswelt gehört dezentralisiert. Firmen in strukturschwachen Regionen anzusiedeln, wäre gut, um die Pendlerströme einzudämmen und Wohlstand auch in eher abgehängte Regionen zu bringen. Doch das ist nicht von heute auf morgen zu machen. Das Problem ist der ÖPNV. Das Münchner S-Bahnnetz ist bereits so überlastet, dass viele Züge innerhalb von fünf Stationen einige Minuten verlieren und es zum Glücksspiel wird, den Anschlussbus zu erwischen. Schaffe ich das auf meinem Weg zur Arbeit nicht, habe ich 20 Minuten Fußmarsch vor mir und komme zu spät. Solange das der Fall ist, fahre ich nur im Notfall mit "den Öffis". So denken sicher viele Pendler.

Alleine beim Schienennetz hat sich jüngsten Meldungen zufolge ein Investitionsbedarf in zweistelliger Milliardenhöhe aufgestaut. Der Modernisierungsprozess wird sich über viele Jahre hinziehen und den Zugverkehr einschränken. Für eine Pendlerpauschale für den ländlichen Raum, wie sie Salavati vorschlägt, muss der Ausbau vorher stattgefunden haben. Ein ÖPNV under construction ist kein Anreiz umzusteigen. Wir gehen Probleme, die seit Jahren bekannt sind, erst an, wenn sie längst übermächtig und nur langfristig zu bewältigen sind. Wir bauen Stuttgart 21 und in München eine zweite S-Bahn-Stammstrecke mit solchem Dilettantismus, dass man sich fragen muss, was die Planer dieser Projekte studiert haben. Städtebau oder Geologie jedenfalls nicht.

Vielleicht gelingt es, die Menschen beim Geldbeutel zu packen, und zumindest einige mit dem 365-Euro-Ticket auf die Schiene zu bringen. Mit Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit beim Bahnfahren werden wir das mittelfristig wohl eher nicht hinkriegen.

Gregor Meyer-Bender, Gilching

Gewinner sind die Großverdiener

Der Artikel suggeriert, dass Pendler und Pendlerinnen etwas ausbezahlt bekommen. Das stimmt nicht. Die Pendlerpauschale reduziert nur die Höhe des zu versteuernden Einkommens je zurückgelegten Entfernungskilometer um 30 Cent und ab dem 21. Kilometer um 38 Cent. Je nach Einkommen ergibt sich für geringverdienende Pendler und Pendlerinnen trotz großer Entfernung gar kein oder nur ein sehr kleiner finanzieller Vorteil, denn sie bezahlen keine oder nur geringfügig Steuern. Großverdienern und -Verdienerinnen bleibt für jeden durch die Pendlerpauschale reduzierten Euro ihres zu versteuernden Einkommens satte 46 Cent mehr Nettoeinkommen. So wandern erhebliche Summen aus der Staatskasse in den Geldbeutel der Wohlhabenden. Dies erwähnt der Artikel leider nicht.

Genauso wenig wird erwähnt, dass mit dem Auto pendelnde Geringverdienende beim Tanken durch Energie-, CO₂- und Mehrwertsteuer erheblich in die Steuerkasse einzahlen, ohne etwas oder nur wenig vom Staat zurückzubekommen. So tragen sie dazu bei, dass künftige Klimaschäden behoben werden können. Zudem sind ihre Autos oft kleiner und sparsamer im Verbrauch als die SUVs der Reichen, die dem Klima mehr schaden. Großverdiener und Großverdienerinnen hingegen holen sich einen erheblichen Teil der an der Zapfsäule abgerechneten Steuern durch die Pendlerpauschale wieder zurück. Fahren sie ein sparsameres Auto oder ein E-SUV, plündern sie die Staatskasse noch schneller. Das macht die Pendlerpauschale geradezu abstoßend unsozial und klimaschädlich. Den Armen wird genommen, den Reichen gegeben. Die Pendlerpauschale verstärkt die Spaltung der Gesellschaft, beschleunigt das Verarmen der wenig Verdienenden und befeuert den ungebremsten Benzinverbrauch. Sie gehört abgeschafft und ein Bürger-Energie-Geld eingeführt, das an Menschen mit geringem Einkommen ausgeschüttet wird, die sich davon subventionierte sparsame E-Autos, keine SUVs, kaufen oder auf ÖPNV oder (E-)Rad umsteigen.

Klaus Siersch, München

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