Einbürgerung:Viel Gegenwind für Faesers Gesetzesänderung

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Zwei mit zwei Pässen: Geht es nach Innenministerin Nancy Faeser soll es künftig noch mehr Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft geben als bisher. (Foto: epd)

Aus unterschiedlichen Gründen lehnen viele SZ-Leser die Neuerungen für Einwanderer ab. Manche bezweifeln gar, dass dies der richtige Weg ist, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen.

"Deutschland ist ein Einwanderungsland" und "Dazugehören" vom 29. November, "Schneller zur Asylentscheidung?" vom 2. Dezember, "Gustls Schmarrn" vom 26./27. November und weitere Artikel:

Bürokratische Einwanderungsverhinderung

Die Ampel streitet immer öfter über Fragen, die im Koalitionsvertrag beantwortet sind. Doch geht es bei dem Streit um das Wohl unseres Landes oder um Parteiinteressen wie "Wählerpflege"? Fast jeden Tag wird über den dramatischen Fachkräftemangel berichtet. Andererseits bieten die Erlebnisberichte von ausländischen Fachkräften, die in Deutschland arbeiten und bleiben wollen, ein Bild mutwillig bürokratischer Einwanderungsverhinderung. Dass sich das schnell ändern muss, kann doch kein vernünftiger Mensch bestreiten. Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ist ein anderes Thema.

Dr. Max Schulz-Stellenfleth, Krummendeich

Moderner Kolonialismus

Das Anwerben von Personal aus dem Ausland könnte auch als moderner Kolonialismus gewertet werden. Deutschland entzieht den Herkunftsländern auch dort benötigte qualifizierte Fachkräfte, indem man ihnen hier ein höheres Einkommen und eine bessere soziale Absicherung garantiert. Und damit möglichst wenige wieder zurückkehren, erhalten sie schnell die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber mehr illegale Zuwanderer mit unterdurchschnittlicher Schul- und Berufsausbildung, die Deutschland wegen der hohen Sozialleistungen bevorzugen, werden die gesellschaftlichen Probleme eher verschärfen. Eine Spaltung der Gesellschaft wie in den USA, wo der Bau eines Grenzzaunes von einem großen Teil der Bevölkerung befürwortet wird, sollte uns eine Warnung sein.

Hans Rentz, Waging am See

Neuer Nationalismus?

Dass Menschen in die Bundesrepublik einreisen, gehört zur Idee der Demokratie. Jeder Mensch auf der Welt sollte überall frei hingehen können, ob beruflich oder privat oder aus Lust zum Leben. Dass ein Land zur Elitenbildung seiner Bürger und Bürgerinnen neigt, ist zum Teil intellektuell nachvollziehbar. Dass ein Staat versucht, von den weltweiten "Eliten" die "Rosinen" herauszupicken, ist bedenklich.

Betrachtet man die Ansprüche, die die Regierung an zukünftige Fachkräfte stellt, sieht man, dass nur wenige kommen werden, die uns sicher nicht "fremdbestimmen". In Faesers Entwurf sind nicht Familien mit sieben Kindern aus Angola mit einem Verdiener, 31-jähriger Vater Dipl.-Ing. mit Auszeichnung, und zwei Ehefrauen vorgesehen, weil wir ein prekäres Wohnungsproblem haben. Und welcher Arbeitgeber würde einen entsprechenden Lohn an einen Vater mit neunköpfiger Familie zahlen? Wenn Arbeitgeber jetzt schon nicht einmal die Inflationsrate in den Löhnen ausgleichen wollen?

Der smarte 20-jährige Tüftler aus Taiwan, der bereit wäre, sein gestyltes, reiches Land mit Spiegeln und Glashochhäusern mit einer kleinen, verhältnismäßig unattraktiven deutschen 500 000-Einwohner-Stadt einzutauschen, ist wohl auch eher nicht gemeint. Denn welche Firma würde ihn einstellen, wenn er für sich allein gern ein Vier-Zimmer-Loft hätte - mit entsprechendem Gehalt? Wer soll also bitte einreisen? Kanadier? Die Liste mit den Ansprüchen an die Fachkräfte enthält ein erschreckendes Selektionsverfahren. Alte und ungebildete Menschen sollen fern bleiben und in Armut weiterleben. Was aber, wenn diese Menschen sich trotzdem auf den Weg nach Deutschland machen?

In den letzten Jahren sind lediglich Saisonkräfte willkommen gewesen, weil sie schnell das Land verlassen. Jetzt sollen die Besten der Besten aus aller Welt rekrutiert werden, denn sowohl Regierung als auch Wirtschaft haben sich Jahrzehnte lang geweigert auszubilden. So ist ein Mangel an Fachkräften entstanden.

Als mit dem Syrienkrieg junge Leute mit Ehefrau und Kind kamen, begann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die finanziellen Mittel zu kürzen - besonders für Mutter-Kind-Kurse. Im Land der "Gleichberechtigung" sollten diese Mütter zu Hause bleiben. Es wurde ein Mangel an Kita-Plätzen beklagt und kurz danach, dass sich eine "Parallelgesellschaft" gebildet habe. Diese Menschen werden als "integrationsunfähig" beschimpft. Sie beherrschen die deutsche Sprache nicht. Unsäglich, wie Deutschland mit Menschen umgeht, wenn sie im System und den jeweiligen Arbeitsphasen nicht "passgenau" zur Verfügung stehen.

Doch wer trotz Beleidigungen, Diskriminierungen und Beschimpfungen Steuern zahlt und sich anpassen möchte, Vergangenheit und Zukunft verbinden will, wird auch beschimpft: Er sei nicht in der Lage, sich zu entscheiden, deshalb wird er für die doppelte Staatsbürgerschaft "disqualifiziert", denn er ist es wohl nicht wert, Deutscher zu werden. Die Holländer haben dieses Problem geregelt, die Schweden sowieso, die Spanier freuen sich über jeden Deutschen mit der zweiten spanischen Staatsbürgerschaft. Alle gehen anders mit Ausländern um als die Deutschen. Wer also bitte will sich die Rosinen herauspicken? Wer kann sich nicht entscheiden zwischen Geben und Nehmen? Die Doppelmoral ist nicht nur bei der WM in Katar sichtbar. Diese Diskussion sieht nach Ablenkung von aktuellen Problemen aus. Oder ist das ein neuer Nationalismus?

María del Carmen González Gamarra, Simmertal

Weitere Spaltung wäre die Folge

Aus meiner Sicht fördert die "Hinnahme von Mehrstaatlichkeit" die Bildung von Parallelgesellschaften, und es kommt zum Beispiel zu Phänomenen wie bei der letzten türkischen Wahl, dass Türken mit einer doppelten Staatsbürgerschaft mehrheitlich für eine diktatorische Regierung votieren konnten, die die Todesstrafe vertritt und die Menschen- und Freiheitsrechte tagtäglich missachtet. Es ist ein fataler Trugschluss, "ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung" habe mit "Mehrstaatlichkeit" nichts zu tun.

Ich denke, Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, sollten sich klar entscheiden, ob sie Mitglied einer westlich pluralistisch-demokratischen Gesellschaft werden oder Mitglied politischer Systeme, deren Rechts-, Sozial- und Grundordnung wenig mit der unseren gemeinsam haben, bleiben wollen. Die Notwendigkeit, sich zu entscheiden, verdeutlicht der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, denn mindestens 500 000 in Deutschland lebende Russen besitzen die doppelte Staatsangehörigkeit.

Das Gesetzesvorhaben fördert den Zulauf für rechtsextreme oder -nationale Bewegungen und trägt zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft in Deutschland bei.

Dr. med. Thomas Lukowski, München

Berlin laboriert an Symptomen

Nichts gegen eine Verkürzung der Einbürgerungsfristen. Doch haben die bisherigen Erleichterungen etwa zum Doppelpass irgendetwas gebracht? Aus meiner Warte ist die Geschichte der Einwanderung seit dem Gastarbeiter-Stopp eine Geschichte des Scheiterns. Nun soll es eine Neuauflage richten? Wirklich qualifizierte Facharbeiter benötigen keine Vorschusslorbeeren oder Anreize. Sie kommen, integrieren und etablieren sich und gehen wieder. Berlin laboriert an Symptomen, wird so im internationalen Wettbewerb aber nicht aufholen. Schon deshalb nicht, weil die Bevölkerung, meiner Meinung nach, wegen der überwiegend negativen Erfahrungen eher reserviert bis ablehnend reagiert. Das gesellschaftliche Klima stimmt nicht. Es ist zu befürchten, dass ein neues Einfallstor für unerwünschte Migration oder gar die Ausnutzung der Sozialsysteme geschaffen wird.

Christoph Schönberger, Aachen

Falsche Entscheidungen

Jan Bielickis Skepsis an den Plänen von Innenministerin Nancy Faeser ist berechtigt. Seit vielen Jahren berate ich ehrenamtlich Flüchtlinge. Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Asylverfahren laut Statistik in sieben Monaten abwickelt, halte ich für ein Märchen. Es sei denn, man zählt die Dublin-Entscheidungen mit, bei denen die Schutzsuchenden über einen der Schengenstaaten eingereist sind. Dann ist das Bamf nicht zuständig und verfügt die Ausreise in diesen Staat oder die Abschiebung, ohne die Fluchtgründe zu betrachten. Eine Klage gegen diesen Bescheid hat keine aufschiebende Wirkung, außer sie wird in einem gesondert zu beantragenden Rechtsschutzverfahren gewährt.

Dass laut Bielicki 40 Prozent der negativen Bamf-Bescheide von den Verwaltungsgerichten aufgehoben werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf Arbeitsweise und Geist der Behörde. Die Bindung an das Recht ist dort wohl nicht unbedingt gewährleistet - und das seit vielen Jahren nicht (seit mehreren Legislaturperioden!). In den Akten des Bundestags ist das gut dokumentiert. Der zuständige Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums, Rechtsprofessor Günter Krings (CDU), und dessen Vorgänger haben nichts gegen diese rechtswidrigen Zustände unternommen. Man stelle sich vor, 40 Prozent der abschlägig beschiedenen Bauanfragen hätten keinen Bestand vor den Verwaltungsgerichten. Undenkbar! Im Fall von Asylbewerbern, von Schutzsuchenden ist das nicht der Rede wert. Statt darauf zu achten, dass die Verfahren rechtskonform durchgeführt werden, schreibt das Ministerium jetzt an einem Entwurf zur Beschleunigung der Verfahren. Das ist eine falsche Prioritätensetzung! Die hohe Zahl und lange Dauer der Verwaltungsgerichtsverfahren ist eine Konsequenz des hemdsärmeligen Umgangs mit den Rechten der Schutzsuchenden durch das Bamf. Denn mit jeder rechtswidrigen Entscheidung wächst die Zahl der anhängigen Verfahren und steigt die Belastung der Gerichte. Je mehr Klagen, umso länger die Ungewissheit der Schutzsuchenden über ihren Aufenthaltsstatus und ihre Lebensperspektive. Dieser Kreislauf sollte durchbrochen werden. Rechtswidrige Entscheidungen müssten für die Behörde und deren leitende Mitarbeiter, die für die Missstände verantwortlich sind, spürbare Konsequenzen haben. Nur dann würde sich etwas ändern.

Hartmut Lindner, Chorin, Beauftragter der Ev. Kirchengemeinde Joachimsthal für Flüchtlingsberatung

So steuert man Debatten

Heribert Prantl nennt Migrationsanwälte "Helden des Alltags". Wer Tag für Tag mit bayerischen Landratsämtern zu tun hat, wird das bestätigen können. Dazu kommen Politikeraussagen wie die von Friedrich Merz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts: Er schwurbelt da was von der Einwanderung in die Sozialsysteme. Dies ist ein Schmarrn: Selbstverständlich ist für die Einbürgerung erforderlich - wie es auch für Aufenthalts- und Niederlassungserlaubnis der Fall ist - , dass man seinen Lebensunterhalt selbst verdient und keine Sozialleistungen bezieht. So steuert man Debatten mit gezielten Falschmeldungen. Aber vielleicht wusste er es nicht besser - was ihn genauso für das Amt des Bundeskanzlers diskreditiert.

Karl-Heinz Barth, München, Fachanwalt für Migrationsrecht

Nicht immer dagegen sein

Manche Unionspolitiker, vor allem von der CSU, versuchen sich mit unschönen Äußerungen über die geplanten Erleichterungen zu überbieten. Komisch, immer wieder wird seitens der Wirtschaft betont, dass Deutschland für den Erhalt des Wohlstands auf Einwanderer angewiesen ist. Da wäre es ein starkes Zeichen von der Union, wenn sie die Einbürgerungspläne der Bundesregierung mittragen würde.

Eine ehrlich gemeinte Einladung und Teilhabe der Migranten in unserer Gesellschaft wäre für das Land von Vorteil. Die Menschen würden sich noch intensiver um Integration bemühen, weil man im gleichen Team spielt. Die Menschen brauchen das gute Gefühl, dass sie gleiche Rechte und Pflichten haben wie jeder andere Bürger. Zudem würden Rechtsstaat und Demokratie profitieren. Stets Steine in den Weg dieser Menschen zu legen, das dient gewiss nicht zur Lösung der Probleme. Die Spaltung sollte nicht mehr auf der Agenda der Konservativen stehen. Diese Haltung ist weder förderlich noch christlich.

Ayhan Matkap, Donauwörth

Tropfen auf den heißen Stein

Trotz des Binnenmarktes in der EU fehlen in Deutschland 100 000 Fachkräfte, wo sind sie alle hin? Ist die neue erleichterte Staatsbürgerschaft ein Segen oder Fluch? Es geht um viel mehr. Es geht um über 300 Ausbildungsberufe, davon zehn, die am attraktivsten sind, um gute Arbeitsbedingungen und Vergütungen, die eine Zukunft mit Perspektive versprechen. Arbeitsmarktprobleme löst man nicht allein durch Einwanderung light aus aller Welt. Das ist vielleicht hilfreich, aber nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg

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