Frauentag in Russland:"Feminismus ist was für Euch aus dem Westen'"

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Internationaler Frauentag in der Kälte - zwei russische Frauen schwimmen in einem zugefrorenen See. (Foto: DPA/DPAWEB)

Eine Mischung aus Valentinstag und Muttertag: Russland feiert heute den Internationalen Frauentag zum 100. Mal. Privat legen die Russen Wert auf traditionelle Geschlechterrollen, viele junge Frauen träumen davon, reich zu heiraten und sich verwöhnen zu lassen. Im Joballtag sieht das aber ganz anders aus.

Von Hannah Beitzer

Normalerweise war der morgendliche Gang zum Kiosk in St. Petersburg nicht gerade eine herzliche Angelegenheit. Von unnötigen Höflichkeitsfloskeln - "Guten Morgen", "Wie geht's", "Danke", "Bitte" - halten russische Verkäufer nicht viel. Umso überraschter war ich an jenem Märzmorgen im Jahr 2006, als mir der Kioskbesitzer nicht wie sonst kommentarlos Kaffee und Schokolade auf die Theke knallte, sondern mir ein fröhliches: "Herzlichen Glückwunsch" entgegen rief. "Wozu?" fragte ich. "Na, zum Frauentag!" sagte er.

Ich war 23 Jahre alt und gerade zum Auslandssemester in Russland. Vom Internationalen Frauentag wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt nur aus Geschichtsbüchern, doch bald lernte ich, dass er in Russland immer noch reichlich pompös gefeiert wurde. Wildfremde Männer gratulierten mir auf der Straße, Kollegen, Freunde und mein brummeliger Gastvater schenkten mir Blumen, ja, sogar Frauen beglückwünschten sich gegenseitig dazu, eine Frau zu sein.

Der Frauentag hat sich als Feiertag irgendwie aus der Sowjetunion ins post-sowjetische Russland hinüber gerettet. Auch wenn er mit seiner ursprünglichen sozialistischen Intention nicht mehr viel zu tun hat. Um den Kampf für mehr Gleichberechtigung geht es dabei nämlich längst nicht mehr. Er ist eher zu einer Mischung aus Valentinstag und Muttertag verkommen, Hochsaison für alle, die Blumen, hässliche Kuscheltiere und Postkarten vertreiben.

Traummann gesucht, Selbstverwirklichung nebensächlich

Dass der ehemals kämpferisch-feministische Frauentag hier zu einem kommerziellen Kitsch-Event umgemodelt wurde, passt auf den ersten Blick zu dem Frauenbild, dem Russland anzuhängen scheint. Denn bei oberflächlicher Betrachtung fügen sich russische Frauen in jedes einzelne jener Stereotypen, die westliche Akademikerinnen schon vor Jahrzehnten bewusst hinter sich gelassen haben.

Während ich im kalten russischen Winter schon längst die Fellstiefel ausgepackt hatte, stöckelten meine Kommilitoninnen unbeirrt auf Pfennigabsätzen durch die Straßen. Sie kleisterten sich die hübschen Gesichter mit grässlichem Make-up zu, kleideten sich wie Tänzerinnen aus US-Musikvideos, wären nie auf die Idee kommen, selbst zu bezahlen, wenn sie mit einem Mann unterwegs sind. Und ja, viele meiner russischen Kommilitoninnen träumten davon, möglichst jung einen reichen Mann (vielleicht sogar aus dem Westen?) zu heiraten, seine Kinder großzuziehen und nie wieder arbeiten zu müssen.

Dieser Traum geht ziemlich häufig schief: 12.000 Frauen sterben hier nach Angaben aus dem Innenministerium jährlich an den Folgen häuslicher Gewalt, 36.000 Frauen werden jeden Tag von ihrem Partner geschlagen, 97 Prozent aller Fälle häuslicher Gewalt kommen nie vor Gericht. Russische Ehen scheitern doppelt so häufig wie deutsche, ein Drittel aller getrennt lebenden Väter zahlen nicht einmal Unterhalt für ihre Kinder.

Auf all diese schlimmen Fakten wollen am heutigen Freitag, an dem Russland zum 100. Mal den Frauentag feiert, einige Feministinnen in Moskau mit einem Protestmarsch aufmerksam machen. Es dürften kaum mehr als einige Hundert werden. Feminismus ist in Russland nicht gerade ein großes Ding. "Das ist halt eher was für Euch aus dem Westen", sagte eine Kommilitonin mal diplomatisch zu mir.

Aus deutscher Sicht ist es da erstmal ziemlich leicht, die Nase zu rümpfen, sich selbst irgendwie freier, irgendwie selbstständiger, irgendwie moderner zu fühlen. Genau so ging es mir am Anfang. Aber da war eben auch noch die andere Seite, die mich schnell an meinem selbstherrlichen Kulturimperialismus zweifeln ließ.

In Russland ist es nämlich zum Beispiel viel selbstverständlicher als in Deutschland, dass Frauen nicht nur arbeiten, sondern Karriere machen. Meine Gastmutter war Geschäftsführerin in einem Krankenhaus und selbst wenn sie zur Arbeit ein buntes Kleid anstatt eines Hosenanzugs trug - weniger emanzipiert als meine Mutter schien sie mir nicht. Die Frauen in ihrem Alter, die ich in Russland traf, waren Ingenieurinnen, Lehrerinnen, Finanzvorstände, Verlagsleiterinnen.

Die schrägen Blicke kamen in Deutschland

Zahlreiche Studien belegen diese Beobachtung - zuletzt eine aus dem Jahr 2012: 40 Prozent aller Management-Positionen in Russland sind mit Frauen besetzt, das Land belegt in einem Vergleich mit 29 anderen den dritten Platz hinter Litauen und Bulgarien. Mein vermeintlich so gleichberechtigtes Deutschland landete dieser wie in vielen Studien auf einem blamablen 28. Platz. Gerade einmal 20 Prozent aller Chefs sind hier Chefinnen. Nur in den Niederlanden sieht es für Frauen noch schlechter aus. Sicher, auch in Russland hat die Gleichberechtigung Grenzen. Auf repräsentativen Posten in der Politik zum Beispiel finden sich wenige Frauen. Eine Präsidentin wäre in Russland ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich traf in Russland nicht nur ältere weibliche Führungskräfte, sondern auch viele Frauen, die schon mit Anfang 20 als Marketing-Chefinnen, Projekt- oder Abteilungsleiterinnen oder - wie ich dann zwei Jahre später - als Redakteurinnen arbeiteten. In der ganzen Zeit, die ich dort bei einer kleinen deutschen Zeitung das Politikressort betreute, fand es zwar mancher meiner Gesprächspartner komisch, dass ich kaum Make-up trug. Aber mit einer 25-jährigen Redakteurin über Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew, Menschenrechte in Tschetschenien oder die politische Rolle des russischen Patriarchen zu diskutieren, war für die meisten überhaupt kein Problem.

Die schrägen Blicke kamen erst, als ich zurück nach Deutschland zur Süddeutschen Zeitung kam, erst als Volontärin, später ins Politikressort von Süddeutsche.de. Zwar nicht aus der Redaktion selbst. Aber viele Leute, die ich sonst privat oder beruflich traf, fanden es anscheinend irgendwie seltsam, dass eine junge Frau sich bei der alterwürdigen SZ mit Politik beschäftigte. Häufig wurde ich gefragt, ob ich die Praktikantin sei. Manchmal sogar, ob ich überhaupt ein ordentliches Studium abgeschlossen hätte. Und hin und wieder auch, warum ich "ausgerechnet" über Politik schreibe - und nicht zum Beispiel über Kultur oder Mode.

Mir wurde so schnell klar, dass Rückständigkeit viele Facetten hat. Meine ältesten Schulfreundinnen und ich verbringen unsere Abende längst nicht mehr damit, über Jungs zu quatschen, sondern darüber, was für absonderliche Begegnungen wir als junge Frauen in unseren Jobs haben. Gemeinsam lachen wir darüber hinweg, dass eine von uns, Projektleiterin, von einem Kunden reichlich schroff um Kaffee gebeten wurde, während er dem (männlichen) Praktikanten ausführlich die Hand schüttelte. Und darüber, wenn eine andere - eine Architektin - von obszönen Witzen auf der Baustelle erzählt. Aber so richtig lustig sind solche Situationen auch nicht. Es bleibt immer ein fader Beigeschmack, der uns sagt: Mädels, es gibt noch viel zu tun.

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