Fotografie:Unter dem Christbaum mit den Kessler-Zwillingen

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Für eine SZ-Geschichte schmückten die Kessler-Zwillinge ihren Weihnachtsbaum extra drei Tage früher. (Foto: Claus Schunk)

Catherina Hess und Claus Schunk fotografieren seit Jahrzehnten für die SZ. Ein Gespräch über den Wandel in der Bilderwelt, Tipps für den Kamerakauf und die Geheimnisse hinter gelungenen Porträts.

Interview von René Hofmann

Erinnern Sie beide sich noch an Ihr erstes Foto, das in der SZ abgedruckt wurde?

Catherina Hess: Puh, an das erste erinnere ich mich nicht mehr genau. Du, Claus?

Claus Schunk: Ja. Das war ein Wanderer, der jedes Jahr bis nach Verona gelaufen ist. Sein Startpunkt war an der Julia-Capulet-Statue am Marienplatz. Dort habe ich am Samstagfrüh um sieben Uhr von ihm und der ganzen Gruppe, mit der er aufgebrochen ist, Bilder gemacht. Die habe ich dann in der Redaktion abgeben, als Abzüge auf Papier.

Hess: Bei mir war es etwas anders. Meine Mutter, Karin Friedrich, hat für die SZ geschrieben. Ich kam früh zum Fotografieren, schon in der Schule. Irgendwann brauchte die Lokalredaktion Schmuckbilder, also einigermaßen zeitlose Fotos, die Schönes oder Interessantes zeigen. Da habe ich einen Schwung abgegeben und die wurden nach und nach abgedruckt, weil sie dem damaligen Lokalchef gefallen haben. Irgendwann wünschte er sich eine Fotoserie "Menschen am Arbeitsplatz", die habe ich fotografiert. So bin ich nach und nach reingerutscht.

Welchen Stellenwert hatten Bilder in der Zeitung damals?

Hess: Das war gerade dabei, sich zu verändern, weg vom reinen Nachrichtenfoto, das einfach etwas dokumentierte, was viel mit Regina Schmeken zu tun hatte. Sie war Mitte der 1980er-Jahre verpflichtet worden, um andere Blickwinkel reinzubringen, besonders komponierte Bilder. Das hat viel verändert.

Damals waren alle Bilder, die in der Zeitung veröffentlich wurden, noch schwarz-weiß.

Schunk: Ja. Damals saß die Redaktion noch in der Sendlinger Straße. Dort gab es auch zwei Fotolabore, in denen die Filme entwickelt wurden, also so richtig in Dunkelkammern. Wehe, wenn da jemand im falschen Moment die Tür aufgemacht hat und Licht reingekommen ist. Dann waren alle Negative futsch.

Von großen Ereignissen kommen heute die ersten Bilder schon nach wenigen Minuten in der Redaktion an. Wie lange dauerte das damals?

Schunk: Oh, wir waren damals auch schon schnell. Vom Termin schnell ins Labor, die Filme ruckzuck entwickelt und die Bilder abgezogen. Zusammen mit den Redakteuren hatten wir schon einen sportlichen Ehrgeiz, von Abendterminen noch möglichst viel in die Zeitung für den nächsten Tag zu bringen. Damals wurden wir Fotografen auch noch pro Bild bezahlt.

Hess: Jeden Tag saßen alle Fotografen in der Konferenz der Lokalredaktion, wo die Themen vergeben wurden. Wenn man eine Geschichte abbekam, zu der fünf oder sechs Bilder gedruckt wurden, war das natürlich gut.

Die beiden SZ-Fotografen Catherina Hess und Claus Schunk im Gespräch über alte Zeiten und neue Technik. (Foto: Rene Hofmann)

Wie viel gab es pro Bild?

Schunk: 70 Mark. In den Neunzigerjahren wurde dann im Lokalen die Devise ausgegeben: Bilder, Bilder, Bilder! Da wurde auf Pauschalen umgestellt.

Als Fotografen sind Sie selbständig. Wie haben Sie in das Metier gefunden?

Hess: Ich habe die Bayerische Staatslehranstalt für Photographie in München besucht. Danach habe ich ein paar Jahre im Stadtarchiv München gearbeitet. Dort war ich als zeitgeschichtliche Dokumentarfotografin angestellt. Ich habe viele Reproduktionen von schon vorhandenen Bildern gemacht, aber auch eigene Geschichten. Ein Jahr lang habe ich Berufe um den Tod fotografiert.

Schunk: Wirklich?

Hess: Das hat mich interessiert: Aufbahrung, Leichen waschen, alles. Das war heftig, aber total spannend. Ich hatte mir das Thema selbst ausgesucht. Wie war das bei Dir?

Schunk: Ganz anders. Ich bin in Sonneberg in Thüringen aufgewachsen, damals noch in der DDR. Nach dem Abitur wollte ich zum Fernsehen und Kameramann werden. Das wollten damals viele. Im Auswahlverfahren habe ich's recht weit geschafft und auch ein Volontariat beim Fernsehen bekommen. Um Kameratechnik studieren zu dürfen, hätte ich mich dann aber länger bei der Armee verpflichten müssen. Das wollte ich nicht. So kam es, dass ich in meiner Heimatstadt einen Laden übernahm, in dem Foto, Optik, Uhren und Schmuck angeboten wurde. Nach der normalen Arbeitszeit habe ich viel fotografiert, vor allem an den Wochenenden: Klassentreffen, Hochzeiten. Mein spezieller Service: zum Abendessen, besser noch zum Kaffeetrinken, schon die ersten Abzüge verteilen. Das kam sehr gut an.

Im Sommer 1989 sind Sie aus der DDR geflohen.

Schunk: Ja, nach Puchheim bei München. Das Arbeitsamt hatte nichts mit Fotografie für mich, es meinte, ich könnte doch im Baumarkt Bohrmaschinen verkaufen. Das wollte ich nicht. Also habe ich mir eine SZ gekauft, dort suchte "photo point" für sein Geschäft im Olympia-Einkaufszentrum Verkäufer. Die haben mich sofort genommen. Am Wochenende habe ich dann für kleine Zeitungen Bilder gemacht.

Hess: Kanntest Du dich denn mit der West-Technik aus?

Schunk: Ja. Sonneberg lag nah an der Grenze, dort gab es den sogenannten "kleinen Grenzverkehr": Gegen fünf Mark Visagebühr und 25 Westmark Mindestumtausch, waren Tagesaufenthalte für die Bürger der Bundesrepublik möglich. Da kamen viele zu uns ins Geschäft, Fotopapier und Filme waren in der DDR ja spottbillig. Auf diesem Weg wurde ich auch mit Fachliteratur versorgt, insofern habe ich alles gewusst, also zumindest theoretisch.

Hess: Was war deine erste Kamera hier im Westen?

Schunk: Eine Nikon. Ich war immer von der Marke begeistert. Ganz entscheidend sind aber die Objektive. Ich hab' mir immer nur hochwertige Linsen gekauft, nie irgendwelches Schnullizeug. Zum Teil habe ich das Material von damals heute noch im Einsatz.

Die Technik entwickelt sich immer weiter, wie oft macht das Investitionen nötig?

Hess: Eigentlich ständig. Manchmal reicht es aber, sich das Modell unter dem aktuellen Top-Modell einer Marke zuzulegen.

Schunk: Spannend wird es, wenn es Techniksprünge gibt. Im Moment sind das spiegellose Vollbildkameras. Die sind so unglaublich leise! Wenn ich Hochzeiten fotografiere, will der Pfarrer natürlich nicht, dass ein "Klick, Klick" seinen Segen stört. Neulich hatte ich einen, der hat mir das vorher extra nochmal gesagt. Ich hab' dann trotzdem fotografiert, und dank der Technik hat er's gar nicht mitbekommen. Was auch toll ist: wie wenig Licht die Kameras heutzutage noch brauchen.

Die meisten privaten Fotos werden heute mit Handys gemacht. Welchen Einfluss hat das auf die Arbeit von Profi-Fotografen?

Schunk: Einen großen. Wenn du früher als Fotograf zu irgendeinem Ereignis gekommen bist, haben die Menschen ehrfurchtsvoll eine Gasse gebildet. Heute zücken viele selbst ihre Handys, und du musst dich fast durchkämpfen.

Hess: Dagegen wollen immer weniger selbst mit auf die Bilder, weil diese im Internet für immer auffindbar sind. Früher war das anders, da hieß es oft: Oh, die Zeitung ist da, wie toll! Das war etwas Besonderes.

Wie hat sich das Archivieren geändert?

Hess: Wir speisen alle Bilder in ein digitales System ein, in dem sie beschriftet abgelegt werden und für die Redaktion leicht auffindbar sind. Früher bestand das Archiv aus Papierabzügen, die hinten beschriftet waren. Der Aufwand dafür war viel größer. Der schlimmste Termin in dem Punkt war jedes Jahr der Filmball, der ging immer bis drei Uhr morgens. Ernst Fischer, der damals als Mitglied der Chefredaktion für das Thema zuständig war, war vorher beim Magazin Stern gewesen und es gewohnt, aus vielen Fotos auszuwählen. Er wollte am Morgen nach dem Ball 50 beschriftete Abzüge vorliegen haben, aus denen er dann zack, zack, zack auswählen konnte. Am Ende blieben vielleicht acht übrig.

Schunk: Mit der Digitalisierung ist auch ein kolossaler Preisverfall einhergegangen. Weil jeder eine Million Bilder auf dem Handy hat, denken viele: So ein Foto kann ja nicht viel wert sein. Ich werde häufiger um Bilder gebeten, und wenn ich dann die Frage stelle "Wo soll ich die Rechnung hinschicken?", bekomme ich zu hören: "Ach, das kostet was?" Ich sage dann immer: Das ist wie beim Bäcker, der backt Brot, um es zu verkaufen. Solange Sie für ihr Brot etwas bezahlen müssen, kosten auch meine Bilder etwas.

Im Lokalen begegnen Sie vielen Protagonisten oft mehr als einmal. Ist es schwierig, da eine professionelle Distanz zu wahren?

Schunk: Leute gut zu kennen, kann ein Vorteil sein. Wenn man Zeitdruck hat und den Bürgermeister fragen kann, ob er sich für das Portrait bereitstellt, bevor der Redakteur das Interview führt zum Beispiel. Aber natürlich kann es auch schwieriger werden, wenn man den Menschen dann in Situationen begegnet, die für sie nicht so schön sind, etwa im Moment einer Wahlniederlage oder eines Schicksalsschlags. Ich erinnere mich an einen Ball in Pullach, bei dem wild getanzt wurde. Plötzlich fiel ein Funktionär des Kreisjugendringes tot um. In dem Moment habe ich bewusst kein Bild gemacht, aus Pietät. Einige Kollegen haben das nicht verstanden.

Wie ist es bei sozialen Themen. Wie gelingt es, den Menschen nahezukommen, ihre Not zu zeigen, sie dabei aber nicht bloßzustellen?

Hess: Bei solchen Themen ist es für mich sehr wichtig, Zeit zu haben. Ich versuche immer, mir die Geschichte der Menschen anzuhören und darauf zu warten, bis sie sich öffnen. Selbst wenn sich ein super Motiv ergibt, frage ich mich immer: Wie viel von seinem Leben gibt derjenige in dem Moment preis? Viele Menschen, mit denen wir zu tun haben, können gar nicht abschätzen, was es bedeutet, wenn ein Bild von ihnen in einem bestimmten Zusammenhang veröffentlicht wird - dass ihr Gesicht dann direkt mit einem Thema verbunden wird, Armut zum Beispiel. Das versuche ich, den Menschen auch immer zu vermitteln.

Im Dezember 2021 fotografierte Catherina Hess einen Mann, der schwer an Covid-19 erkrankte, wochenlang auf der Intensivstation lag - und trotzdem wieder auf die Beine kam. Bei sozialen Themen wie diesem sei es besonders wichtig, Zeit zu haben, sagt die Fotografin. (Foto: Catherina Hess)

Wie ist es mit Eitelkeiten? Viele Menschen wollen in der Öffentlichkeit ja besonders vorteilhaft erscheinen.

Schunk: Wenn es um Porträts geht, zeige ich den Menschen oft, welche Bilder ich von ihnen gemacht habe. Wenn die dann sagen "Aber das bin ich ja gar nicht", komme ich immer mit dem Tonband-Vergleich: Wenn man sich selbst aufnimmt und dann hört, sind die meisten Menschen ja auch erst einmal überrascht. Was ich vor der Aufnahme oft mache: Die Menschen fragen "Wenn sie sich morgens im Spiegel sehen, welche Pose machen Sie da am liebsten? Die machen Sie jetzt!" Das ist ein guter Einstieg.

Hess: Wenn es um Prominente geht, gibt es zunehmend ein Problem: Immer mehr wollen mitreden, welche Bilder von ihnen kursieren. Ich hatte mal einen Fall, da habe ich 30 Bilder gemacht und zur Ansicht geschickt und es kam ein einziges zurück. Das geht natürlich für die Redaktion nicht. Bei den Terminen selbst lasse ich die Menschen nicht auf den Bildschirm schauen. Ich gestalte das Bild, wenn ich mir da zu viel reinreden lasse, dann ist es am Ende nicht mehr mein Bild. Aber natürlich schaut man immer, wie die Menschen rüberkommen und nimmt Rücksicht, wenn jemand partout nicht aus einer Perspektive fotografiert werden möchte oder ein Problem mit seinen Falten oder seinem Doppelkinn hat.

Ist es mit Prominenten leichter, weil die Routine im Umgang mit Fotografen haben?

Schunk: Bei offiziellen Auftritten von Politikern nicht. Dort sind oft viele Fotografen. Das Bild zu bekommen, das man sich vorstellt, kann dann zum Kampf werden.

Hess: Bei Filmpremieren war das früher auch so. Inzwischen ist dort aber fix geregelt, wer wo stehen darf, und es gibt viel weniger Fotografen. Seit überall im Hintergrund Werbewände aufgestellt werden, können die freien Gesellschaftsfotografen die Bilder, die bei solchen Anlässen entstehen, nämlich nicht mehr so gut vermarkten.

Zum Landkreis München, in dem Sie unterwegs sind, Claus Schunk, gehört auch Grünwald, wo viele Prominente wohnen. Wie nah kommen Sie denen?

Schunk: Einmal hatte die Redaktion die Idee, zu Weihnachten die Frage zu beantworten: "Wie schmücken Prominente ihren Weihnachtsbaum?" Ich habe dann bei einem Ereignis die Kessler-Zwillinge angesprochen und sie gefragt, ob sie mitmachen. Die haben auch eingewilligt, das Problem war nur: Wir brauchten das Bild ja mit einigem Vorlauf. Die beiden haben ihren Baum dann extra drei Tage vor Heiligabend geschmückt. Aus so etwas ergeben sich Verbindungen. Als Joachim "Blacky" Fuchsberger Goldene Hochzeit hatte, hat mich der Bürgermeister angerufen und mich gebeten, zum Gratulieren mitzukommen, für ein Bild fürs Gemeindeblatt. Als wir geklingelt haben, hat Blacky gemeint, hier hat noch nie einer fotografiert, es aber zugelassen. Wichtig ist, dass man sich an die Absprachen hält. Thomas Müller vom FC Bayern hat mich seine Hochzeit fotografieren lassen. Und natürlich hat davon kein Bild die Öffentlichkeit erreicht.

Wilhelm Seene, Verwaltungschef des Waldfriedhofs in München. (Foto: Catherina Hess/SZ Photo)

Von Ihnen beiden zusammen befinden sich mehr als 20 000 Fotos im SZ-Bilder-Archiv. Wenn Sie selbst die besten aussuchen sollten, welche wären das?

Schunk: Das ist schwer. Das perfekte Bild, das gibt es für mich nicht. Wenn du glaubst, du hast eines gemacht, geht das Streben nach Perfektion mit dem nächsten Auftrag weiter.

Hess: Es ist schon ein tolles Gefühl, wenn eine Idee funktioniert. Für eine Geschichte auf der Seite Drei habe ich einmal einen Totengräber fotografiert, auf dem Friedhof, und dafür viele kleine Kerzen hinter dem Grabstein aufgestellt. Das ergab dann so ein wunderbar dämonisches Licht.

Hatten Sie in dem Moment, in dem Sie damals den Auslöser gedrückt haben, schon das Gefühl: Das wird ein gutes Bild?

Hess: Ich glaube schon. Es gibt so Momente, in denen weiß man: Genau, das ist es!

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