Taiwan:Steht Macron für europäische Politik?

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Bei seinem China-Besuch spricht der französische Präsident Emmanuel Macron an einer Universität in Guangzhou. (Foto: GONZALO FUENTES/REUTERS)

Im Konflikt um Taiwan beharrt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf seiner Idee der europäischen Autonomie gegenüber den USA.

"Realität verkannt" und "Warum Macron sich für einen Sieger hält" vom 11. April, "Was soll das sein, 'der Westen'?" vom 12. April:

Europas Interessen

Wenn der französische Präsident darauf hinweist, es sei für Europa die "größte Gefahr", hinsichtlich des Konflikts um Taiwan von Amerika in einen Konflikt mit China gezogen zu werden, "der nicht der unsere ist", hat das nichts mit Antiamerikanismus zu tun, sondern mit dem Verantwortungsbewusstsein eines Politikers, der die Interessen Europas im Auge hat. Macron versteht die Europäische Union nicht als eine weisungsgebundene, sondern als eine politisch relativ unabhängige Staatengemeinschaft. Dass eine solche Sicht auf die gegenwärtige Beziehung der EU zu den USA "die Realität verkennt", stimmt zwar, jedoch bekennt sich Macron immerhin zu der Absicht, sich nicht in eine bedingungslose Abhängigkeit von den USA begeben zu wollen. Das setzt allerdings mehr Einigkeit unter den Mitgliedern der EU voraus.

Wer die Welt vor allem aus der Perspektive der USA betrachtet, verkennt, dass diese Sichtweise weltweit immer weniger Zustimmung findet - auch im Konflikt um Taiwan. Im Jahr 1971 wurde Taiwan nach Abstimmung in der Generalsversammlung aus der UNO ausgeschlossen. Kein Mitglied der EU unterhält offizielle diplomatische Beziehungen zu Taiwan, auch nicht die USA und die anderen G-7-Staaten. Fast alle Staaten der Welt respektieren Pekings Position, Taiwan sei trotz eigener Regierungsform ein Teil Chinas.

Wenn nun die USA ihre Politik ändern wollen, weil sie angesichts der wirtschaftlichen Potenz Chinas um ihre Dominanz in der Welt besorgt sind, muss es Macron und anderen europäischen Spitzenpolitikern erlaubt sein, eine eigenständige Interpretation der EU-Interessen zu vertreten. Die USA, die weltweit ihre aggressiv vertretenen Wirtschaftsinteressen hinter einem angeblichen Einsatz für die Demokratie verstecken, haben international ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Dr. Hans-Joachim Schemel, München

Amerikas Interessen

Da habe also ein Europäer ein umfassendes Desaster angerichtet, schreibt Hubert Wetzel. Große Worte, große Vorwürfe. Aber natürlich von sicherem, logischem Boden aus, versteht sich. Denn die lautere Interessensverbindung der USA und Europas wird selbstverständlich als gegeben - als Dogma sozusagen - hingestellt. Es werden große Bilder in den Raum gehängt: Da habe jemand einen Keil in die Beziehung zwischen den USA und Europa getrieben, ja, er habe sogar einen Graben quer durch Europa aufgerissen, es sei also ein immenser Schaden angerichtet worden.

Wie entsteht solch ein Überwältigungsgemälde? Ganz einfach: Man nehme einfach die Wirklichkeitsform und reihe mit ihr Satz an Satz. Das Sprachgebilde gebärdet sich so im Handumdrehen als ein wasserdichter Schutzdamm gegen etwaige Fragen, Zweifel, Einwände. Oder das immer für Sicherheit im Denken garantierende Schwarz-Weiß-Sprachmodell: Hier die Freunde, die treu zueinander stehen, und dort die Ungetreuen, die Zwietracht säen - aus reinem Mutwillen oder kurzschlüssigen Schnellschüssen. So einfach scheint das beim ersten Lesen zu sein.

Nimmt man sich die Zeit zum Nachdenken und erneuten Lesen, dann beginnt die biedere Wirklichkeitsform der Sätze ins Wanken zu geraten: Könnte es nicht sein, dass es bloß gewohnte Denkmuster sind, die wie eiserne Gleise die politische Wahrnehmung auf Linie halten - Europa, die Nato und die USA als Bollwerk wider die Gefahren aus dem Osten? Werden biedere nationale Interessen nicht allzu gern kleingeredet? Oder das Lehrstück vor der UNO, als Bilder vorgeführt wurden, die einen Präventivschlag für unabänderlich - oder im Merkel-Jargon für "alternativlos" - erscheinen ließen? Die scheinbar logischen Klickklacks internationaler Verwicklungen können so schön glatt gebügelt werden. Scheinen jedem Kind einzuleuchten.

Wäre es nicht zumindest erwägenswert, die amerikanischen Interessen im asiatischen Raum nicht zu unterschätzen und auch uns Europäern zu gestatten, solche Interessen nicht als auch europäische darzustellen, nur um der Nibelungentreue nicht gegen das Schienbein zu treten? Sollten wir Europäer nicht eher - angesichts einer langen Geschichte der Domestizierung unter europäischer Dominanz weltweit - in den Windschatten des Zeitgeistes treten und Ansätze in diese Richtung nicht gleich als Defätismus diffamieren? Könnte in der Zukunft nicht vielleicht sogar das kleinere Format das erfolgreichere werden - jenseits hegemonialer Spiegelfechtereien? Dafür wären die USA sicher nicht das geeignete Vorbild, haben die uns doch nach dem Zweiten Weltkrieg zu braven Konsumenten und Wachstumsaposteln geduldig bekehrt. Vielleicht hat Macron gar nicht "außenpolitisch seinen Bankrott erklärt", sondern - wie einst der alte Cato - unermüdlich nur wiederholt, Europa solle zu einer eigenen europäischen Politik stehen, jenseits amerikanischer Interessen.

Johannes Seiler, Bonn

Eine dritte Supermacht?

Je tiefer man in das Denken und Handeln des "Westens" eintaucht, umso mehr erkennt man, dass es meist nur Eigeninteressen sind, die alle antreiben. Konzepte wie Nationen machen Sinn, um sich zu verständigen. So kann ich sagen, ich radle nach Italien, um mir in Venedig die Kunstbiennale anzusehen. Es ist gut, dass sich der "Westen" immer wieder selber hinterfragt, und vielleicht ist die Etablierung einer "dritten Supermacht" Europa so etwas wie eine Art homöopathische Erstverschlimmerung auf dem Weg zu einem weltweit besseren Miteinander. Wir sind eine Welt, und alles Sein bedingt sich gegenseitig. Auch das des sogenannten Westens.

Karsten Neumann, Nürnberg

Europäische Gallionsfigur

Da spricht Hubert Wetzel einiges an, das ich so wahrscheinlich auch unterschreiben würde. Aber wenn wir mal ehrlich sind, wer außer Emmanuel Macron käme als europäische Galionsfigur infrage? Als Führungsfigur wird man Olaf Scholz nie für voll nehmen. Dazu fehlt ihm einfach die nötige Ausstrahlung und das Charisma. Scholz ist nicht Merkel. Der letzte Besuch bei Xi Jinping in Peking glich mehr einem spröden Arbeitstreffen.

Anders als der nun kürzlich zu Ende gegangene dreitägige Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in China. Da wurden zum Teil tolle Bilder geliefert. Die Herren verbrachten Zeit miteinander und pflegten Umgang. Macron und Xi haben eine zwischenmenschliche Beziehung zueinander, die sie hegen und pflegen, vor allem aber ausbauen. Das habe ich bei Scholz so bisher noch nicht gesehen, so leid es mir tut.

Michael Ayten, Trier

Napoleonische Qualität

Emmanuel Macron leidet keineswegs unter Realitätsverlust, sondern analysiert zutreffend die geopolitische Rolle Europas in der langen Perspektive, in einer Welt, die vielfältiger und südlicher sein wird, als das manchen in Deutschland und Osteuropa klar ist. Die Weichenstellung, ob diese neue Welt G2 oder G3 sehen wird, also die Frage, ob Europa neben den USA und China auf Weltniveau eine eigenständige politische Kraft sein wird, das wird sich nicht in der Ukraine und nicht in Taiwan entscheiden.

Verglichen mit unseren Politkern wie Norbert Röttgen, blitzt bei Macron eine napoleonische Qualität auf: Frankreich ist ständiges Mitglied im Sicherheitsrat und Frankreich hat sich nun in die Debatte um eine künftige Weltordnung eingeschaltet, die bisher vom Westen vermieden wird. Das ist kein Realitätsverlust, sondern Leadership. Vive l'Europe!

Ralph Bürk, Engen

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