Virtueller Hörsaal:Im Klub der toten Lichter

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Einsames Chatten, Bloggen, Tippen ohne störende Unterbrechungen: Erfahrungen im virtuellen Hörsaal der New School University in New York - ohne Müßiggang im Unihof.

Andrian Kreye

Die Zeit war knapp. Das ist sicherlich eines der besten Argumente, ein Online-Seminar zu besuchen. Die Zeit war also knapp, zwei Scheine fehlten und die New School University bot Online-Seminare an. Vom akademischen Glamour jener Trutzburg der linksliberalen Bildung im Greenwich Village von New York bleibt in einem virtuellen Hörsaal natürlich nicht viel übrig. Die Eingangspforte zum Komplex mit den virtuellen Hörsälen schimmerte im fluoreszierenden Grau nüchterner Amtswebseiten auf dem Computerschirm. Ein schmuckloses Portal, das man mit seiner Immatrikulationsnummer und einem Passwort innerhalb von Sekunden hinter sich lässt.

Im Netz der Wissenschaft: Laptop in der Bibliothek. (Foto: Foto: iStock)

Die Seminare waren theoretische Kurse zu einem praktischen Filmstudium. Man war also gezwungen, wenigstens einen Teil der verbleibenden Studienzeit in den analogen Hörsälen zwischen der Avenue of the Americas und der Fifth Avenue zu verbringen. Da liegt der Vergleich nahe.

Die Kommilitonen blinken auf der Benutzeroberfläche

Nun ist ein virtueller Hörsaal an Bequemlichkeit schwer zu überbieten. Die Zeiten fließen, die Anreise beschränkt sich auf das eben erwähnte Einloggen, man taucht in ein System auf klar und logisch übereinander geschichtete Text- und Multimedia-Ebenen, in denen man sich nach ein paar Übungsminuten schon flink bewegen kann. Auf der Bibliotheksebene hatte die Dozentin eine üppige Materialsammlung ins Netz gestellt, die perfekt auf die Kursanforderungen ausgerichtet war. Da fand sich keine überflüssige Seite.

Der Hörsaal war eine Mischung aus Chatroom und Onlineforum. Man löste anhand des Materials, der Linklisten und Videos seine Aufgabe, stellte seine Arbeit zur Debatte und kommentierte die Arbeit der Kommilitonen, einer Liste mit Namen, die freundlich auf der Benutzeroberfläche blinkten.

Wie herrlich war es, eine Aufgabe ohne Störung innerhalb weniger Stunden zu lösen. Keine endlosen Debatten hielten da die Arbeit auf, kein Müßiggang im Unihof. Doch die ersten Ermüdungserscheinungen schlichen sich nach zwei Wochen ein. Aus den Stunden wurden Minuten. Die Debatten verkümmerten zu pflichtbewussten Eingaben der geforderten Mindesttextmengen im Chatsystem. Irgendwie hatte es gereicht. Irgendwann kam der einzig analoge Gruß aus dem Seminar - ein Brief mit dem Schein.

Einsam vor dem Bildschirm verkümmert

Sicher kann man nun das Argument der digitalen Demokratisierung von Bildung ins Feld führen. Wer sich kein Vollstudium in einer teuren Stadt leisten kann, der wird online gut bedient, egal ob der virtuelle Hörsaal mit Hypertext, Video oder Podcasts arbeitet.

Was einem letztlich vorenthalten wird, das ist die Synergie der Begegnung. Vielleicht sollte man kurz beschreiben, was es bedeutet, mit amerikanischen Studenten in einer Workshop-Situation zu arbeiten, mit hochmotivierten, begabten Menschen also, die viel Geld dafür bezahlen, um ihre Motivation und Begabung in professionelle und akademische Bahnen zu lenken.

Das hat Zug. Da reicht schon ein durchschnittlicher Dozent, um einen synergetischen Effekt zu erzeugen, bei dem die Studenten voneinander profitieren. Inhaltlich sowieso, die Praxis ist unersetzlich, doch es geht um mehr. Das geben einem amerikanische Dozenten auch schon in den Einführungen mit auf den Weg. Ziel ist es, schon in den Hörsälen und Unterrichtsräumen die Grundlagen für ein Netzwerk zu schaffen, das unter Umständen ein Leben lang hält.

Einsam vor dem Schirm verkam das Seminar schnell zum Klub der toten Lichter. Aber es ging ja auch um Zeit und nicht um Bildung.

© SZ vom 15.01.2009/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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